Hamburg. 60 Spezialisten forschen auf Finkenwerder am Antrieb der Zukunft. Das Ziel: Fliegen umweltverträglicher zu machen.
Die Passagierflugzeuge der Zukunft könnten spektakuläre Formen annehmen. Der sogenannte Blended-Wing Body sieht aus wie eine flache Flunder und erinnert an den US-Bomber B-2. Der Nurflügler ist sicherlich das revolutionärste Konzept, das Airbus im September vorstellte. Die anderen beiden Varianten, die nun näher untersucht werden sollen, ähneln Turboprop-Maschinen und A320-Jets und bieten damit ein gewohntes Bild.
Was die unterschiedlichen Modelle eint, ist die Energiequelle. Alle sollen mit „grünem“ Wasserstoff angetrieben werden, der zuvor aus erneuerbaren Energien hergestellt wurde. Der europäische Flugzeugbauer verschärft seine Bemühungen um einen „grünen Flieger“. Bis 2035 soll das emissionsfreie Verkehrsflugzeug zur Einsatzreife gebracht werden, sagte Airbus-Chef Guillaume Faury – und Hamburg spielt bei der Entwicklung eine wichtige Rolle.
Fridays for Future macht Druck auf die Branche
Jörg Tappermann arbeitet im Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL) auf Finkenwerder. „Mein Traum war immer, Wasserstoff als Hauptantriebsenergieträger für die emissionsfreie Luftfahrt einzusetzen“, sagt der Airbus-Gruppenleiter für Brennstoffzellensysteme beim Termin mit dem Abendblatt. Jetzt hofft er auf den Pusch für diese Technologie. Dafür sprächen externe Gründe wie der erhöhte gesellschaftliche Druck durch die Klimaschutzbewegung Fridays for Future. Intern habe es einen Motivationsschub durch den Führungswechsel von Tom Enders zu Faury gegeben, der sich offener für den Wandel zeigt. Und drittens sei es auch eine Frage der Alternativen.
Die aktuellen Entwicklungen zur Covid-19-Pandemie im Norden lesen Sie in unserem täglichen Corona-Newsblog.
Bisher setzt die Branche vor allem große Hoffnungen in synthetische Kraftstoffe. Benzin besteht aus Kohlenstoff-Wasserstoff-Verbindungen. Synthetische Kraftstoffe werden aus regenerativem Strom, Wasser und Kohlendioxid (CO 2 ) in einer sogenannten Power-to-liquid-Anlage gewonnen. Dabei wird der Atmosphäre CO 2 entzogen und mit Wasserstoff zu einem synthetischen Rohöl verarbeitet. In einer Raffinerie erfolgt anschließend die Veredelung zu Kerosin, das als Sprit für die Flugzeuge eingesetzt wird.
Auch synthetischer Sprit setzt Treibhausgase frei
Fliegen Jets mit diesem Treibstoff, emittieren sie dieselbe Menge CO 2 in die Atmosphäre und bewegen sich unter dem Strich CO 2 -neutral, lautet die Argumentation des Bundesverbandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft. Bei der Verbrennung des Sprits in der Höhe werden laut Umweltbundesamt neben CO 2 aber auch kleinere Mengen der Treibhausgase Methan und Lachgas sowie Stickoxide frei. Er trägt also weiter zur Verschmutzung der Umwelt bei.
„Synthetischer Kraftstoff ist eine Technologie für die bestehende Flotte und für den Übergang sehr sinnvoll“, sagt Tappermann. „Aber für eine langfristige Lösung für eine emissionsfreie Luftfahrt ist Wasserstoff der Ansatz mit dem größeren Potenzial.“ Mittelfristig könnten mit synthetischem Sprit die bestehenden Flugzeuge, die meist 20 bis 30 Jahre im Einsatz sind, immerhin weniger umweltschädlich fliegen. Derzeit gibt es allerdings noch zu wenig davon – und er ist viel zu teuer. „Die größte Herausforderung für uns ist die Dekarbonisierung“, sagte Faury Anfang Oktober auf dem Tag der Industrie in Berlin: „Es ist die größte Veränderung seit dem Anfang der kommerziellen Luftfahrt.“
Batterien sind zu schwer, die Brandgefahr zu hoch
Während die Autoindustrie derzeit mit Elektroautos vor allem auf Batterien setzt, scheint diese Technik für die Luftfahrt ungeeignet. Trotz möglicher Innovationen werden Batterien mit einer für Flieger reichenden Energiedichte wohl nicht erreicht werden, sagt Tappermann, der seit 2012 bei Airbus ist und zuvor in der Automobil- und Unterhaltungselektronik tätig war. Zudem sind Batterien sehr schwer – und in der Luftfahrt zählt jedes Kilogramm. Und dann gibt es ein weiteres Riesenproblem. Je höher die Energiedichte, desto höher ist die Gefahr, dass die Batterie anfängt zu brennen, sagt der Elektrotechnikingenieur.
So hatte Airbus-Konkurrent Boeing beim Dreamliner wiederholt Probleme mit brennenden Batterien. Weltweit gab es ein Bordverbot für das Samsung-Smartphone Note 7, weil der Akku schnell überhitzte. „Wenn eine Lithium-Ionen-Batterie anfängt zu brennen, kann man nichts anderes tun, als sie abbrennen zu lassen“, sagt Tappermann. „Weil alles, was es für die Verbrennung braucht, in der Zelle drin ist.“ Das ist über den Wolken natürlich ein extrem hohes Sicherheitsrisiko – genau das soll die neue Flugzeuggeneration aber nicht werden.
Neues Flugzeug soll gleiche Sicherheit wie heutige bieten
Daher spricht einiges für Wasserstoff und Brennstoffzelle als alternative Antriebsart. Denn bei beiden Varianten ist die Energiespeicherung und -wandlung getrennt durch ein Ventil. Schließt man dieses, wird die Verbindung gekappt. „Das ist für viele Anwendungen wichtig und für die Luftfahrt noch viel wichtiger“, sagt Tappermann. Dadurch werde die Technik sicher und handhabbar. Die in der Branche üblichen mindestens zweifachen Sicherheitssysteme tun ihr Übriges. „Das neue Flugzeug wird die gleiche Sicherheit bieten wie heutige Maschinen“, sagt Tappermann.
Wasserstoff kann auf zwei Arten für das Fortkommen des Flugzeuges genutzt werden. Zum einen kann er in Gasturbinen verbrannt werden. Die Russen bauten bei einer Tupolew bereits in den 1980er-Jahren einen Flüssigwasserstofftank ein. Eines der Triebwerke verbrannte Wasserstoffgas, sodass sich der Propeller drehte und für Schub sorgte. „Diese Technik ist stark emissionsreduziert“, sagt Tappermann, „aber nicht vollkommen emissionsfrei, da Stickoxide bei der Verbrennung anfallen.“
In Brennstoffzellen wird aus Wasserstoff Strom gemacht
Die andere Möglichkeit ist die Brennstoffzelle. „Bei der Brennstoffzelle wird aus Wasserstoff Strom gemacht, mit dem elektrische Motoren angetrieben werden“, sagt Tappermann. Das ermöglicht auch eine andere Verteilung der Motoren. Zu sehen ist das an dem Blended-Wing Body. Gleich acht Motoren sitzen am Heck. Zudem gilt die Brennstoffzelle als effizienter. Und man hofft, dass dank dieser Technik am Himmel die Kondensstreifen nicht mehr auftauchen, die laut Forschern zur Erderwärmung beitragen.
Allerdings gilt es, viele Probleme zu bewältigen. Zum einen müssen alle Systeme angefasst werden, weil sie bisher auf Kerosin ausgerichtet sind. Zum anderen braucht der Wasserstoff für die gleiche Energiemenge wie Kerosin das vierfache Volumen (auch wenn er nur ein Drittel des Gewichts hat). Platz ist in den Fliegern aber notorisch knapp. Bisher ist der Sprit daher überwiegend in den Flügeln untergebracht – also an einem Platz, der für Passagiere oder Gepäck ohnehin nicht nutzbar wäre.
Flüssigwasserstofftanks sollten Kugel- oder Zylinderform haben
Damit Wasserstoff in Flugzeugen verwendet werden kann, muss er verflüssigt werden. Dann wird er dichter. Das geht nicht über Druck, sondern über die Temperatur. Bei minus 251 Grad Celsius wechselt er vom gasförmigen in den flüssigen Zustand. Er muss also kalt gehalten werden, damit er nicht schnell verdampft und Druck im Behälter aufgebaut wird. Das kann durch zwei Metallschichten erfolgen, zwischen denen ein Vakuum ist. „Das ist wie bei Thermoskannen“, so Tappermann. „Diese haben eine bessere Isolationswirkung, wenn sie weniger Oberfläche haben. Sprich: Ein Flüssigwasserstofftank in Flügelform hätte wenig Volumen und viel Oberfläche – das wäre ungünstig.“ Die Isolationswirkung zu erreichen, wäre daher schwierig. Folge: Flüssigwasserstofftanks sollten eine Kugel- oder Zylinderform haben.
Wie es bei Airbus häufig üblich ist, arbeitet ein transnationales Projektteam in Deutschland, Frankreich, Spanien und England am wichtigen Zukunftsthema. „Wir sind in Hamburg unter anderem für das Brennstoffzellensystem zuständig“, sagt Tappermann. Die Fragen, denen nachgegangen wird, lauten: Wie muss das System ausgelegt sein? Wie muss es aufgebaut sein? Wie könnte ein Probebetrieb erfolgen? Welche branchenspezifischen Herausforderungen wie Luftdruck, stark schwankende Umgebungstemperaturen, Zuverlässigkeit, Sicherheit und Betriebsdauer muss man lösen?
Das Projektteam im ZAL wächst stetig
„Brennstoffzellen für die Luftfahrt gibt es heute noch nicht. Dazu müssen noch verschiedene Kernparameter verbessert werden. Sie müssen leichter, zuverlässiger, langlebiger und effizienter werden“, sagt Tappermann. Ein Schwerpunkt im ZAL ist der Flüssigwasserstofftank. Wie kriegt man den flüssigen Wasserstoff aus dem Tank in die Leitungen und bereitet ihn so auf, dass er in der Brennstoffzelle zu Strom werden kann? Die Brennstoffzellensysteme werden dabei nicht selbst gebaut, sondern auf den Einsatz in der Luftfahrt abgeklopft.
Das Projektteam wächst stetig. „Was wir bisher in kleineren Ansätzen gemacht haben, machen wir nun in größeren Dimensionen“, sagt der 51-Jährige. Gut 60 Airbus-Mitarbeiter beschäftigen sich jeden Tag mit der Thematik. Man erhalte zusätzlich viel Unterstützung aus anderen Bereichen des Konzerns. Zudem werde mit Partnern wie dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) sowie den Universitäten Helmut Schmidt und TU Harburg, die ebenfalls im ZAL aktiv sind, zusammengearbeitet.
Nurflügler bietet für Tankplatzierung am meisten Optionen
Aber wo sollen diese voluminösen (und möglichst leichten) Flüssigwasserstofftanks im Flieger untergebracht werden? Bei den im September vorgestellten Varianten mit Propeller- und Turbofan-Antrieb ist das bei genauem Betrachten erkennbar. Im Heck fehlen Fenster. Der hintere, blaue Teil des Rumpfes wird also nicht für Passagiere, sondern für Wasserstofftanks genutzt. Wesentlich mehr Möglichkeiten bringt der futuristisch anmutende Nurflügler. Der besonders breite Rumpf bietet viele Optionen für das Kabinenlayout und die Tankplatzierung. Allerdings gibt es auch Veränderungen für die Passagiere: Wer am Rand sitzt, ist weiter von der Längsachse entfernt und spürt Flugmanöver stärker. Auf Fenster könnten die Konstrukteure verzichten, weil die meisten Fluggäste ohnehin weit weg von ihnen sitzen. Stattdessen könnten Videos auf Bildschirmen Sonnenauf- und -untergang simulieren.
Lesen Sie auch:
- Airbus in Hamburg hat eine neue "Bürgermeisterin"
- Projektname Maveric: Airbus tüftelt am Flugzeug von morgen
- Airbus: Experte skizziert Probleme von "e-Delivery" bis Jet-Einmotten
Damit wasserstoffangetriebene Flugzeuge Realität werden, muss letztlich die gesamte Wirtschaft mitspielen. Erneuerbaren Energien müssen ausgebaut werden. Wasserstoff muss in großen Mengen aus „grünem“ Strom hergestellt werden, damit er in Massen eingesetzt und zu attraktiven Marktpreisen angeboten werden kann. Und auch in der Branche müssen die Beteiligten ihren Teil leisten. Die neuen Flugzeuge müssen zertifiziert werden, Zulieferer müssen Teile liefern, Airlines die neuen Maschinen kaufen, die Wartungsbetriebe sich auf die Technik einstellen und der Wasserstoff zu den Fliegern transportiert werden.
Airbus-Chef fordert Politik und Industrie zum Mitmachen auf
„Wir brauchen eine Pusch aus dem privaten Sektor und von den Staaten hin zu einer Energieerzeugung, die nicht auf Kohlenstoff basiert“, sagte Faury in Berlin und forderte Industrie und Politiker zum Mitmachen auf. Wenn es eine globale Regulierung für den Gebrauch von Wasserstoff gebe, könne Airbus 2027/28 mit dem Bau eines solchen Fliegers starten. Bis 2035 müsse „grüner“ Wasserstoff an den Flughäfen verfügbar sein.
Im ZAL ist man optimistisch, dass der emissionsfreie Airbus-Jet 2035 mit einem Brennstoffzellensystem an Bord abhebt. Entweder als Hauptantrieb oder im Nebensystem. Tappermann: „Das Ende der Fahnenstange in der Entwicklung ist aber dann mit Sicherheit noch nicht erreicht.“ Es ist noch viel zu tun. Heute, morgen – und in den nächsten Jahren.