Hamburg. Unternehmen aus der Metropolregion profitieren von einer hohen Nachfrage in der Pandemie. Großauftrag kommt von Justizbehörde.
Matthias Walda springt ins Auto. Kurz ein Blick auf die Uhr, dann macht er sich auf den Weg zurück zum Firmensitz in Börnsen östlich von Hamburg. Walda verdient sein Geld mit Schutzmaßnahmen in der Pandemie. Denn er ist Geschäftsführer der Firma Acryl Hamburg, die durchsichtige Trenn- und Spuckschutzwände produziert. Eben noch hat er bei einer Arztpraxis in Hamburgs Innenstadt den Empfangstresen ausgemessen. Jetzt geht es zurück, um das passende Produkt herzustellen.
„Bei den Menschen setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Corona-Krise doch länger anhalten wird. Deshalb bestellen immer mehr Kunden haltbare Scheiben“, sagt er und fädelt in den fließenden Verkehr ein. Die Firma Acryl Hamburg ist ein kleiner Betrieb mit fünf Mitarbeitern und stellt normalerweise Abdeckhauben, Bootsscheiben oder Kleinmöbel aus Kunststoff her.
In diesem Jahr hat der Betrieb ein anderes Produkt als Verkaufsschlager, eines an dem die wenigen Mitarbeiter rund um die Uhr zu tun haben. Schutz-Aufsteller für Kassen-, Tresen- und den Lebensmittelbereich, die die Gefahr von Tröpfcheninfektionen und Virusübertragungen minimieren. „Ich habe einmal zu einer Verkäuferin gesagt, sie solle darauf achten, wie viel Feuchtigkeit bei einem normalen Kundengespräch an der Scheibe hängen bleibt. Sie war überrascht.“
Firmen stellen von Messebau auf Plexiglaswände um
Von 7 bis 22 Uhr sind Walda und seine Mitarbeiter derzeit dabei, die Aufträge abzuarbeiten. Weil es so viele sind, hat die Firma befristet eine sechste Arbeitskraft eingestellt. Standardprodukte werden innerhalb von zwei Tagen gefertigt. Individuelle Plexiglasscheiben, die auf die jeweiligen Räumlichkeiten zugeschnitten sind, dauern bis zu einer Woche. 50 bis 100 solcher Scheiben hat Acryl Hamburg im Vor-Corona-Jahr verkauft. Jetzt sind es mehrere hundert. „Ich habe aufgehört, sie zu zählen.“
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Sein erster Auftrag sei Anfang März von einer Apotheke um die Ecke gekommen, erinnert sich Walda. Inzwischen beliefert das Unternehmen Arztpraxen, Einzelhändler und Behörden. Derzeit wachse die Nachfrage von Schulen, die immer mehr Probleme mit dem Virus bekämen. Der Umsatz des mittelständischen Betriebs ist allerdings nicht in die Höhe geschossen. „Wir waren auch im Bau von Messeständen aktiv. Und dieser ganze Bereich ist weggebrochen“, sagt Walda. Er gehe davon aus, dass sich der Umsatz im Saldo nur wenig erhöht habe.
Etwas anders ergeht es der Firma AF Acryl- und Frästechnik GmbH in Buchholz. Der Drei-Mann-Betrieb fertigt normalerweise für Handwerk und Industrie technische Produkte, aber auch Messedisplays. Die Auftragslage in diesem Bereich ist dünn. Dafür hat das Unternehmen erst kürzlich innerhalb von 14 Tagen mit Nachtschichten einen Großauftrag der Hamburger Justizbehörde abgewickelt, die 600 Spuckschutzwände bestellt hatte. „Wir haben an allen Hamburger Gerichten die Verhandlungssäle ausgestattet. Der Erlös überstieg schon Ende September den Umsatz des kompletten vergangenen Jahres um 100.000 Euro. Und das Jahr 2020 ist noch gar nicht vorbei. Es läuft gut, wenn auch nicht perfekt“, sagt Geschäftsführer Ralf Siegmann.
Rohstoffnachschub ist gesichert
Die Versorgung mit Plastik klappt: Probleme mit dem Rohstoffnachschub hätten die Unternehmen nicht, heißt es vom Einkaufs-Verband Deutscher Kunststoffhändler (EVDK), der die stark mittelständisch geprägte Branche vertritt. Die Industrie und die Lieferketten hätten sich inzwischen auf die Situation eingestellt. Zwar gebe es auch jetzt in der zweiten Infektionswelle eine wachsende Nachfrage nach Hygieneschutz. Diese sei aber überhaupt nicht zu vergleichen mit dem Riesenbedarf im März.
Einer der Rohstofflieferanten dieser Firmen ist der Hamburger Kunststoffhersteller Albis. Rohstoffe für Schutzwände stellen aber keinen Schwerpunkt für das Unternehmen dar, wie Unternehmenssprecher Lennart Meyer sagt. „Wir haben jedoch zahlreiche Kunden, die Produkte herstellen, die aufgrund der Covid-19-Pandemie stark gefragt sind. Zum Beispiel liefern wir spezifische technische Kunststoffe an Hersteller von Beatmungsgeräten, allgemeinem Krankenhausbedarf wie Spritzen und Laborbedarf für Corona-Tests.“
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In diesen Produktsegmenten verzeichnet Albis einen deutlichen Anstieg. „Eine genaue Größenordnung können wir erst zu einem späteren Zeitpunkt im Jahr nennen“, so Meyer. „Andere Produktsegmente und Industrien, in denen wir tätig sind, sind vom Lockdown betroffen und können nicht wie gewohnt produzieren.“ Das betreffe im Bereich Medizintechnik zum Beispiel die Hersteller von Prothesen. Ebenso würden andere Branchen – wie die Autoindustrie – leiden, für die Albis tätig ist. „Unter dem Strich konnten wir gruppenweit eine vergleichsweise stabile wirtschaftliche Entwicklung verzeichnen. Als inhabergeführter Mittelständler profitieren wir derzeit davon, dass wir schnell auf die Situation reagieren konnten“, so der Unternehmenssprecher.
Bei Acryl Hamburg kehrt derweil keine Ruhe ein. Walda ist schon wieder unterwegs; er soll die Theke einer Bäckerei ausmessen. Und das Telefon steht nicht still. Wenig später kommt der nächste Auftrag herein.
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