Berlin. Deutschland erlebt einen Holzhaus-Boom, sogar hölzerne Hochhäuser entstehen. Die Nachfrage ist groß – doch wie sicher sind sie?

Der Messestand war gerade fertig aufgebaut. Drei Wochen lang schnitzten die Monteure das Holz, setzten die Fassade zusammen, putzten alles blitzblank. Chic sollte alles aussehen, immerhin war es der Stand des Autobauers Bugatti, für dessen Luxus-Sportwagen Kunden häufig siebenstellige Beträge hinlegen müssen.

Doch unmittelbar vor der Eröffnung wurde der Genfer Auto-Salon, eine der weltweit wichtigsten Automessen, coronabedingt abgesagt. Kein Besucher bekam den Bugatti-Stand jemals zu Gesicht.

„Die Monteure hatten Tränen in den Augen“, beschreibt Carsten Fritz den Moment, als der Stand vor einem Jahr kurz nach der Fertigstellung wieder abgebaut wurde. Der 54-Jährige ist Gründer und Geschäftsführer von metron Vilshofen, einem niederbayerischem Messebauer mit rund 120 Mitarbeitern.

Dass Messen und Events auf absehbare Zeit nicht mehr stattfinden würden, war Carsten Fritz schnell klar. „Ich wollte den Kopf nicht in den Sand stecken, habe nach alternativen Geschäftsmodellen gesucht“, berichtet der Unternehmer. Und er wurde fündig. In der Fabrikhalle, wo normalerweise die Fassaden für Messe- und Eventstände für Unternehmen wie Volkswagen, Porsche oder Mercedes entstehen, reihen sich derzeit riesige Holzblöcke aneinander. Es sind Module, die wie im Baukastenprinzip aufeinander gesteckt werden können und so Häuser ergeben. Holz-Häuser.

Holzhäuser erleben in der Corona-Krise einen Boom

Seit einigen Jahren erfahren Holz-Häuser einen regelrechten Boom. Zwischen 2007 und 2019 hat sich die Zahl der genehmigten Holzhäuser fast verdoppelt, 22.341 Neubauten aus Holz wurden 2019 genehmigt. Die Corona-Krise könnte den Prozess beschleunigen.

Denn sowohl die Bauwirtschaft als auch die deutsche Holzindustrie boomen. Trotz Pandemie erzielte die Baubranche 2020 einen Rekordumsatz, allein die Auftragslage im Wohnungsbau legte um 7,6 Prozent zu.

Auch die Holzindustrie konnte im Krisenjahr 2020 ihren Umsatz steigern, um 0,8 Prozent auf rund 36,5 Milliarden Euro. Ein wesentlicher Faktor: Fertighäuser, Fenster, Türen, Treppen und andere Bauelemente waren 10,2 Prozent stärker gefragt als noch im Vorjahr.

Zehn Tage bis zum fertigen Holzmodul

Auf diesen fahrenden Zug sprang Unternehmer Carsten Fritz auf. Dabei fehlte zu Beginn der Pandemie dem Messebauer noch die Perspektive, das Mittelstands-Unternehmen schweißte für Discounter Plexiglasscheiben zusammen, erstellte Möbel-Konzepte für das Homeoffice. Überbrückungsaufgaben, keine Kassenschlager. Dann entdeckte Carsten Fritz den Holzhaus-Boom für sich.

10 Tage dauert es, bis in der errichteten Fertigungsstraße aus ein paar losen Brettern ein fertiges Wohnmodul entsteht. Einen größeren Auftrag gibt es auch schon, 144 Wohnmodule werden für zwei Gebäude in Pfarrkirchen derzeit von metron Vilshofen hergestellt. Bei dem Projekt geht es nicht nur um die Holzmodule, es geht um ein ganzheitliches Konzept, inklusiver digitaler Smart-Home-Anwendungen. Denn auch mit der digitalen Technik lässt sich der Energieverbrauch reduzieren.

„So wird etwa das Raumklima optimiert und der Komfort erhöht. Die Betriebskosten der Wohnung können geringgehalten werden, auch bei Abwesenheit“, sagt Manuel Nader, Deutschland-Chef vom Smart-Home-Anbieter Loxone, mit dem metron Vilshofen zusammenarbeitet.

Fertigungsstraße der metron vilshofen: Wo früher Messestände gebaut wurden, entstehen nun Holzblöcke, aus denen Wohnungen werden.
Fertigungsstraße der metron vilshofen: Wo früher Messestände gebaut wurden, entstehen nun Holzblöcke, aus denen Wohnungen werden. © metron vilshofen | metron vilshofen

Die Angst vor Bränden hemmte lange den Holzhausbau

Dass es Quereinsteigern wie Fritz gelingen kann, im Bau von Holzhäusern Fuß zu fassen, liegt auch an der Struktur des Marktes. „Es gibt bisher nur wenige Anbieter, die auf Holzbau spezialisiert sind, es fehlt oftmals an Expertise“, sagt Eike Becker, geschäftsführender Partner des gleichnamigen Berliner Architektenbüros.

Das habe auch kulturgeschichtliche Gründe: „Wenn früher ein Haus Feuer gefangen hat, dann hat schnell mal die ganze Stadt gebrannt. Das hat dazu geführt, dass der Baustoff Holz diskreditiert wurde. Und aus damaliger Sicht auch zu Recht“, sagt Becker.

Brandgefahr: Baustoff Holz kann sogar überlegen sein

Heute sieht das anders aus. „Holz ist zu einem High-Tech-Material geworden“, sagt Reinhard Eberl-Pacan, Brandschutzplaner und Vizepräsident des Deutschen Instituts für vorbeugenden Brandschutz (DIvB). „Holz ist in puncto Brandverhalten gut erforscht. Entsprechend kann auch der Brandschutz bei Holzbauten gewährleistet werden.“

Der 63-Jährige hält Holz im Ernstfall in gewisser Weise anderen Baustoffen sogar für überlegen. „Holz brennt sicher“, sagt Eberl-Pacan. Während Beton bei hohen Temperaturen Risse bekomme und unkontrollierbar in seinem Brandverhalten werde, könne man mit Holzbauteilen Feuerwiderstände so konzipieren, dass diese zwei Stunden und mehr dem Feuer standhalten könnten.

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Ganze Hochhäuser aus Holz entstehen

Holz ist mittlerweile sogar so gut erforscht, dass ganze Holzhäuser entstehen. In der Hamburger HafenCity soll mit dem „Roots“ ein rund 65 Metern hohes Holzhochaus bis 2023 fertiggebaut sein. Noch höher hinaus soll es in Berlin gehen, wo ein Entwurf ein Hochhaus mit 98 Metern Höhe vorsieht.

Auch Architekt Becker arbeitet derzeit an zwei Vorhaben. In Offenbach soll ein fünfstöckiges Holz-Modul-Gebäude entstehen, wenige Kilometer entfernt in Frankfurt am Main soll im Europaquartier Frankfurts erstes Holzhybrid-Hochhaus gebaut werden. Beim Holzhybrid werden Teile des Gebäudes, etwa Fluchtwege, Aufzüge und Schächte, in Stahlbeton gebaut, andere Teile mit Holz. „Es geht nicht darum, nur noch Holz und gar kein Beton mehr zu nutzen. Wichtig ist, dass wir anfangen, Zement als Baustoff und damit den Energieverbrauch zu reduzieren“, sagt Eike Becker.

In Hamburg entsteht das 65 Meter hohe Holzhybrid-Hochhaus Roots.
In Hamburg entsteht das 65 Meter hohe Holzhybrid-Hochhaus Roots. © Garbe Immobilien | Garbe Immobilien

Alle 23 Sekunden wächst ein Holzhaus nach

Während allein die Zementindustrie in Deutschland rund 20 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr in die Luft bläst, bindet ein Einfamilien-Holzhaus rund 40 Tonnen CO2. Auch sind keine langen Transporte nötig. An schnell wachsenden Gehölzen wie etwa der Fichte mangelt es Deutschland nicht.

Für ein 140-Quadratmeter-Holzhaus benötigt man nach Angaben des Bundesverbands des Deutschen Fertigbau zehn Fichten. Umgerechnet zum jährlichen Zuwachs der Fichte wächst nach Verbandsangaben alle 23 Sekunden das Material für ein Holzhaus nach.

Beim Recycling punktet Holz

Ein weiterer Vorteil neben der Klimabilanz: Holz ist besser wiederverwendbar. Baustellen sind bisher große Müllerzeuger, mehr als 220 Millionen Tonnen des Abfalls gehen laut der Kreislaufwirtschaft allein auf das Konto vom Bau- und Abbruchgewerbe. Da viele Baumaterialien derart miteinander verklebt sind, dass sie praktisch nicht mehr zu gebrauchen sind, werden sie oft geschreddert und dann in minderer Qualität als Zusatzstoffe genutzt.

„Das kann beim Holz besser sein“, sagt Becker. Ein Holzfenster könnte auch in einem neuen Haus ein Fenster werden, eine Stütze eine Stütze bleiben. „So würden Städte selbst beim Rückbau neue Baumaterialien bieten“, sagt Eike Becker.

Architekt Eike Becker sieht Deutschland beim Holzhaus-Boom erst am Anfang.
Architekt Eike Becker sieht Deutschland beim Holzhaus-Boom erst am Anfang. © Eike Becker_Architekten

Corona-Pandemie könnte den Trend zum Holzhaus beschleunigen

Nicht nur der Klimawandel, auch die Corona-Krise könnten den Trend zum Holzhaus beschleunigen. „In der Corona-Krise haben viele ihre Bedürfnisse anders wahrgenommen. Viele haben festgestellt, dass das Bedürfnis, schön zu wohnen wichtig ist und legen Wert auf Materialien zum Anfassen, die auch angenehm riechen“, sagt Becker.

Holz stehe für eine Wohlfühlatmosphäre und Nachhaltigkeit, fördere das Raumklima und spare Energiekosten. Hält der Boom an, könnten schon in zehn Jahren Holzhäuser etwa ein Fünftel aller Gebäude ausmachen, schätzt Becker: „Wir stehen erst ganz am Anfang.“