Hamburg. Der Veranstalter aus der Speicherstadt ist von der Krise besonders schwer getroffen und will nun ungewöhnliche Wege gehen.
Die Türen sind noch fest verrammelt. Das Foyer ist menschenleer. Aus einer der oberen Etagen hört man eine Bohrmaschine. Andreas Heinecke steht vor dem Eingang zum Dialog im Dunkeln. Durch das rote Tor strömen normalerweise mehr als 100.000 Besucher im Jahr, um sich von Blinden durch die Finsternis führen zu lassen. Jetzt ist der Gründer und Geschäftsführer des Dialoghauses ganz allein. Anfang März, kurz vor Beginn des Corona-Shutdowns, sind in dem historischen Speicher alle Lichter ausgegangen.
Zeitweilig drohte dem Ausstellungs- und Lernort am Alten Wandrahm sogar das Aus. Jetzt ist klar, dass es wieder losgeht. Seit Anfang Juli vermieten Heinecke und sein Team wieder Veranstaltungsräume an Gruppen. „Von Oktober an wollen wir den Dialog im Dunkeln öffnen und Führungen anbieten“, so der 64-Jährige. Sieben Monate lang wird das Haus dann geschlossen gewesen sein.
„Wir haben nicht damit gerechnet, dass es so lange dauert“, sagt Heinecke. Trotzdem kommt für den Mann, dessen Geschäft die Begegnung ist, eine schnellere Rückkehr zur Normalität nicht infrage. „Wir können im Moment nur auf Sicht fliegen“, sagt er und zählt einige der Unwägbarkeiten auf. Wie entwickelt sich die Pandemie? Kommen wieder Touristen in die Stadt? Ab wann trauen sich Schulklassen, die größte Besuchergruppe, zurück in die Öffentlichkeit?
1,1 Millionen Euro fehlen durch Corona-Schließung
Der Gründer, der das Vorzeigeprojekt vor 20 Jahren in Hamburg gestartet hat, bleibt vorsichtig. „Wir müssen so klein wie nötig und so groß wie möglich denken.“ Anders als die meisten anderen Institutionen wie Museen und Theater wird das Dialoghaus nicht öffentlich gefördert, sondern finanziert sich vor allem durch die Einnahmen aus Eintrittsgeldern. Und als die von einem Tag auf den anderen wegbrachen, war das Sozialunternehmen mit monatlichen Fixkosten von 230.000 Euro schnell in Existenznot.
„Die Politik hatte den gemeinnützigen Sektor nicht auf dem Radar“, sagt Heinecke. Zwar seien für alle möglichen Branchen und Bereiche Rettungsprogramme über die Kreditanstalt für Wiederaufbau aufgelegt worden, aber für Einrichtungen wie das Dialoghaus habe nichts davon gepasst. Schon Ende März fing der gut vernetzte frühere Radio-Journalist an, E-Mails zu verschicken, um auf die Lücke aufmerksam zu machen.
Unter der Betreffzeile „Sozialunternehmer fallen durchs Netz“ warb er für Spenden. Mehr als 400.000 Euro kamen so zusammen, davon 100.000 Euro für die direkte Nothilfe und weitere 300.000 Euro für Entwicklungsprojekte wie einen Dialog der Kinder – zudem jede Menge Aufmerksamkeit. Unter anderem hatte Ralf Mützenich, Chef der SPD-Fraktion im Bundestag, die Misere des Hauses in einer Rede vor den Parlamentariern als Beispiel für fehlende Unterstützung erwähnt.
Inzwischen hat die Politik gehandelt und Mitte Juni ein Hilfspaket für gemeinnützige Organisationen geschnürt. In diesem und im nächsten Jahr stehen zusammen eine Milliarde Euro über ein Kreditsonderprogramm der staatlichen Förderbank zur Verfügung. „Wir werden einen Antrag stellen, sobald die Bedingungen vorliegen“, sagt Dialoghaus-Chef Heinecke. Denn trotz der Spenden, die den Betrieb bis September sichern, ist seine Einrichtung weiterhin gefährdet. „Das Gespenst der Insolvenz ist nach wie vor da.“ Bis Ende 2020 fehlen dem Ausstellungsort 1,1 Millionen Euro Umsatz hat Heinecke ausgerechnet.
15 Kündigungen und 76 Mitarbeiter in Kurzarbeit
In den vergangenen Monaten hat er mit einem Kernteam vor allem den Notstand verwaltet – und die Absagen. Teilweise auch per E-Mail und Video-Chats aus seinem Ferienhaus an der portugiesischen Algarve. Der größte Ausgabeposten, die Personalkosten, konnte durch die Kurzarbeiterregelung reduziert werden. Aktuell sind noch 56 der 132 Mitarbeiter in Kurzarbeit.
Es gab aber auch schon Kündigungen. 15 Beschäftigte des Dialoghauses haben ihren Job verloren. Die Miete für die 4000 Quadratmeter große Fläche in der Speicherstadt, 32.000 Euro im Monat, hat die HHLA als Eigentümer gestundet. Aber irgendwann werden diese Kosten fällig. Dazu stauen sich Kreditzinsen, Versicherungen, Leasingraten. Manchmal habe er in der letzten Zeit schon überlegt, sagt Heinecke, der mit seiner Frau zwischen Hamburg und Paris pendelt, ob es nicht doch besser wäre, den Laden zu schließen.
Konzept wurde in fast 50 Länder exportiert
Aber so tickt er eben nicht. „Ich fühle mich auch als Unternehmer herausgefordert“, sagt er. Das Dialoghaus ist sein Lebenswerk. Die Idee des erlebten Perspektivwechsels ist inzwischen auch ein Exportschlager. Wie fühlt es sich an, nicht sehen oder nicht hören zu können? Wie fühlt es sich an, alt zu sein? In den Ausstellungen Dialog im Dunkeln, Dialog im Stillen oder Dialog mit der Zeit wird der Alltag gehandicapter Menschen direkt erlebbar. Vorurteile können abgebaut, Empathie aufgebaut werden. In fast 50 Ländern weltweit gibt es Dialog-Ausstellungen.
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Das Ganze funktioniert nach dem Franchise-Prinzip, bei dem die Standorte Lizenz- und Beratungsgebühren an das Original entrichten. Zusammen mit den Ticketeinnahmen, Vermietungen und Veranstaltungen wie dem Dinner in the Dark erwirtschaftet das Dialoghaus jährlich 2,7 Millionen Euro. „Wir sind eine Vorzeigefirma“, sagt der Gründer selbstbewusst. „Wir haben gezeigt, dass man mit einem unternehmerischem Ansatz auch mit sozialem Zweck aus eigenen Mitteln existieren kann.“
Plan für Dialoghaus XL
Dabei geht es Heinecke um mehr. Auch mit der Stadt Hamburg ist der Sozialunternehmer im Gespräch und machte bei Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) 180.000 Euro für eine Machbarkeitsstudie zur Zukunft seines Hauses locker. Er will das Zentrum, in dem auch Trainings und Workshops zu Themen wie Krisenbewältigung, Konfliktmanagement und Teambildung angeboten werden, weiterentwickeln. „Wir wollen das weltweit erste Social Science Center aufbauen.“ Ein erweitertes Dialoghaus als Lernort, in dem auch aktuelle Themen wie Rassismus erfahrbar gemacht werden sollen. Im Oktober soll die Studie vorgestellt werden. Schon 2021 könnte die Finanzierung stehen.
Städtische Beteiligung gewünscht
Parallel arbeiten er und sein Team an einem Konzept, wie ein Dialoghaus, in dem aus Nähe Erkenntnis entsteht, mit Corona-Abstandsregeln funktionieren kann. „Es bleibt eine große Unsicherheit, weil wir nicht wissen, ab wann unser Angebot wieder in vollem Umfang angenommen wird“, sagt er. Auch deshalb hofft der Sozialunternehmer jetzt auf weitere Hilfen. „Für uns wäre die ideale Lösung, wenn sich die Stadt für eine gewisse Zeit am Dialoghaus beteiligen würde. Das würde uns im Moment weitere Planungssicherheit und Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen“, sagt Heinecke.
Es sei nicht sein Ziel als Unternehmer, sich in die Arme der öffentlichen Hand zu flüchten, aber noch sei die Zukunft des Dialoghauses eben nicht sicher. Die Stadt Hamburg plant weitere Corona-Hilfen. So soll bis Herbst ein sogenannter Wirtschaftsstabilisierungsfonds stehen, der unter bestimmten Bedingungen städtische Bürgerschaften und Beteiligungen an Unternehmen ermöglicht.
Erste positive Signale habe er bekommen, sagt Heinecke. Und dann wittert er noch eine Chance. „Nach der Finanzkrise waren unsere Workshops zur Krisenbewältigung oder Vertrauensbildung besonders gefragt“, sagt er. Das könnte sich angesichts der Erfahrungen mit Corona nun wiederholen.