Hamburg. Als Kämpferin für Hamburgs Konsumenten hat sich Silke Schwartau wiederholt mit mächtigen Unternehmen angelegt. Jetzt ist Schluss.

Es gibt eine Situation aus ihrer Anfangszeit bei der Hamburger Verbraucherzentrale, die lässt Silke Schwartau immer noch den Kopf schütteln. Weil sich darin die Arroganz der Konzerne ausdrückt und eine gehörige Portion Dreistigkeit. Gemeinsam mit Kollegen hatte sie eine Broschüre über Fette in der Ernährung erstellt – gesunde und ungesunde. „Kurz darauf ist ein Mitarbeiter eines großen Lebensmittelherstellers in unserer Büro marschiert, hat sich auf meinen Schreibtisch gesetzt und erklärt, dass man das Heft samt vorbereiteter Pressemeldung einstampfen werde“, erinnert sie sich.

Das war Anfang der 1980er-Jahre. Verbraucherschutz war damals noch kein großes Thema, viele sahen darin ein Feindbild für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands. „Wir hatten unzählige Kampfdiskussionen“, sagt Silke Schwartau. Nicht nur von Unternehmen, auch aus der Politik kam kräftig Gegenwind. Bei einer Ausstellung über Hormone im Fleisch 1982 meldete sich sogar das Bundeslandwirtschaftsministerium und verlangte die sofortige Schließung. „Das haben wir nicht gemacht“, sagt die Verbraucherschützerin und grinst ein wenig.

Gepantscher Wein, Rinderwahnsinn, Fukushima

Es ist nicht übertrieben, die 63-Jährige als Vorkämpferin für die Rechte von Verbrauchern zu bezeichnen. Ihr Gebiet sind Lebensmittel und Ernährung. Skandale um gepanschten Wein, Rinderwahnsinn, verseuchte Eier, Atomkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima, jetzt die Auswirkungen der Corona-Pandemie – Silke Schwartau hat informiert, beraten und immer wieder auch juristische Streitigkeiten begleitet. „Es hat sich vieles geändert“, sagt sie nach 40 Jahren im Job. „Der Verbraucherschutz hat heute einen ganz anderen Stellenwert.“ Nicht nur in Hamburg ist der Bereich inzwischen so wichtig, dass es eine Senatorin das Thema im Titel trägt. Schwartau nickt zufrieden. Für sie ist Verbraucherschutz mehr als ein Job: eine Lebensaufgabe. Jetzt geht sie in den Ruhestand.

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Angefangen hatte alles schon während ihres Studiums. Schwartau, die auf einem Bauernhof auf Finkenwerder aufgewachsen ist, hatte sich in den damals noch neuen Studiengang Ökotrophologie an der Fachhochschule in Bergedorf eingeschrieben. Nach einem dreimonatigem Praktikum bewarb sie sich nach dem Abschluss um eine Stelle bei der Verbraucherzentrale. 1980 fing sie an. Sie waren gerade mal zehn Mitarbeiter, saßen beengt in einem Geschäftshaus an den Großen Bleichen. „Damals haben wir vor allem Produkte ausgestellt. Konsumkritik spielte keine Rolle“, erinnert sich Silke Schwartau. Typische Anfragen in ihrem Bereich waren: Welche Lebensmittel sind gesund? Wie kommt man mit dem Haushaltsgeld klar?

Heute in Zeiten von weitreichenden Verbraucherrechten im europäischen Markt ist das kaum noch vorstellbar. Schwartau wollte schon damals mehr. „Ich bin ein politischer Mensch“, sagt sie. Während des Studiums war sie in Frauenaktionsgruppen aktiv und hat sich auf Finkenwerder gegen die Verschmutzung der Elbe und Pestizideinsatz auf Feldern engagiert. Mit dem Wandel der gesellschaftlichen Stimmung in den 1970er-Jahren wollten immer mehr Menschen etwas gegen Umweltverschmutzung und Atomkraft tun. „Auch bei uns in der Verbraucherzentrale haben wir gesagt, so geht es nicht weiter.“

Liste mit Zusatzstoffen hat heute 90 Seiten

Statt Produkte zu präsentieren, fingen die Hamburger an, bei Behörden und Industrie für mehr Verbraucherrechte zu kämpfen. Himbeeren mit Noroviren, die Kitakinder krank machten, oder Salmonellen im festlichen Konfirmationsessen mit schweren Folgen? Schwartau kümmerte sich – und machte Probleme öffentlich. „Wir haben Pressemitteilungen geschrieben und in die Fächer der Redaktionen im Rathaus gebracht“, sagt die Mutter von zwei erwachsenen Söhnen. Eine Broschüre über Lebensmittelzusatzstoffe in der Nahrung, die vor gut 40 Jahren mit 30 Seiten im Pixi-Buch-Format erschienen war, schrieb sie weiter. Inzwischen gibt es die 23. überarbeitete Auflage mit 90 Seiten.

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    Jetzt sitzt die Leiterin der Abteilung Lebensmittel und Ernährung im sechsten Stock der Verbraucherzentrale an der Kirchenallee. Durch die großen Panoramafenster blickt sie auf das bunte Leben in der Langen Reihe. In ihrem Büro hängen Plakate, auf denen die – ungesunden – Inhaltsstoffe von Nutella und Milchschnitte angeprangert werden. In einer Vitrine stehen Zuckerwürfel-Pyramiden. „Damit kann man Kindern gut erklären, wie viel Zucker zum Beispiel in Coca-Cola ist“, sagt Schwartau, die immer wieder auch als Expertin in Talkshows eingeladen wurde. Seit ihrem Berufsstart hat sich viel geändert. Auch wenn morgens vor der Öffnung um zehn Uhr Verbraucher stehen und warten, ist die Arbeit digitaler geworden. „Wir beraten viel am Telefon, aber unsere Internetseite und soziale Medien wie Facebook sind extrem wichtig.“

    Verbraucherschutz quasi in die Wiege gelegt

    Heute arbeiten hier 76 Beschäftigte, die im vergangenen Jahr knapp 124.000 Informations- und Beratungsangebote verzeichneten. Mit Beginn der Corona-Pandemie im März bis Ende Juli waren es fast 35.000 Kontakte. Die Hamburger Verbraucherzentrale hat den Ruf, besonders kämpferisch zu sein. Das hat möglicherweise auch mit ihrer Geschichte zu tun. Vor 100 Jahren haben sich die Hamburger bei den Sülzeunruhen zum ersten Mal gegen verunreinigte Lebensmittel gewehrt.

    Die Verbraucherzentrale war bei der Gründung 1957 die erste Deutschlands. „Der Verbraucherschutz wurde mir in die Wiege gelegt“, sagt Schwartau, die 1957 geboren wurde.

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    In ihrer Abteilung wird regelmäßig die Mogelpackung des Monats angeprangert – zum Missfallen der Hersteller. Im vergangenen Jahr gab es Untersuchungen zu Produktrückrufen, zu Plastikverpackungen bei Obst und Gemüse und zum Zucker- und Salzgehalt von Nestlé-Produkten sowie eine Aktion gegen Lebensmittelverschwendung – das sind nur einige Arbeitsschwerpunkte des vergangenen Jahres. Das Ressort mit 2,3 Stellen entlarvte auch Greenwashing in der Kosmetikindustrie.

    Außerdem deckte Schwartau auf, dass einige Caterer von Kitas und Schulen zwar mit Bio-Produkten warben, sie aber nur teilweise einsetzen. „Inzwischen haben alle eine Bio-Zertifizierung, auf die sich Eltern verlassen können“, sagt sie nicht ohne Stolz. Insgesamt machte ihre Abteilung 453 telefonische und 190 persönliche Beratungen. 3000 Mails und Briefe wurden beantwortet und 26 Vorträge gehalten.

    Nachfolger ist Armin Valet

    Damit ist jetzt Schluss. Am 31. August übergibt Schwartau an ihren Nachfolger Armin Valet, mit dem sie bereits 2007 das Buch „Vorsicht Supermarkt!“ veröffentlicht hat. Tierhaltung, Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Etikettenschwindel und – eines ihrer Lieblingsprojekte – die flächendeckende Umsetzung der Ernährungsampel nennt sie nur einige Punkte auf der künftigen Agenda. Ja, da klingt auch ein bisschen Wehmut durch. Ein Projekt nimmt sie mit in den Ruhestand, es geht um Auswirkungen von Freihandelsabkommen auf das Lebensmittelangebot. Aber auch privat hat sie Pläne. So will sie mehr in der Stiftung Social Business mitarbeiten, die sie gemeinsam mit ihrem zweiten Ehemann Gerhard Bissinger gegründet hat. Außerdem plant sie den Aufbau von Mädchen-Schachclubs an Schulen und ist gerade in den Vorstand der Geschichtswerkstatt auf Finkenwerder gewählt worden.

    „In den vergangenen 40 Jahren ist viel passiert“, sagt Schwartau. „Verbraucherschutz ist inzwischen etabliert. Als Verbraucherschützer sind wir anerkannt und geben Orientierung in einer unübersichtlichen Konsumwelt.“ Dass ein Unternehmensvertreter das Einstampfen eines kritischen Textes fordert – mittlerweile ist das undenkbar. Firmen würden das Gespräch suchen, wenn es um Verpackungsmüll oder problematische Inhaltsstoffe geht.

    „Die Verbraucher sind mündiger geworden.“ Trotzdem gebe es immer noch Menschen, die weiterhin das billigste Fleisch kauften, obwohl sie wissen, wie die Tiere gehalten würden. „Völlig skrupellos“, schimpft Silke Schwartau, und man erkennt für einen Moment die zornige junge Verbraucherschützerin der Anfangsjahre.