Hamburg. Airbus hat schon fast 150 neue Jets eingemottet. Warum die Maschinen nicht abgeholt werden – und wo der Hersteller sie parkt.

Zumindest einer kann der Branchenkrise in der Luftfahrt auch eine positive Seite abgewinnen: Michael Schwarz, Geschäftsführer des kleinen Flughafens Braunschweig-Wolfsburg. Denn Airbus wird dort demnächst bis zu 15 in Hamburg gebaute Jets abstellen, die von den Kunden wegen der Corona-Pandemie nicht abgeholt werden. „Die Nutzung eines Teils des Vorfeldes als Parkplatz wird das Defizit des Flughafens spürbar entlasten“, erklärte Schwarz. Die Braunschweiger rechnen mit Parkgebühren im „niedrigen sechsstelligen Bereich“.

Weil der Platz für fertiggebaute, aber von den Airlines nicht übernommene Jets auf dem Hamburger Werksgelände knapp wird, stellt Airbus sie inzwischen auch in Rostock-Laage, Erfurt-Weimar und in Dresden ab. Bis Ende Juni konnten konzernweit „aufgrund der Covid-19-Pandemie etwa 145 Verkehrsflugzeuge nicht ausgeliefert werden“, teilte das Unternehmen am Donnerstag im Rahmen der Veröffentlichung von Halbjahreszahlen mit.

Airbus führt harmlos klingende Begründung an

Zwar hat der Airbus-Vorstand bereits Anfang April vor dem Hintergrund des weltweit dramatisch eingebrochenen Luftverkehrs beschlossen, die Fertigungsrate von Kurz- und Mittelstreckenmaschinen der A320-Reihe um rund ein Drittel auf 40 Jets pro Monat zurückzufahren; mehr als die Hälfte von ihnen werden in Hamburg endmontiert. „Aber ich kann mir vorstellen, dass noch auf absehbare Zeit monatlich fünf bis zehn der Flieger nicht wie vorgesehen von den Airlines abgenommen werden, im Moment wahrscheinlich eher mehr“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt dem Abendblatt.

Naturgemäß führt man bei Airbus eine eher harmlos klingende Begründung des Problems an. Wie ein Firmensprecher sagt, handelt es sich bei den abgestellten Maschinen „um Flugzeuge, für die mit unseren Kunden ein neuer Liefertermin vereinbart wurde, oder um Flugzeuge, die von unseren Kunden aufgrund der aktuellen Beschränkungen schlichtweg nicht abgeholt werden können.“ Um letztere Schwierigkeit zu umgehen, hat Airbus allerdings bereits im April ein Verfahren namens „e-Delivery“ eingeführt: Für die Formalitäten bei der Abnahme des Jets muss kein Kundenpersonal mehr zum Hersteller anreisen.

Airbus muss auch Personal abstellen

Doch selbst wenn sich die Abholung einer fertiggestellten Maschine nur um Wochen oder wenige Monate verzögern sollte, bringt das Airbus erheblichen Mehraufwand ein. Die Parkgebühren auf einem Flughafen wie Braunschweig machen nur einen Teil davon aus. „Man kann ein Flugzeug nicht wie ein Auto einfach abschließen und es dann drei Monate irgendwo stehen lassen“, sagt Großbongardt: „Ein Jet muss laufend technisch betreut werden.“

Das beginnt mit einer gründlichen Versiegelung, damit sich Insekten oder Vögel nicht in von außen zugänglichen Hohlräumen einnisten und Schäden an der empfindlichen Technik anrichten können. So wird Airbus für die Betreuung der Maschinen auch Personal in Braunschweig stationieren. „Dafür wurden Büros und Garagen von der Flughafengesellschaft gemietet“, sagt Schwarz.

A320 und A380 für neue Käufer umlackieren?

Großbongardt geht allerdings davon aus, dass etliche Flugzeuge nicht nur für ein paar Monate eingemottet werden müssen. Denn viele Airlines werden nach seiner Einschätzung die Corona-Krise nicht überstehen, andere würden zumindest ihre Bestellungen stornieren. So erwägt etwa der A380-Großkunde Emirates verschiedenen Berichten zufolge, die letzten fünf der doppelstöckigen Jets nicht mehr abzunehmen, drei davon sollen fertig ausgestattet in Hamburg stehen.

Wie Airbus unter den Folgen der Pandemie leidet (Podcast):

Zwar dürfte es bei Flugzeugen der A320-Reihe leichter sein als bei einem A380, einen anderen Käufer für bereits fertiggebaute Jets zu finden. Aber zumindest die Kabinenausstattung müsse dann nachträglich umgerüstet werden, außerdem werde eine Umlackierung fällig, so Großbongardt: „Der Hersteller muss dann noch mal die eine oder andere Million dafür ausgeben.“

Airbus-Chef Faury bleibt kämpferisch

"Die Auslieferungen von Verkehrsflugzeugen haben sich im ersten Halbjahr 2020 halbiert", sagt Airbus-Chef Guillaume Faury (Archiv). © HA | Michael Rauhe

Schon weil in wichtigen Marktregionen wie etwa in Indien oder in Indonesien die Corona-Situation keineswegs unter Kontrolle sei, hält der Branchenexperte selbst die auf 40 Jets pro Monat verringerte Produktionsrate der A320-Reihe für noch immer um 20 bis 25 Prozent zu hoch.

Im ersten Halbjahr 2020 hat sich die Zahl der an Kunden ausgelieferten Ziviljets nach Angaben von Airbus-Chef Guillaume Faury auf 196 Maschinen halbiert. Der Konzernumsatz brach um fast 40 Prozent auf 18,9 Milliarden Euro ein. „Wir befinden uns in einer schwierigen Lage mit unsicheren Zukunftsaussichten“, so Faury. Er zeigte sich dennoch überzeugt, dass Airbus in einer guten Position sei, „um die Herausforderung für unsere Branche zu bewältigen.“ Eine Geschäftsprognose für 2020 wagt Faury allerdings nicht.

Airbus spricht mit Betriebsrat wegen Jobabbaus

Wie seit Anfang Juli bekannt, will der Konzern wegen der Corona-Krise 15.000 Arbeitsplätze streichen, davon rund 2300 in Hamburg. Darüber laufen derzeit Gespräche mit dem Betriebsrat. Für die mit dem Abbau verbundenen Kosten werde man eine Rückstellung von 1,2 Milliarden bis 1,6 Milliarden Euro einplanen, hieß es nun.

Im Hinblick auf die geparkten Jets dürfte es für Faury kaum ein Trost sein, dass der Konkurrent Boeing ein noch viel größeres Problem hat: Weil das nach zwei Abstürzen verhängte Flugverbot für die 737 Max immer noch gilt, stehen 400 dieser Jets auf dem Hof.