Kollerschlag. Aus dem österreichischem Dorf Kollerschlag heraus will der Smart-Home-Hersteller Loxone den Wohnungsmarkt aufmischen. Ein Ortsbesuch.
Die technische Innovation beginnt zwischen Kühen und Schafen, drei Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. In der kleinen Marktgemeinde Kollerschlag in Oberösterreich leben nur rund 1500 Einwohner. Es gibt einen Kindergarten und eine kleine Schule mit angrenzendem Freibad.
Kollerschlag ist ein verschlafenes Dorf, 40 Kilometer von Passau entfernt, das vor allem durch seine saftigen grünen Wiesen auffällt – und durch einen futuristischen Glasbau, der wie ein gelandetes Ufo auf einer dieser Wiesen steht. Hier hat Loxone Electronics seinen Firmensitz. Und von hier aus will das österreichische Unternehmen den weltweiten Wohnungsmarkt umkrempeln.
Loxone stellt Anwendungen für das automatisierte Wohnen her. In solchen digitalen Immobilien, Smart Homes genannt, wird nichts dem Zufall überlassen, wie man in einem Referenzhaus in Kollerschlag miterleben kann.
Smart Home: Ein Einbruchsschutz wie eine Haus-Party
Scheint die Sonne ins Haus fahren die Jalousien automatisch herunter. Ist der Herd noch an, obwohl niemand mehr im Zimmer ist, meldet sich zunächst der Deckenlautsprecher mit einer Warnung, anschließend wird die Kochplatte eigenständig abgestellt. Das wirkt im ersten Moment bevormundend – es dürfte das Brandrisiko aber tatsächlich verringern. Wer nachts auf die Toilette muss, bekommt den Weg mittels Bewegungssensoren in gedämmtem Licht ausgeleuchtet.
Und das digital vernetzte Haus wehrt sich zudem recht eindrucksvoll gegen Einbrecher. Wird die Außenhülle verletzt, etwa indem ein Fenster eingeschlagen wird, fahren alle Rollläden automatisch hoch, die Lichter fangen an zu blinken und die Soundanlage untermalt das Schauspiel mit lautem Krach. Von außen erinnert das an eine Haus-Party, als Einbrecher hat man die ungewollte Aufmerksamkeit der Nachbarschaft sicher.
Loxone: Smart Home erspart bis zu 50.000 Handgriffe im Jahr
Loxone wirbt damit, dass man sich in einem Smart Home bis zu 50.000 Handgriffe im Jahr spart. Wie das in der Realität aussieht, wird am Loxone-Firmensitz deutlich. Auf dem gesamten über 12.000 Quadratmeter großen Grundstück gibt es keinen einzigen Lichtschalter. Wer als Letztes das Büro verlässt, muss nicht das Licht ausschalten, das erledigt das Firmengebäude von alleine. Und es stellt praktischerweise noch die Alarmanlage an. Auch ein Thermostat gibt es nicht, das Gebäude misst und reguliert die Temperatur selbst.
„Was hier passiert, ist Innovation“, sagt Rüdiger Keinberger, Vorsitzender der Geschäftsführung von Loxone. Seit dreieinhalb Jahren gehört er dem Betrieb an, vorher jettete er als Vorstandsmitglied des deutschen Kunststoff-Konzerns Röchling um die Welt. „Im Kunststoffsektor ist es eine Innovation, wenn man einen Reibungskoeffizienten optimiert“, sagt der 55-Jährige. „Bei Smart Homes aber arbeitet man am Komfort der Menschen und an Nachhaltigkeitsaspekten.“
Seit zwei Jahren ist Loxone in Deutschland aktiv
Loxone hat eine rasante Wachstumsgeschichte hinter sich. Nur elf Jahre nach der Gründung ist aus dem Start-Up ein international tätiges Unternehmen mit 20 Standorten in 13 verschiedenen Ländern, über 300 Mitarbeitern und 130.000 realisierten Projekten geworden. Jedes vierte neue Ein- oder Zweifamilienhaus in Österreich hat nach Unternehmensangaben mittlerweile Loxone-Technik verbaut.
Seit zwei Jahren ist das Unternehmen auch in Deutschland aktiv und hat in Wäschenbeuren, unweit von Stuttgart, eine Fertigungsstraße für Elektronik geschaffen. Hier werden alle Produkte in Erstserie selbst produziert, ehe die Produktion anschließend an europäische Zulieferer vergeben wird. Loxone verkauft seine Produkte nicht direkt an Immobilienbesitzer, sondern arbeitet mit Elektroinstallationsbetrieben zusammen. Knapp 4000 solcher Betriebe vermarkten in Deutschland die Produkte.
Konkurrenz aus Deutschland – und von Amazon
Dass sich mit digitalisierten Häusern gutes Geld verdienen lässt, hat man nicht nur bei Loxone erkannt. Die Deutsche Telekom etwa baut seit Jahren ihr „Magenta Smart Home“-Programm aus. Auch die Eon-Tochter Innogy vermarktet Smart Home-Anwendungen.
Das Online-Portal „Statista“ schätzt den diesjährigen Umsatz im Smart Home Markt auf 4,2 Milliarden Euro. Schon heute würden rund 7,6 Millionen Haushalte eine digitale Vernetzung aufweisen, in den nächsten fünf Jahren könnte sich diese Anzahl mehr als verdoppeln.
Und dann ist da noch die Konkurrenz aus Amerika. Amazons digitaler Sprachassistent Alexa ist zum Kassenschlager geworden und knackte im vergangenen Jahr die Marke an 100 Millionen verkauften Geräten. Verglichen mit diesen Zahlen sind die knapp sechs Millionen verkauften Loxone-Produkte gering. „Smart Homes sind nicht nur ein schöner Geschäftszweig, sondern auch eine zentrale Sammelquelle für Daten“, sagt Keinberger. „Für die großen US-Techkonzerne war klar, dass das Rennen derjenige gewinnt, der als Erstes im Wohnzimmer der Konsumenten sitzt. Und das Rennen hat Amazon mit Alexa gewonnen.“
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Verbraucherschützer mahnt zum Datenschutz
Für Loxone sei das aber auch eine Chance. Zwar kommen auch im Miniserver von Loxone, der als eine Art Gehirn des Hauses alle Prozesse im Haus überwacht und speichert, eine große Menge an Daten zusammen. „Aber die gehen uns und auch sonst niemandem etwas an“, sagt Keinberger. Nur auf ausdrücklichen Wunsch werden Cloud-Lösungen angeboten, ansonsten werden die Daten aber nicht in der digitalen Speicherwolke, sondern vor Ort im Miniserver des Hauses gesichert.
Trotz dieser Versprechen appelliert Verbraucherschützer Matthias Bauer an Smart Home-Interessenten, sich vor einem Kauf genau mit dem Produkt vertraut zu machen. „Im Smart Home kann alles erfasst werden: Wann ich zu Hause bin, wann ich wo das Licht anschalte, ja sogar, wann ich auf die Toilette gehe. Man wird gläsern“, sagt Bauer, der für die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg tätig ist. Er bestätigt, dass das Risiko des Datenmissbrauchs bei Cloud-Lösungen meist höher ist. Doch selbst wer auf ein System ohne Cloud-Lösung setze, müsse achtsam sein und sein Passwort beispielsweise regelmäßig ändern.
Zudem warnt Bauer vor externen Geräten, die mit dem bestehenden System gekoppelt werden. So ergab eine Untersuchung des IT-Sicherheitsinstituts AV-Test beispielsweise, dass etwa ein Xiaomi-Saugroboter in seiner App Drittanbieter-Module integriert hatte. Nutzerdaten konnten demnach unter anderem an Facebook, Airbnb sowie die chinesischen Marktgiganten Alibaba und Tencent weitergeleitet werden. Grundsätzlich empfiehlt der Bau- und Energieexperte, bei Smart Home-Anwendungen auf europäische Anbieter zu setzen, die sich an die Datenschutz-Grundverordnung halten müssen.
Hilft das Smart Home beim altersgerechten Wohnen?
Und ihm ist ein weiterer Aspekt wichtig: Ein guter Smart Home-Anbieter zeichne sich dadurch aus, dass er sein Produkt verständlich macht. „Gerade bei der Zielgruppe der Über-60-Jährigen, die sich beispielsweise nach einem Sturz digitale Unterstützung ins Haus holen, müssen die Risiken durch Datenmissbrauch transparent angesprochen werden“, sagt Bauer.
Senioren stellen für Smart-Home-Anbieter neben den technikaffinen 30- bis 40-Jährigen die Hauptzielgruppe dar. Das Verkaufsargument: Die Technik erleichtert das Wohnen im Alter. Sollte das Haus einen Sturz erkennen – etwa weil die Bewegungsmelder registrieren, dass die Person nach dem Gang ins Treppenhaus nicht in einem anderen Raum ankommt – lassen sich Alarmketten in Gang setzen, die etwa Verwandte oder den Notdienst alarmieren.
Das scheint nicht nur für Privatkunden interessant. In Dresden etwa stattete Loxone ein Seniorenheim mit digitalen Anwendungen aus. Läuft dort beispielsweise nun eine Badewanne über, schaltet das Smart Home automatisch die Wasserzufuhr ab und informiert die Pflegekräfte.
Smart Homes reduzieren Energieverbrauch
Auf den deutschen Wohnungsmarkt dringt Loxone jetzt erst nach fast zwei Jahren Anlaufzeit mit Schwung vor. Erste Großprojekte in Frankfurt am Main mit 400 Wohneinheiten und München mit rund 100 Wohneinheiten laufen. Punkten will man auch mit Nachhaltigkeitsaspekten.
Denn deutsche Gebäude sind wahre Umweltverpester. Laut dem Umweltbundesamt machen Gebäude hierzulande 35 Prozent des Endenergieverbrauchs aus, zudem verursachen sie 30 Prozent der CO2-Emissionen. Im April fand das Freiburger Öko-Institut im Auftrag der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen heraus, dass im automatisierten Eigenheim der CO2-Ausstoß um bis zu zehn Prozent gesenkt werden kann, der Stromverbrauch um sechs Prozent.
Laut der Technischen Universität Graz ist durch die automatisierte Kombination von Lüftung und Beschattung die Raumerwärmung im Smart Home um bis zu neun Grad Celsius geringer als in einem analogen Haus.
„Digitale Techniken und Gebäudeautomation können helfen, den Energieverbrauch zu senken“, sagt auch Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW. Um aber mehr digitale Technologien in Wohngebäuden, auch in Mietwohnhäusern, zu etablieren, brauche es eine „ausreichende Zuschussförderung“. Gedaschko schlägt vor, dass digitale Techniken deshalb Teil des Nebenkostenrechts werden sollten.
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In Kollerschlag entsteht ein Zentrum der Gebäudeautomatisierung
Auch Loxone setzt darauf, von politischen Anstrengungen profitieren zu können. „Wenn es Deutschland ernst meint mit seinen Klimazielen, dann muss es automatisierte Gebäude künftig noch stärker fördern – auch in Mietwohnungen und in Gewerbeimmobilien“, sagt Keinberger. Doch neben Deutschland gehe es auch darum, den europäischen Markt noch stärker zu erschließen und auch in den USA und in China anzugreifen.
Ein Referenzobjekt für seine Bestrebungen will Loxone aber in Kollerschlag setzen: Für 55 Millionen Euro soll ab Herbst ein Zentrum der Gebäudeautomatisierung gebaut werden. 300 neue Arbeitsplätze, ein Hotel, ein Schulungs- und Logistikzentrum sollen auf der Wiese neben dem Firmensitz gebaut werden. Eine Smart Home Erlebniswelt soll Touristen anlocken. „Das wird das Mekka der Gebäudeautomatisierung“, sagt Keinberger. Ein Mekka in der Provinz.
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