Hamburg. Die Nährwert-Ampel soll auf freiwilliger Basis kommen. Welche Konzerne sie einführen wollen – und wer sich gegen den Nutri-Score wehrt.

Bisher ist das Logo mit der farbig unterlegten Buchstabenskala von A bis E auf Lebensmitteln in Hamburger Supermärkten erst sehr selten zu finden. Doch wenn es nach Verbraucherschützern ginge, würde sich das schon bald ändern. „Das Siegel muss auf jeden Fall verpflichtend werden, denn wir haben in Deutschland ein enormes Problem mit Übergewicht bei Kindern und Erwachsenen“, sagt Silke Schwartau, Abteilungsleiterin Lebensmittel und Ernährung bei der Verbraucherzentrale Hamburg.

Sie spricht vom so genannten Nutri-Score, einer Art Lebensmittel-Ampel.

Nutri-Score muss verpflichtend werden, fordern Verbraucherschützer

Zwar hat sich Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) Ende September nach einer Verbraucherbefragung, in der drei verschiedene Kennzeichnungssysteme getestet wurden, für den Nutri-Score entschieden. Bis Mitte 2020 will die Ministerin mit einer entsprechenden Verordnung die rechtlichen Voraussetzungen für die Einführung des Nährwertlogos schaffen – allerdings sollen die Lebensmittelhersteller selbst entscheiden dürfen, ob sie es auf ihre Produkte drucken oder nicht. „Das muss Frau Klöckner noch ändern“, fordert Silke Schwartau.

Sie ist sich darin mit den Experten der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch einig. „Die Erfahrung zeigt, dass freiwillige Lösungen sich nie ganz durchsetzen“, heißt es von Foodwatch. In Frankreich, wo der Nutri-Score bereits 2017 eingeführt wurde, trügen bisher lediglich 25 Prozent der Produkte die Kennzeichnung. Foodwatch fordert von Klöckner daher, sich dafür einzusetzen, dass die Verwendung des Nutri-Score europaweit zur Pflicht wird.

Wie die Nährwert-Ampel Nutri-Score funktioniert

Mit dem Logo, das auf Erkenntnissen von Ernährungswissenschaftlern aus Großbritannien und Frankreich basiert, soll möglichst auf einen Blick gezeigt werden, ob ein Produkt eine ausgewogene Ernährung unterstützt oder eher behindert. Ungünstige Faktoren wie der Energiegehalt, Zucker, gesättigte Fettsäuren und Salz werden mittels eines Punktesystems gegen günstige Faktoren wie den Ballaststoff- und Eiweißgehalt sowie den Anteil an Obst, Gemüse und Nüssen aufgerechnet.

Aus der somit erreichten Gesamtpunktzahl wird dann die Bewertung auf einer Skala von grün (A) bis rot (E) abgeleitet. Dabei erfolgt die Berechnung – im Gegensatz zu anderen Systemen – immer je 100 Gramm beziehungsweise 100 Milliliter.

Iglo wurde daran gehindert, den Nutri-Score einzuführen

Mehrere Lebensmittelunternehmen haben bereits angekündigt, den Nutri-Score einsetzen zu wollen. Dazu gehören Nestlé, Bofrost, Iglo, McCain (tiefgekühlte Kartoffelprodukte) und Mestemacher (Brot- und Backwaren).

Zwar hat der Hamburger Tiefkühlkost-Spezialist Iglo schon Anfang des Jahres erste Packungen mit dem Logo versehen. Doch der in München ansässige „Schutzverband gegen Unwesen in der Wirtschaft e.V.“ erwirkte im April beim Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung dagegen. Die Begründung des Vereins, der nach eigenen Angaben „häufig auf Veranlassung von Unternehmen“ tätig wird: Die wissenschaftliche Basis der Kennzeichnung sei nicht belegt, außerdem verstoße sie gegen eine EU-Verordnung zu Nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben bei Lebensmitteln.

Rewe, Aldi und Lidl wollen den Nutri-Score übernehmen

Kurz vor der Berufungsverhandlung am Donnerstag beim Oberlandesgericht Hamburg einigte sich Iglo jedoch mit dem „Schutzverband“ und will das Logo nun spätestens im Februar wieder einsetzen. Bis dahin können sich Verbraucher im Internet über die Nutri-Score-Bewertung der Iglo-Produkte informieren. Danone, der Hersteller von Marken wie FruchtZwerge, Dany und Actimel, druckt das Siegel bereits auf manche Packungen, bis Ende 2019 soll es auf fast 90 Prozent aller Produkte zu sehen sein.

Die Handelskette Rewe hat die Entscheidung von Ministerin Klöckner für das Logo begrüßt und möchte bei der Nährwertkennzeichnung mit ihren Eigenmarken eine „Vorreiterrolle“ übernehmen. Auch die Discounter Aldi und Lidl teilten mit, sie wollten die Nährwertampel für Teile ihrer Eigenmarken einführen.

Edeka und Unilever zögern bei der Nährwert-Ampel

Deutschlands größter Lebensmitteleinzelhändler jedoch, die Edeka-Gruppe aus Hamburg, will sich noch nicht festlegen. Firmensprecher Gernot Kasel erklärte, derzeit laufe in Edeka-Märkten ein Praxistest von drei Nährwertkennzeichnungsmodellen, darunter der Nutri-Score. Nach Auswertung der Ergebnisse werde man „über mögliche weitere Schritte entscheiden“.

Zögerlich gibt man sich in der Hamburger Deutschland-Zentrale des Konsumgüterherstellers Unilever mit Marken wie Knorr, Pfanni und Langnese. In Abhängigkeit von den „regulatorischen Rahmenbedingungen“, die in den kommenden Monaten festgesetzt werden, wolle Unilever „über die Nutzung von Nutri-Score für Produkte im deutschen Markt entscheiden“, erklärte Firmensprecherin Nadja Kleszcz.

Unilever hält Nutri-Score für ungeeignet

Der Konzern hat allerdings grundlegende Bedenken gegen dieses spezielle Logo: „Unilever ist der Überzeugung, dass ein portionsbasiertes Kennzeichnungssystems ein geeigneteres Instrument zur Verbraucherinformation ist, weil es Nährwertinformationen genau für die Menge eines Lebensmittels anzeigt, die der Verbraucher wirklich zu sich nimmt, und nicht für eine theoretische 100-Gramm- oder 100-Milliliter-Einheit.“

Nach Auffassung von Unilever spiegelt der Nutri-Score in seiner aktuellen Form nicht die Bedeutung unterschiedlicher Lebensmittel für die Ernährung wider und helfe „nur bedingt bei der Zusammenstellung einer ausgewogenen Ernährung.“

Nestlé kritisiert den Nutri-Score

Selbst der Nutri-Score-Unterstützer Nestlé kritisiert einzelne Merkmale des Siegels: „Nutri-Score beurteilt ein einzelnes Lebensmittel und nicht den gesamten Speiseplan“, heißt es dazu von dem Schweizer Konzern. Außerdem werde die Menge, in der das Produkt verzehrt wird, also die Portionsgröße, nicht beachtet. Gegner bemängeln, dass längst nicht alle Inhaltsstoffe in die Berechnung der Bewertung eingehen und dass der Konsumenten nicht darüber informiert wird, ob Geschmacksverstärker enthalten sind oder nicht.

„Wer wissen möchte, was alles drin ist, kann in die Zutatenliste schauen, die ja weiterhin ebenfalls aufgedruckt ist“, sagt dazu Verbraucherschützerin Schwartau. „Was wir brauchen, ist eine vereinfachte Darstellung des Nährwerts. Wenn man ein wirklich umfassendes Bild vermitteln möchte, wie wertvoll oder wie schädlich ein bestimmtes Produkt für eine gesunde Ernährung ist, geht das eben nicht mit einer vereinfachten Darstellung“, so die Expertin.

Nutri-Score getestet: Nutella und Coca-Cola mit schlechtestem Wert

Sie hält auch wenig von einer portionsbasierten Kennzeichnung: „Kaum jemand isst nur genau einen Keks. Wir sind für eine einheitliche Bezugsgröße wie etwa ‘pro 100 Gramm’, sonst gibt es ein Wirrwarr.“ Die Verbraucherzentrale Hamburg hat den Nutri-Score beispielhaft auch für einige Produkte berechnet, deren Hersteller ihn nicht auf die Ware drucken. Demnach erhielten Nutella und Coca-Cola die schlechteste Bewertung E.

Silke Schwartau lässt jedenfalls keinen Zweifel daran, dass sie die Entscheidung der Bundesregierung für die Einführung einer Nährwertkennzeichnung begrüßt: „Wir haben lange darauf warten müssen, auch weil die Industrie mit Lobby-Arbeit versucht hat, eine solche Kennzeichnung abzuwenden.“ Sie verpflichtend zu machen, wie von Verbraucherschützern gefordert, dürfte jedoch nicht einfach werden.

Ernährungsministerium verweist auf EU-Recht

Denn nach Angaben des Ernährungsministeriums ist eine derartige Bewertung europarechtlich nur als „staatliche Empfehlung“ möglich. Ministerin Klöckner will sich aber für ein EU-weit einheitliches System einsetzen, das dann über eine Änderung der EU-Verordnung als verpflichtend erklärt werden könnte. Im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 könnte Klöckner eine solche Initiative starten.

Mit einer freiwilligen Kennzeichnung lasse sich das Ziel der Nährwertkennzeichnung schließlich nur unvollkommen erreichen, sagt Schwartau: „Dann werden fast nur Unternehmen wie Bofrost oder Danone, die viel Gemüse beziehungsweise viele Milchprodukte anbieten, den Nutri-Score verwenden.“