Hamburg. Aldi und Lidl haben Marktanteile verloren. Warum Verbraucherschützer die Rabattschlacht auch mit Sorge betrachten.
Als am Anfang der Corona-Krise die Supermarktregale oft tagelang leer gekauft waren, spielten Rotstift-Aktionen im Lebensmittelhandel keine große Rolle. Wichtiger als der Preis war, dass es überhaupt Nudeln, Toilettenpapier oder Mehl zu kaufen gab. Das hat sich inzwischen drastisch geändert. Seit Tagen liefern sich Deutschlands größte Discounter-Ketten Aldi und Lidl ein Duell der Tiefstpreise – und fordern sich mit Werbeattacken gegenseitig heraus. Auslöser für die neue Eskalationsstufe im seit Jahren währenden Preiskrieg zwischen den Billigketten ist die Senkung der Mehrwertsteuer zum 1. Juli im Rahmen des Corona-Konjunkturpakets. Die ewig währende Frage im Discounter-Zoff: Wer ist der billigste im ganzen Land?
Gerade mussten die Mitarbeiter der Lidl-Märkte wieder einmal neue Preistafeln anbringen. Auch in den etwa 60 Filialen in Hamburg machen die knallroten Billiger-Schilder an den Regalen auf Rabatte aufmerksam. Eine Tafel Milka-Schokolade gibt es für 1,07 statt 1,09 Euro, ein Liter Biomilch kostet 1,05 statt 1,09 Euro und für ein Pfund Jacobs Krönung zahlt man jetzt 3,43 statt vorher 3,49 Euro. Anfang der Woche hatte das Handelsunternehmen Preissenkungen für das gesamte Sortiment um mindestens drei Prozent verkündet – und passte damit seine Preispolitik an die des Erzrivalen Aldi an.
Im gleichen Zug wurden allerdings Reduzierungen um zehn Prozent für einzelne Artikel, die der Discounter erst eine Woche zuvor eingeräumt hatte, wieder zurückgenommen. Unter anderem bei Iglo Fischstäbchen oder Nutella. Jetzt seien 4000 Produkte günstiger, versucht der Discounter der Neckarsulmer Schwarz-Gruppe mit bundesweit 3200 Märkten, den Kunden das „Preis-Ping-Pong“ (so das Branchenblatt „Lebensmittelzeitung“) schmackhaft zu machen. „Dadurch unterstreicht Lidl seinen Anspruch, den Kunden die beste Qualität zum günstigsten Preis zu bieten“, heißt es in einer Mitteilung.
Preiskampf bei Aldi und Lidl: Es geht oft um geringe Cent-Beträge
Für die Kunden ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten. Bei der Verbraucherzentrale Hamburg sind die Anfragen nach der Mehrwertsteuersenkung deutlich gestiegen. „Gerade Menschen mit wenig Geld wollen wissen, wie sie von den Reduzierungen profitieren können“, sagt Lebensmittel-Expertin Silke Schwartau. Wenn dann etwa wie bei Lidl der Laden voll von Rabatt-Schildern hänge, werde der Eindruck vermittelt, dass die Konsumenten sehr viel Geld sparen könnten. „Das ist übertrieben. In Wirklichkeit geht es jeweils um geringe Cent-Beträge.“
Schwartau sieht den Preiskampf mit gemischten Gefühlen. „Natürlich sind wir nicht gegen niedrigere Preise, wenn sie dem Verbraucher nützen.“ Es wäre aber sehr bedauerlich, wenn eine Rabattschlacht Themen wie Tierwohl, bessere Lebensmittel-Qualität und Nachhaltigkeit in den Hintergrund rücken würde, so die Verbraucherschützerin.
Lesen Sie auch:
- Nährwert-Ampel auf Lebensmitteln kaum zu finden
- Mehrwertsteuersenkung – der große Abendblatt-Test
- iPhone und AirPods bei Aldi: Hat das Angebot einen Haken?
Die neue „Geiz ist geil“-Welle hatte Anfang des Monats Aldi Süd losgetreten. „Teuer kannste dir spar’n“ lautete der Werbespruch in Zeitungen und sozialen Medien neben dem Bild eines prall gefüllten Einkaufswagens. Dazu hatte die Discounterkette mit 4200 Märkten bundesweit, die Bon-Summen für die Waren bei der Konkurrenz wie Lidl, Rewe und Edeka gestellt – um den deutlich günstigeren Aldi-Preis hervorzuheben.
Vergleichende Werbung? Bislang in Deutschland eher unüblich und im strengen Blick der Wettbewerbszentrale. Trotzdem hatte Lidl kurz darauf nachgezogen und ebenfalls einen voll beladenen Einkaufswagen und entsprechende Preisvergleiche präsentiert. Kaum überraschend, dass dabei das Lidl-Angebot besser wegkam. Wie schon Wettbewerber Aldi hatte sich auch Lidl den Preisvergleich durch ein – jeweils anderes – Marktforschungsinstitut bescheinigen lassen.
„Der Preiskampf war absehbar“
„Der Preiskampf war absehbar“, sagt Michael Gerling, Experte für den Lebensmittelbereich beim EHI Retail Institute in Köln. Die Discounter hätten während der Corona-Krise Marktanteile an die Supermärkte verloren. Gerade in der Phase des Lockdowns seien die Kunden seltener einkaufen gegangen und hätten daher eher Supermärkte mit deutlich umfangreicheren Sortimenten angesteuert, so Gerling, der Geschäftsführer des Forschungs- und Bildungsinstituts des Handels ist.
„Als die Bundesregierung die Mehrwertsteuersenkung angekündigt hatte, war klar, dass die Discounter das nutzen, um an der Preisspirale zu drehen.“ Ähnlich wie bei der Euro-Umstellung 2002 habe Aldi sehr schnell reagiert und eine generelle Reduzierung um drei Prozent angekündigt. „Eigentlich ist im Lebensmittelhandel akzeptiert, dass Aldi die Preisstruktur nach unten setzt“, so Gerling. Das habe Lidl jetzt offenbar aufbrechen wollen.
Aus Sicht des Handelsexperten könnte sich der Kampf der Discounterketten um Kundschaft und Wachstum auf den gesamten Lebensmitteleinzelhandel auswirken. „Die Verbraucher reagieren darauf. Die Preissensibilität der Deutschen ist legendär“, sagt der EHI-Geschäftsführer. Angesichts der wirtschaftlichen Unsicherheit, die viele Konsumenten belastet, erwartet er, dass die Marktanteile der Billiganbieter in der zweiten Jahreshälfte wieder deutlich steigen. Mit Folgen: Gerling befürchtet ähnlich wie Verbraucherschützerin Schwartau, dass die Anstrengungen von Politik und Handel, mehr Wertschätzung für Lebensmittel zu erreichen ad absurdum geführt werden könnten. „Die Mehrwertsteuersenkung in dem niedrigen Bereich ist ein Fehler. Den Kunden bringt sie kaum spürbare Ersparnisse, und der Lebensmittelhandel hat eine Stimulierung derzeit nicht nötig.“
Branche reagiert nervös auf Nachbeben der Mehrwertsteuersenkungen
Die Branche reagiert nervös auf das Nachbeben der Mehrwertsteuersenkungen. Aldi etwa hat angekündigt, sich die Preissenkungen einen dreistelligen Millionenbetrag kosten lassen zu wollen, in dem sie auf Marge verzichten. Deutschlands größter Lebensmittelhändler Edeka hat sich inzwischen in einem offenen Brief an die Verbraucher gewandt. Motto: „Wir können nicht nur günstig. Wir können mehr! Keiner bietet so viele Alternativen wie wir“, so die Regionalgesellschaft Südwest in Richtung der Discounter. „Den Weg zum Discounter können Sie sich sparen.“
Edeka-Händler haben in der Regel 30.000 bis 40.000 Artikel im Sortiment, bei denen die Steuerreduzierung komplett weitergegeben wird. Einen anderen Weg hat Konkurrent Rewe gewählt: „Rewe möchte seinen Kunden beim Einkauf einen größeren Nutzen und Mehrwert bieten, der über die einfache Weitergabe der Mehrwertsteuersenkung hinausgeht“, heißt es auf Anfrage des Abendblatts. So würden bei mehr als 5000 Artikeln des täglichen Bedarfs die günstigeren Steuersätze weitergegeben. Bei mehr als 1000 Produkten gingen die Preissenkungen noch spürbar darüber hinaus. Zudem soll es wöchentlich wechselnde Preissenkungen im zweistelligen Prozentbereich geben.
Ärger um Preisvergleichswerbung von Aldi
Inzwischen hat sich die Zentrale für den unlauteren Wettbewerb nach mehreren Beschwerden in den öffentlich ausgetragenen Preiskampf eingeschaltet – und die Preisvergleichswerbung von Aldi beanstandet. „Wir sind der Auffassung, dass der Vergleich so nicht nachvollziehbar ist“, sagt Wettbewerbshüterin Christiane Köber. Weder in der Anzeige noch in den Erläuterungen sei genau geschildert worden, welche Waren gekauft worden waren. Das aber sei das Kriterium für einen transparenten Vergleich.
Aldi hat zugesagt, den Preisvergleich zunächst nicht mehr zu verwenden. Bis Ende der Woche sollte eine rechtliche Stellungnahme vorliegen. Die Überprüfung der Lidl-Werbung ergab dagegen keine Beanstandung. „Die Ergebnisse sind anhand der abgebildeten Kassenbons gut nachvollziehbar“, so Köber. Ob die Vergleiche allerdings sinnvoll und für die Kunden nützlich sind, sei eine andere Frage. „Es ist immer eine Momentaufnahme.“