Hamburg. Herkömmliche Bekleidung zum Joggen und Work-out ist meist schädlich für die Umwelt. Ein norddeutsches Start-up geht neue Wege.
Oft besteht Sportmode aus Fasern, die für die Umwelt und damit auch den Menschen schädlich sein können. Der Gedanke daran hat Steffen Otten (34) lange die Freude am Laufen genommen. Doch seit er selbst Modemacher ist, joggt er wieder gerne. Sein nachhaltiges Start-up heißt Runamics, ist in Niedersachsen nahe Verden (Aller) gemeldet und hat einen Lagerraum und die Lieferadresse in Hamburg-Stellingen.
Ein blauer Vorhang teilt das Lager in zwei Hälften: Rechts stapeln sich die Kartons, links stehen Tische. Auf einer Stange hängen Sporthosen in Rot, Grau und Schwarz. Ganz neu ist der Trainingsanzug. „The Conscious Runner“ steht auf der Rückseite (deutsch: der bewusste Läufer). Der Name verweist auf die Geburtsstunde des Start-ups.
Runamics verzichtet nach eigenen Angaben auf umweltschädliche Stoffe
Im Januar 2017 schaute Otten ein Video vom Weltwirtschaftsforum in Davos. Darin wurde erklärt, dass Fasern aus Polyester die Weltmeere verschmutzen. Sie werden vor allem in Sportmode verwendet. Beim Waschen lösen sich winzige Partikel. Sogenanntes Mikroplastik gelangt ins Abwasser. Die Kläranlagen können es kaum herausfiltern. Und die Partikel werden nicht biologisch abgebaut, bleiben also im Wasserkreislauf – mit Folgen für die Umwelt. So sterben zum Beispiel Fische deutlich früher, weil der Kunststoff ihre Schleimhäute verletzt oder den Magen-Darm-Trakt verstopft. Für den Freizeitläufer ein Problem. „Dieses Wissen lief ab sofort mit, Kilometer für Kilometer“, sagt er.
Statt sich weiter auf seine Marketingfirma zu konzentrieren, war Otten in Gedanken nun bei seiner Start-up-Idee: nachhaltige Sportmode. Er sprach mit Wissenschaftlern und besuchte Textilmessen. Über das Internet lernte er die Modedesignerin Lena Rix (41) kennen, der Impact Hub Hamburg vermittelte ihn an den Fotografen Henning Heide (41). Die drei verstanden sich sofort gut, gründeten gemeinsam Runamics.
Laufshirt durch Crowdfunding finanziert
Im März 2020 wollte das Trio sein erstes Laufshirt durch eine Crowdfunding-Kampagne finanzieren: Wer wollte, durfte schon vorbestellen, musste aber direkt bezahlen. „Schon nach 24 Stunden hatten wir das gewünschte Geld zusammen“, sagt Otten. Er und seine Mitgründer bestellten den grau-schwarzen Stoff und beauftragten Nähereien in Chemnitz, Polen und Portugal.
Die Fasern bestehen aus einem Mix an regenerativen und Naturfasern, konkret aus einer Chemiefaser mit Holz als Ausgangsmaterial und Merinowolle. Außerdem ist eine abgewandelte Form von Polyester darin enthalten. Anders als das herkömmliche Produkt zerfällt es in seine Bestandteile. Mit anderen Worten: Es entsteht kein Mikroplastik. Mittlerweile nutzt Runamics auch Fasern aus Bio-Baumwolle, zum Beispiel für Leggings, Stirnbänder und ein Armband mit Handytasche. Neben grau-schwarzen Produkten gibt es auch rote, hellgraue und grüne. „Bei der Färbung achten wir darauf, keine bedenklichen Chemikalien im Prozess zu haben“, sagt Otten.
Umsatz ist bereits sechsstellig
1500 Kunden hat das Start-up nach eigenen Angaben schon erreicht und im ersten Jahr einen sechsstelligen Umsatz gemacht. Ausgezahlt haben sie sich davon noch nichts, sagt Otten. Er sitzt an einem Tisch im Lager neben Co-Gründer Heide. Sie sprechen über den schwarzen Pullover, den eine der Schaufensterpuppen an der Wand hinter ihnen trägt. Dieser gehört zum neuen Trainingsanzug und wurde sogar mit dem Gold-Zertifikat „Cradle to Cradle“ (deutsch: von der Wiege bis zur Wiege) ausgezeichnet.
Dieses Label garantiert, dass der Trainingsanzug samt seiner Nebenprodukte komplett wiederverwertbar ist, einen sogenannten „biologischen Kreislauf“ bildet. Das erreichen nur wenige Produkte. „Cradle to Cradle ist das anspruchsvollste Zertifikat im Bereich nachhaltiger Textilien“, sagt Friederike Priebe von der Epea GmbH – Part of Drees Sommer. Das Institut arbeitet gemeinsam mit Unternehmen wie Runamics daran, Cradle-to-Cradle-Produkte zu produzieren und zu zertifizieren.
Trainingsanzug kostet 189 Euro
Die hohen Standards schlagen sich allerdings auch im Preis nieder: Der nachhaltige Trainingsanzug kostet 189 Euro. Und auch der Rest des Sortiments ist nicht besonders günstig. Hosen gibt es ab 59 Euro und Shirts ab 69 Euro. Runamics möchte möglichst bald ein Zertifikat haben, mit dem das Start-up als Ganzes ausgezeichnet wird. „Wir haben hierfür aber noch nicht den Prozess angestoßen, der kostet viel Geld.”
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Das Gründertrio hat eine Vision: Ihre Produkte sollen bald in Millionen von Kleiderschränken liegen und die Instanz für nachhaltige Sportmode werden. Das nächste Ziel fällt ein wenig kleiner aus: Schon bald möchte das Unternehmen seine Produkte auch in einem ersten stationären Laden verkaufen, möglichst noch 2021. Aktuell stehen Gespräche mit Running Green in Altona an. Bisher ist die Ware nur im Onlineshop auf www.runamics.com erhältlich.
Doch wie zukunftsfähig ist nachhaltige Mode? Forscher der Dualen Hochschule Baden-Württemberg haben im Oktober herausgefunden, dass neun Prozent ihrer Studienteilnehmer beim Einkaufen auf faire und ökologisch produzierte Ware achten. Wichtiger war ihnen die Passform, der Komfort, die Qualität, die Langlebigkeit, der Preis und das Design. Jüngere Menschen sind laut Studie eher dazu bereit, für nachhaltige Mode mehr Geld auszugeben. Hier dürfte die Fridays-for-Future-Bewegung eine Rolle spielen. Bei Runamics würden gefühlt aber auch viele Menschen jenseits der 20 Produkte ordern, sagt Otten. Allerdings weiß er von seinem Kundendienst: Viele Ältere bestellen gerne für ihre Kinder.