Hamburg. Hamburger Firmen wie Bringoo und Pickery versprechen Express-Lieferung ohne Aufschlag – ein in Deutschland neues Modell.

Das kann schon mal passieren: Man steht in der Küche, das Abendessen ist geplant und plötzlich fehlt eine Zutat. Ziemlich ärgerlich, vor allem wenn es schnell gehen muss. Hasib Khan kennt die Situation. „Ich war völlig verblüfft, als ich festgestellt habe, dass es in Hamburg keinen Sofort-Lieferdienst aus dem Supermarkt gibt“, sagt der 30-Jährige, der sich während seiner Zeit in Dubai an den Service gewöhnt hatte.

Khan sah ein neues Geschäftsfeld. Nach einem Jahr Vorbereitungszeit hat er jetzt seinen Online-Lieferdienst Bringoo gestartet. Das Versprechen: Die bestellten Lebensmittel sollen in 45 Minuten an der Haustür sein – zum gleichen Preis wie im Geschäft. „Wir lösen mit Bringoo ein Problem für Menschen, die direkt einen Bedarf haben“, sagt der Gründer. Das kann die Mutter von drei Kindern sein, die nicht noch mal raus will, der Senior mit gesundheitlichen Problem oder jemand, der es einfach nur bequem liebt.

Hamburger Start-up Bringoo: Vorbild aus den USA

Bringoo gehört zu einer Reihe von jungen Unternehmen, die gerade den Liefermarkt von Lebensmitteln mit Express-Zustellungen aufmischen. Bei etablierten Anbietern wie etwa dem Lieferservice von Rewe, den Online-Angeboten unter dem Edeka-Dach oder bei Amazon Fresh sind Bestellungen nur mit tagelangem Vorlauf möglich. Seit Beginn der Corona-Pandemie sind die Zeitfenster oftmals über Wochen ausgebucht.

Eines der Vorbilder für die neuen flinken Digitaldienste ist das 2013 gegründete US-Start-up goPuff, das aktuell in 500 Städten unterwegs ist. Auch in Großbritannien, Italien und Polen gibt es erste Anbieter. Bekanntester Pionier in Deutschland ist der Online-Supermarkt Gorillas, der die gewünschten Waren in Berlins Szene-Stadtteilen und seit neuestem auch in der Kölner Südstadt in zehn Minuten bringt. In Hamburg ist vor einigen Wochen Pickery gestartet. Geliefert wird ein Basis-Sortiment mit 1000 Produkten zwischen Altona und Eimsbüttel in maximal 15 Minuten.

Supermarkt-Lieferdienst: Im Prinzip wie Lieferando

Bringoo-Gründer Hasib Khan bietet bislang Einkäufe in Märkten der Rewe-Tochter Nahkauf, bei mehreren lokalen Händlern und als einziger Lieferdienst auch beim Großhändler Metro an. Das Prinzip funktioniert ähnlich wie bei Essenslieferdiensten wie Lieferando: Die Kunden wählen über eine App die gewünschten Artikel im Supermarkt aus.

Sobald die Bestellung abgeschickt und per Kreditkarte oder Sofortüberweisung bezahlt ist, beginnen Einkäufer die Waren zusammen zu suchen. Parallel wird über einen Software-Algorithmus der nächste Fahrer informiert, der den Einkauf mit dem Auto oder Fahrrad abholt. Dann tickt die Uhr.

Bringoo will auch am Sonntag liefern – das ist das Liefergebiet

Mehr als 300 Bestellungen hat das Bringoo-Team in den ersten Tagen abgewickelt. „Bislang klappt es sehr gut. Wir waren immer in spätestens 45 Minuten beim Kunden“, sagt Khan. Bestellzeiten sind zwischen 9 und 21 Uhr, wobei Khan noch im Dezember auch den Sonntag als Liefertag anbieten will.

Aktuell reicht das Vertriebsgebiet von Langenhorn bis zur HafenCity und von Bahrenfeld bis Wandsbek. Die Liefergebühr beträgt 2,90 Euro (in der Startphase ausgesetzt), einen Mindestbestellwert gibt es nicht. „Wir verdienen an einer Spanne, die der Lebensmittelhändler uns zum Ladenpreis einräumt“, sagt der Unternehmer.

Die erste Firma des Bringoo-Gründers: Lieferdienst fürs Militär in Afghanistan

Für den Sohn einer afghanischen Einwandererfamilie, der in Hamburg Abitur gemacht hat, ist es nicht die erste Firmengründung. Er hat schon einen Lebensmittel-Lieferdienst für internationale Militärstützpunkte in Afghanistan aufgezogen. Mit seinem Carsharing-Unternehmen UDrive in den Vereinigten Arabischen Emiraten hat er es auf das Cover der regionalen Ausgabe des Wirtschaftsmagazins Forbes geschafft.

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Auch für Bringoo sieht Khan viel Potenzial. 250.000 Euro hat der Geschäftsmann in das Projekt gesteckt und noch mal das Dreifache bei Investoren eingesammelt. Aktuell arbeiten 20 festangestellte Mitarbeiter bei Bringoo, die Hälfe als Einkäufer und Fahrer. Das klingt noch nicht nach einem flächendeckendem Angebot. „Wir können diese Zahl bei wachsendem Geschäft schnell erhöhen“, sagt der Geschäftsmann. Auch dezentrale Lebensmittellager mit einem Basissortiment, wie sie etwa die Pioniere goPuff oder Gorillas betreiben, kann er sich vorstellen.

Corona lässt Online-Lebensmittelhandel wachsen

Bislang ist der Lebensmittel-Verkauf über das Internet in Deutschland eine Nische. Zwar hat der Bereich 2019 nach Angaben des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel (bevh) mit 17,3 Prozent die höchsten Wachstumsraten erzielt. Trotzdem macht der Online-Handel nur 1,4 Prozent des Branchenumsatzes aus.

Die Corona-Pandemie hat der Entwicklung mit prozentualen Zuwächsen von knapp 90 Prozent im zweiten Quartal 2020 und immerhin gut 50 Prozent im dritten Quartal einen deutlichen Schub gegeben. „Durch Corona wird das beschleunigt, was schon angelegt war“, sagt Eva Stüber vom Marktforschungsinstitut IFH Köln. Im Januar hatten die Marktbeobachter in einer Studie zur Zukunft des Online-Lebensmittelhandel bis 2030 eine Steigerung des Anteils zwischen fünf bis zu neun Prozent prognostiziert. „Diese Zahlen werden jetzt früher eintreten“, ist Stüber sicher.

200 Milliarden Euro Jahresumsatz im Lebensmittelhandel

Experten rechnen derzeit damit, dass der Onlineanteil für das gesamte Jahr 2020 sich auf gut zwei Prozent verdoppelt. Das hört sich erstmal nicht viel an, aber in dem gigantischen Lebensmittelmarkt entspricht die Erhöhung um ein Prozent etwa einem Umsatzplus von zwei Milliarden Euro. Darüber, wie schnell der Bereich in den nächsten Jahren wachsen wird, gibt es unterschiedliche Prognosen. „Bislang war das beschränkte Angebot der limitierende Faktor“, sagt Rainer Münch, Handelsexperte bei der Beratungsfirma Oliver Wyman in München.

Anders als in anderen Ländern hätten die großen Anbieter mit umfangreichen Investitionen gezögert, auch um ihre stationären Angebote nicht zu kannibalisieren. Dazu kämen die hohen Kosten, die bei Lieferungen von frischen Produkten etwa durch Kühlung anfallen. „Jetzt suchen alle nach einem Schlüssel, wie man Abläufe, Kundenzufriedenheit und Wirtschaftlichkeit unter einen Hut bringen kann“, sagt Münch. „Das ist der Nährboden für Innovationen.“

Edeka will mit Partner Picnic in den Markt einsteigen

Wie stark die Schere zwischen Angebot und Nachfrage auseinandergeht, lässt sich beim Rewe-Lieferdienst beobachten. Bei einer Stichprobe für eine Bestellung in Hamburg waren alle verfügbaren Zeitfenster für die nächsten zwei Wochen ausgebucht. „Wir verzeichnen seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie eine verstärkte Nachfrage“, bestätigt Rewe-Sprecher Thomas Bonrath.

Vor diesem Hintergrund würden in den 75 Lieferservice-Städten die Kapazitäten weiter ausgebaut. Konkurrent Edeka, bislang nur mit regionalen Online-Angeboten wie dem Lieferdienst Bringmeister in Berlin und München vertreten, hat sich weitere Anteile des niederländischen Lieferservice Picnic für eine dreistellige Millionensumme gesichert. Der Anbieter, der nach dem sogenannten Milchmann-Prinzip auf festen Lieferrouten unterwegs ist, startete erfolgreich in mehreren Städten in Nordrhein-Westfalen. Insider sehen in dem Modell ein großes Zukunftspotenzial. Eine Ausweitung gilt als gesetzt.

Hamburger Lieferdienst Pickery auf Investorensuche

Ähnlich wie in anderen Branchen sind es Start-ups wie Gorillas in Berlin und jetzt Bringoo und Pickery in Hamburg, die schnell agieren und so Veränderungen schaffen. Pickery etwa war mit einem ersten Angebot im Frühjahr entstanden, als die Gründer der Fitness-App Crumb, Nikolas Bullwinkel und Saad Saeed, plötzlich durch die Corona-Pandemie ausgebremst worden waren.

Innerhalb von wenigen Tagen bauten sie ihren Lebensmittel-Lieferdienst auf – zunächst für Menschen, die aus Sorge vor einer Ansteckung mit Covid-19 nicht mehr selbst einkaufen gehen wollten oder konnten. Inzwischen haben sie ihr Geschäftsmodell weiter entwickelt und betreiben ein erstes Lager mit einem Basis-Sortiment. Außerdem im Angebot ab einer Mindestbestellsumme von zehn Euro und einem Euro Liefergebühr: Brot von der Bäckerei Junge und Kaffee von Hanseatic Coffee. Um das Geschäft auszubauen, haben die Gründer eine Finanzierungsrunde gestartet.

Bringoo könnte bald aus dem Discounter liefern

Auch Bringoo-Gründer Hasib Khan ist auf der Suche nach weiteren Geldgebern. „Wir brauchen Geld für die Expansion“, sagt er. Höchste Priorität habe es, mehr Supermärkte von seiner Liefer-App zu überzeugen. Aktuell verhandele er gerade mit einer Discounterkette und mit einigen lokalen Getränkehändlern, so der Unternehmer. Er plant auch schon die Ausweitung auf andere Großstädte. „Die Corona-Zeit hat gezeigt, dass die Zeit für so eine Dienstleistung reif ist.“