Hamburg. Nur kleine Besuchergruppen dürfen kommen. Freizeitattraktion macht Minus. Gruseln mit Maske auf Distanz – geht das überhaupt?

Andreas Köller kennt alle schaurigen Details. Der Chef des Hamburg Dungeon steht in der Folterkammer und nimmt ein grobschlächtig wirkendes Werkzeug vom Haken an der Wand. „Das ist eine Zungenzange“, sagt er mit bedrohlichem Unterton. „Die wurde eingesetzt, um Spione zum Reden zu bringen.“ Kammer der Qualen nennen die Folterknechte diesen Kerker.

Es gibt mehrere Verliese mit dicken Metallgittern. An der Wand hängt ein Mann mit offenem Brustkorb, aus dem schon die Organe quellen. Alles aus Silikon, aber im Schummerlicht wirkt es ganz schön echt. Normalerweise drängen sich hier 36 Besucher, um sich beim Sprung in die Jahre der napoleonischen Besatzungszeit um 1810 in Hamburg genussvoll zu gruseln. Jetzt kleben auf dem Boden Punkte mit Skelettfüßen, die zeigen: Hier dürfen zwei Personen stehen. „Wegen der Abstandsregeln können wir nur noch maximal zehn Besucher pro Gruppe reinlassen“, sagt Köller. Es klingt, als ob er sich dabei ein bisschen gruselt.

Gruseln mit Maske und Distanz

Seit gut einer Woche ist das Hamburg Dungeon wieder offen – nach fast vier Monaten Corona-Zwangspause. „Es war total stressig, weil wir die ganze Zeit darauf gewartet haben, dass es losgeht“, sagt der Betriebsleiter, dessen Arbeitgeber der weltweit agierende Konzern Merlin Entertainments Group ist. Zwar hätten er und sein Team früh ein Hygienekonzept vorlegt.

Aber anders als etwa das Miniatur Wunderland nebenan oder das Panoptikum am Spielbudenplatz, die in der Kategorie Museum geführt werden, gehört das Dungeon zu den letzten Hamburg-Attraktionen, die wieder starten konnten. „Wir sind natürlich froh“, sagt der 57-Jährige. Gruseln mit Maske und Distanz – geht das überhaupt? „Wir nutzen die Urängste des Menschen. Dazu brauchen wir eigentlich Enge, Dunkelheit und Unerwartetes“, sagt Köller. „Das ist mit den Corona-Auflagen schon deutlich schwieriger.“

Wasserbahn ist geschlossen – zum Schutz vor Infektionen

Das Dungeon entführt die Besucher in 600 Jahre dunkle Geschichte der Hansestadt: von den illegalen Geschäftemachern im Gängeviertel bis zur waghalsigen Flucht aus einem düsteren Zellentrakt in Hamburgs Gefängnis Santa Fu. „Wir haben jetzt einiges umgebaut“, sagt Köller, während er im Schnelldurchgang durch die 3500 Quadratmeter große Ausstellungsfläche in einem alten Speicher am Kehrwieder geht. In der Folterkammer werden Gäste jetzt nicht mehr mit der glühend heißen Zungenzwange bedroht, damit sie Geheimnisse ausplaudern. Zu nah. Die Assistenz bei der Untersuchung einer Leiche im Pestkrankenhaus, bei der es aus Pestbeulen schon mal gefährlich spritzen kann. Nur Wasser, aber trotzdem keine gute Idee. Die Wasserbahn, eine der Attraktionen bei einem riskanten Schmuggelversuch, oder der beliebte Foto-Stopp am Pranger fallen komplett aus. Aus Hygienegründe gestrichen.

Stattdessen: Standortmarkierungen auf dem Fußboden, Abstandhalter zu den Schauspielern und Desinfektionsspender in den Ecken. „Da müssen wir uns noch was überlegen, damit die optisch besser in unser Konzept passt“, sagt der Dungeon-Chef im Vorbeigehen.

Der wirtschaftliche Druck für den Besucher-Magneten ist hoch. 200.000 Euro Umsatz sind dem Hamburg Dungeon in der Zeit der Schließung verloren gegangen, rechnet Köller vor. Zwar sei der Standort extrem positiv ins Jahr 2020 gestartet und hätte bei guter Reservierungslage für Ostern und Pfingsten mit Erlösen weit über dem Vorjahr rechnen können. Aber das ist alles weggebrochen – bei laufenden Kosten.

Eine Million Euro Minus

Dabei hatte die Unternehmensleitung der Dungeon Deutschland GmbH, zu der neben Hamburg auch der Standort in Berlin gehört, sofort mit Sparmaßnahmen reagiert. Alle 120 Beschäftigten in der Hansestadt, darunter viele in Teilzeit, waren ab April in Kurzarbeit geschickt worden. Das Unternehmen hatte die Aufstockung der Gehälter auf 100 Prozent übernommen, die mit mehreren Zehntausend Euro zu Buche schlägt.

Auch jetzt ist noch kein Mitarbeiter in Vollzeit wieder im Einsatz, etwa die Hälfte arbeitet wieder einen Teil des normalen Stundenkontingents. Darunter Hamburg-Chef Köller, der aktuell statt 40 nur 30 Stunden in der Woche arbeitet. Beim zweiten großen Posten, der Miete, hatte der Vermieter HHLA einer Stundung bis Ende Juli zugestimmt. „Aber das müssen wir natürlich zurückzahlen“, sagt Andreas Köller. „Alles in allem stehen wir vor einem Minus von etwa einer Million Euro.“

Keine Feier zum 20. Geburtstag

Schon jetzt ist klar, dass diese Summe mit dem laufenden Betrieb nicht wieder eingespielt werden kann. Statt mehr als 200 Besucher in der Stunde können wegen der Corona-Vorgaben nur 240 bis 300 – pro Tag – durch die Gruselshow geschleust werden. Unter den aktuellen Bedingungen wären rein rechnerisch in diesem Jahr nicht mehr als 65.000 Besucher möglich, heißt es. 2019 waren es 350.000. Denn um Personalkosten zu sparen, hat das Management die Öffnungszeiten von Montag bis Donnerstag um drei Stunden und an den Wochenenden um zwei Stunden reduziert. Die Führungen wurden von 90 auf 60 Minuten gestrafft. Und die neu inszenierte Klabautermann-Show, die zum 20. Geburtstag des Dungeon in Hamburg eigentlich hätte starten sollen, wurde gestrichen. Dafür gibt es saftige Rabatte von 30 Prozent auf die Tickets, die ausschließlich online gebucht werden können. „Mit den geltenden Abstandsregeln werden wir weiter Minus machen“, sagt Betriebsleiter Köller und wünscht sich weitere Lockerungen für die Branche.

Zukunft der 120 Arbeitsplätze ist weiter unsicher

Ähnlich wie dem Hamburg Dungeon geht es im Moment vielen beliebten Freizeitattraktionen. Auch das Miniatur Wunderland, der Dialog im Dunkeln und sogar der Michel schlagen Alarm. Noch ist unklar, wie Dungeon-Eigentümer Merlin, immerhin nach Disney der zweitgrößte Betreiber von Freizeitattraktionen weltweit, durch die Corona-Krise kommt – und wie bereit er ist, den Standorten Finanzspritzen zu geben. Im Norden gehört auch der Heide Park in Soltau zu dem Spaß-Imperium. Das Hamburger Dungeon ist nach Shanghai und Amsterdam erst der dritte Standort der Kette, der wieder geöffnet ist. „Unsere Arbeitsplätze“, sagt Andreas Köller, „sind aber noch lange nicht sicher.“

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Immerhin lassen ihn die ersten Tage nach dem Neustart hoffen. „Wir haben keine Werbung gemacht, trotzdem waren wir jeden Tag ausverkauft“, sagt Köller. Natürlich bei reduzierten Besucherzahlen. „Aber das ist ein gutes Zeichen, man hat uns nicht vergessen.“ Die Touristen, die trotz Corona wieder in der Stadt seien, suchten Freizeitangebote und seien dankbar. Dabei hätten sich bislang alle vorbildlich an die Maskenpflicht und Abstandsgebote gehalten. Und auch die Resonanz nach dem Besuch sei positiv. „Es ist niemand enttäuscht rausgegangen“, so der Betriebsleiter.

„Zeigt Patriotismus“

Trotzdem bleiben viele unbekannte Faktoren für die nächsten Wochen. Bislang seien gerade mal 20 Prozent der Besucher aus Hamburg und Umgebung gekommen. „Das macht mich nervös.“ Gerade diese Gäste würden nach der Urlaubszeit im Herbst dringend gebraucht. Sonst sei nicht sicher, dass es das Dungeon am Ende des Jahres noch gibt, sagt Köller. Sein Appell an die Hamburger: „Zeigt Patriotismus. Besucht Hamburger Freizeiteinrichtungen, besucht das Dungeon.“