Hamburg. Wegen der Corona-Pandemie finden Ausbildungsbetriebe und Bewerber nur schwer zusammen. Jede achte Lehrstelle fällt weg.
Noch zwei Wochen sind es bis zum Beginn des neuen Ausbildungsjahres am 1. August. Viele Betriebe und Schulabgänger in Hamburg suchen noch nach Bewerbern oder Lehrstellen, andere spüren die Folgen durch die Corona-Pandemie kaum. „Wir haben unsere Azubis vor Beginn der Corona-Krise gefunden“, sagt Hendrik Wolfgramm, Geschäftsführer des Hamburger Bauunternehmens Wilken & Sohn. „Wir haben die Belegschaft verjüngt, die Kollegen bringen oft aus ihrem Bekanntenkreis Leute mit, die eine Ausbildung im Bauhandwerk machen wollen.
Das ist unser wichtigster Rekrutierungsweg.“ Im Handwerk läuft die Nachwuchsgewinnung derzeit besser als bei der Handelskammer, die einen Rückgang von 24 Prozent bei den Ausbildungsverhältnissen im Vergleich zu 2019 verzeichnet. Nach Angaben der Arbeitsagentur Hamburg suchen noch 3769 Bewerber nach einem Ausbildungsplatz. Warum kommen Schulabgänger und Ausbildungsbetriebe so schwer zusammen? Das Abendblatt sprach mit Experten und beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wie hat die Corona-Krise die Berufsorientierung beeinträchtigt?
„Wir konnten nicht mehr in die Schulen. Berufsorientierungsveranstaltungen fanden nicht statt“, sagt Berufsberaterin Sabine Braun von der Arbeitsagentur Hamburg. „So konnten wir die Schüler nur telefonisch erreichen und das ist nicht immer einfach.“ Der Future Talk der Handwerkskammer im Riesenrad auf dem Sommerdom fällt aus, der für den 22. August geplant war. Auch die beliebten Speeddatings, bei denen Bewerber und Ausbilder kurz aufeinander treffen, fielen aus. „Wir haben als Alternative digitale Angebote gemacht, aber die Resonanz war ernüchternd“, sagt Fin Mohaupt von der Handelskammer. Nach einer Umfrage der Handwerkskammer hat jeder dritte Betrieb deutlich weniger Bewerbungen als in den Vorjahren erhalten.
Wie reagieren die Ausbildungsfirmen?
Auch sie waren durch die Pandemie eingeschränkt bei der Suche nach Bewerbern, und die wirtschaftlichen Auswirkungen schmälern teilweise die Bereitschaft zur Ausbildung. Bei der Handwerkskammer bilden 14,7 Prozent der Betriebe krisenbedingt in diesem Jahr nicht aus. Von der Handelskammer gibt es dazu keine Zahlen. „Ein Großteil unserer Ausbildungsbetriebe bietet Lehrstellen an, es gehen aber zu wenige Bewerbungen ein“, sagt Hjalmar Stemmann, Präsident der Handwerkskammer. „Es gibt einen Rückgang an Ausbildungsplätzen vor allen in den Bereichen Tourismus, Veranstaltungswesen und Gastronomie“, sagt Annika Hafemann, die bei der Arbeitsagentur Betriebe betreut. Diesen Trend bestätigt die Handelskammer. Vereinzelt wurden auch krisenbedingt schon Ausbildungsverhältnisse aufgelöst. Auch die Firma Hörgeräte Zacho hat durch die Corona-Krise große wirtschaftliche Einbußen.
„Doch an der Ausbildung möchte ich nicht sparen“, sagt Chef Per Zacho. Im Vorgriff auf eine von der Bundesregierung geplante Ausbildungsprämie hat er für seine Azubis bereits Laptops gekauft, denn in der Berufsschule für Hörakustiker wird es wegen der Abstandsregeln auch Homeschooling geben. „Die Fachkräfte, die jetzt nicht ausgebildet werden, fehlen schon in wenigen Jahren in den Unternehmen“, sagt Astrid Nissen-Schmidt, Vizepräses der Handelskammer. Unterm Strich gibt es in Hamburg in diesem Jahr erstmals seit längerer Zeit weniger als 10.000 Ausbildungsplätze. Mit 9119 Lehrstellen stehen 13,5 Prozent weniger zur Verfügung als im Vorjahr. Anders gesagt: In Hamburg ist mehr als jede achte Lehrstelle wegen der Pandemie weggefallen
Wo gibt es noch freie Lehrstellen?
In vielen Berufen kann sofort noch ein Ausbildungsvertrag abgeschlossen werden. Darunter sind auch gefragte Ausbildungsrichtungen wie Elektroniker, Friseur, Kfz-Mechatroniker, Kauffrau für Büromanagement, Fachinformatikerin und Kauffrau im Groß- und Einzelhandel. „Bewerber mit einem allgemeinen oder mittleren Schulabschluss finden im Handwerk, im Gesundheitswesen und im kaufmännischen Bereich attraktive freie Ausbildungsstellen“, sagt Sönke Fock, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit. Anfang Juli standen den Bewerbern nach den Zahlen der Arbeitsagentur den unversorgten Suchenden 4326 freie Ausbildungsplätze zur Verfügung.
Coronavirus – die Fotos zur Krise
Das sind 11,6 Prozent weniger als vor einem Jahr. Rein rechnerisch reichen die Ausbildungsplätze aber aus, um die noch 3769 suchenden Bewerber zu versorgen. Trotz der Corona-Krise seien die Chancen auf einen sicheren Arbeitsplatz groß. „Innerhalb der nächsten zehn Jahre gehen über 170.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Arbeitnehmer in den Ruhestand“, sagt Fock.
Wo werden diese Stellen angeboten?
Freie Ausbildungsplätze und Tipps für die Bewerbung finden sich auf den Internetseiten von Handelskammer (www.hk24.de) und Handwerkskammer (www.hwk-hamburg.de). Die Berufsberatung der Arbeitsagentur ist auch während der Sommerferien zu erreichen unter 040/24 85 11 88 oder auch per Mail berufsberatung@arbeitsagentur.de. Informationen der Jugendberufsagentur gibt es unter www.jba-hh.de. Gelingt es nicht, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, hat die Agentur 450 Angebote zur Berufsorientierung, mit der die Zeit bis zum nächsten Ausbildungsstart im Februar 2021 überbrückt werden kann.
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„Wichtig ist, jetzt aktiv zu werden und sich bei der Jugendberufsagentur zu melden“, sagt Braun. „Wenn es schon konkrete Vorstellungen über die berufliche Zukunft gibt, finden wir auch schnell eine Lehrstelle.“ Am 22. September wird es in der Handelskammer erstmals wieder ein Azubi-Speeddating geben, zu dem man sich wegen der Hygienemaßnahmen allerdings anmelden muss.
Ist es dafür jetzt nicht schon zu spät?
Ein Einstieg in die Ausbildung ist auch nach dem 1. August möglich. Die Kammern gehen davon aus, dass individuelle Lösungen für einen Ausbildungsstart sogar noch im Oktober gefunden werden können. Der nächste reguläre Ausbildungsstart ist der 1. Februar 2021.
Welche Anreize für Firmen gibt es?
Kleine und mittlere Unternehmen, die ebenso viele Lehrstellen anbieten wie in den drei Vorjahren, sollen für jeden für 2020 abgeschlossenen Ausbildungsvertrag 2000 Euro erhalten. Das hat die Bundesregierung beschlossen. Für jede neu geschaffene Lehrstelle gibt es 3000 Euro. So viel erhalten auch Firmen für jeden Azubi, den sie aus einem insolventen Betrieb übernehmen