Hamburg. Lufthansa, Easyjet, Eurowings lassen schlecht gebuchte Flüge einfach ausfallen. Kunden sollen nur Gutscheine bekommen.
In diesen Wochen zieht der Luftverkehr nach der langen Phase des coronabedingten Stillstands wieder an. Viele Hamburger wollen für den Sommerurlaub in den Süden fliegen – doch die Fluggesellschaften verärgern derzeit viele Passagiere durch Absagen bereits gebuchter Verbindungen.
Nach Einschätzung des Hamburger Luftverkehrsexperten Cord Schellenberg ist das ein flächendeckendes Problem: „Offenbar sind die Airlines noch in der Findungsphase, was ihre Flugpläne angeht.“ Selbst wenn man jetzt für den üblicherweise nachfragestarken August einen Flug buche, „kann es gut sein, dass es diesen Flug in zwei Wochen nicht mehr gibt“, sagt Schellenberg. Betroffen seien nicht wie sonst nur wenige einzelne Verbindungen, „nun ist offensichtlich der komplette Flugprogramm ständig in Bewegung“.
Eurowings, EasyJet, Lufthansa: Alle Airlines sagen Flüge ab
Von Eurowings, der Billigtochter des Lufthansa-Konzerns, hieß es dazu auf Abendblatt-Anfrage, es sei im Moment „extrem schwer vorherzusehen“, wie viele Passagiere ihren gebuchten Flug tatsächlich antreten werden. Anders als in früheren Jahren gibt der Marktführer am Hamburger Flughafen nun zu, dass Starts wegen schwacher Auslastung annulliert werden. „Die aktuell schwierige Lage verpflichtet alle Airlines dazu, nicht mit fast leeren Flugzeugen zu starten“, sagt Firmensprecherin Jannah Baldus: „Auch Eurowings muss wirtschaftlich handeln.“
Nach Erkenntnissen des Abendblatts fallen bei der Lufthansa und beim Billigflieger EasyJet derzeit ebenfalls viele Flüge aus. Solange eine Verbindung mindestens 14 Tage vor Abflug gestrichen wird, muss die Airline keine zusätzliche Entschädigung zahlen, sondern nur den Ticketpreis erstatten. Für die betroffenen Passagiere ist die Annullierung aber in der Regel mit Ärger und Koordinierungsaufwand verbunden, außerdem sind häufig Rückfragen bei der Fluggesellschaft erforderlich – und dabei gibt es ebenfalls Probleme.
Hamburger Paar buchte Flüge mit Eurowings und Easyjet
Frisch verliebt nach Nizza, für acht Tage. So war der Plan des Hamburgers Janek S. und seiner Freundin Lana. Ende Mai, die Corona-Krise hatte ihren Höhepunkt hinter sich gelassen, die Fluggesellschaften warben schon wieder um Kunden, da buchte das junge Paar einen Flug von Hamburg nach Nizza mit der Lufthansa-Tochter Eurowings, zurück sollte sie Easyjet bringen. „Ab in den Süden“, warben die Briten auf ihrer Internetseite.
Ein paar Klicks, die Kreditkartennummer angegeben, wenige Tage später war das Geld auch schon abgebucht – von Eurowings und Easyjet. Janek S. und Lana buchten daraufhin eine kleine Ferienwohnung in der Stadt an der französischen Riviera sowie eine Schnorcheltour. Die Vorfreude stieg – bis zum 30. Juni.
Eurowings strich den Hinflug – ohne Ersatz anzubieten
Denn an diesem Tag fanden sie in ihrem E-Mail-Fach eine Nachricht von Eurowings mit der Überschrift „Flugplanänderung“. Doch die Lufthansa-Tochter verschob den Flug von Hamburg nach Nizza nicht etwa um wenige Stunden, sie strich ihn komplett – warme Worte inklusive: „Es tut uns leid, dass wir Sie nicht wie geplant befördern können, und wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten, die diese Flugplanänderung für Sie bedeutet. Leider können wir Ihnen an diesem Flugdatum keine Alternative anbieten.“
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Und weiter: „Die Planung der Flugkapazitäten stellt uns aktuell vor enorme Herausforderungen, da wir tagtäglich auf verschiedenste Unsicherheitsfaktoren, die die Flugplanung beeinflussen, reagieren müssen. Nicht zuletzt verpflichten die aktuellen Rahmenbedingungen alle Fluggesellschaften zu einem möglichst wirtschaftlichen wie auch ökologischen Einsatz ihres Fluggeräts.“ Das junge Paar war fassungslos, stand es doch nun komplett ohne Hinflug da.
Airlines streichen verstärkt Flüge – einige berufen sich auf "Gesundheitsschutz"
Janek S. und Lana sind kein Einzelfall. „Wir können bestätigen, dass es derzeit vermehrt zu Stornierungen und Umbuchungen kommt“, sagt Christopher Wekel, Geschäftsführer des Pinneberger Passagierentschädigungsportals Ersatz-Pilot. „Das betrifft zwei Kategorien von Flügen“, so Wekel: „Solche, die schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie angesetzt waren und nicht aus dem Flugplan gestrichen wurden, aber auch Verbindungen, die etwa durch die Lufthansa-Gruppe oder von Billigfliegern erst kürzlich wieder aufgenommen wurden und auf denen die Nachfrage eben doch nicht so stark anzieht wie erwartet.“
Zum Teil beriefen sich Airlines gar auf den „Gesundheitsschutz“, wenn sie einzelne Flüge tatsächlich wegen zu schwacher Auslastung stornierten, berichtet Wekel: „Das ist paradox, denn wenn man die Passagiere mehrerer Flüge dann mit einem einzigen Jet befördert und dieser entsprechend dicht besetzt ist, erhöht das ja gerade das Infektionsrisiko für die Gäste.“
Auf einmal war auch der Rückflug mit Easyjet verschwunden
Ungewohnt freimütig räumt Eurowings nun sogar ein, dass Starts wegen zu geringer Auslastung abgesagt würden. „Falls unser im Voraus geplantes Angebot höher ist als die eigentliche Nachfrage durch unsere Kunden, müssen wir einige Flüge wieder streichen“, teilt Firmensprecherin Jannah Baldus auf Abendblatt-Nachfrage mit. Nicht nur die „aktuell schwierige Lage“ verpflichte alle Airlines dazu, „nicht mit fast leeren Flugzeugen zu starten“. Eurowings trage zudem eine „ökologische Verantwortung, die wir in der Krise nicht außer Acht lassen.“
Für Janek S. und Lana dürfte das kaum ein Trost sein. Außer der Streichung ihres Eurowings-Flugs gab es für sie noch eine weitere negative Überraschung. Als sie Anfang Juli auf die Easyjet-Internetseite klickten, um zu schauen, zu welchem Preis ihr gebuchter Rückflug von Nizza nach Hamburg am 13. August aktuell angeboten wurde, fanden sie gar keine Verbindung mehr im August. Die nächste Easyjet-Verbindung aus Südfrankreich in die Hansestadt war erst im September möglich.
Lufthansa erreichen? "Entweder es ist besetzt oder es läuft eine Bandansage"
War also auch ihr Rückflug bereits gestrichen worden, die beiden darüber aber noch nicht informiert? Es begann die komplizierte Suche nach Ansprechpartnern. 0800er-Nummern, die im Nirgendwo endeten, endlose Warteschleifen unter einer Berliner Festnetznummer, eine unbeantwortete E-Mail mit der für die beiden wichtigen Frage: Findet unser Flug Nizza–Hamburg nun statt oder fällt er aus?
Auch andere Kunden berichten dem Abendblatt von der Unmöglichkeit, Kontakt zu den Callcentern der Fluggesellschaften aufzunehmen. Eine Hamburgerin, die für ihre 16-jährige Tochter einen Lufthansa-Flug über München nach Palma de Mallorca gebucht hatte, erhielt wenige Tage vor Reisebeginn eine E-Mail mit der Nachricht, der zweite Teil des Rückflugs – die Teilstrecke von München nach Hamburg – sei annulliert worden.
Bei Fragen solle man sich telefonisch an das Lufthansa-Servicecenter wenden. „Da ist aber überhaupt kein Durchkommen“, sagt die Hamburgerin: „Entweder es ist besetzt, oder es läuft eine Bandansage, dass wegen des erhöhten Anfrageaufkommens alle Mitarbeiter im Gespräch seien.“ Von der Lufthansa heißt es dazu, „aufgrund aktueller Flugplananpassungen“ komme es zu „längeren Wartezeiten“ bei Anrufen im Servicecenter, obwohl das Unternehmen die Kapazitäten dort „maximal erhöht“ habe. Kunden werden gebeten, nur dann anzurufen, wenn ihr Flug in den nächsten 72 Stunden stattfindet.
Flugrechteportal bestätigt schlechtere Erreichbarkeit
Christopher Wekel vom Flugrechteportal Ersatz-Pilot kennt die Problematik: „Die Erreichbarkeit dieser Unternehmen für die Kunden hat sich in den vergangenen Monaten definitiv verschlechtert.“ Aktuell leide sie noch zusätzlich darunter, dass die Fluggesellschaften und die Callcenter-Betreiber einen Großteil der Arbeitsplätze von Service-Beschäftigten ins Homeoffice verlagert hätten, sagt er.
Janek S. erreichte schließlich nach mehreren Tagen das Callcenter von Easyjet. Dort teilte ihm eine junge Frau mit osteuropäischem Akzent, die nur lückenhaft Deutsch verstand, nach längerem Hin und Her mit, dass auch nach ihren Erkenntnissen Easyjet erst ab September Flüge von Nizza nach Hamburg anbiete. Es finde also kein Flug am 13. August auf dieser Strecke statt?, wollte Janek S. nun konkret wissen. Die unbefriedigende Antwort: „Sie müssen abwarten!“ Doch diese Geduld hat das junge Paar aus Hamburg nicht. Schließlich wollen beide nicht auf den Kosten für ihre Ferienwohnung und ihren Schnorchelkurs in Nizza sitzen bleiben.
Die Rechtslage ist klar: Wie Airlines trotzdem Rückzahlungen umgehen
Dabei ist die Rechtslage klar: Wird ein Flug länger als 14 Tage vor dem Start gestrichen, muss die Airline innerhalb von sieben Tagen den Ticketpreis zurückzahlen. Weil aber die wegen Corona ohnehin schwer angeschlagenen Fluggesellschaften das einmal eingenommene Geld – bei der Lufthansa handelte es sich Ende Juni um rund eine Milliarde Euro an noch zu erstattenden Beträgen – lieber in der Kasse behalten möchten, verschleppen die Fluggesellschaften zurzeit außerdem die Rückzahlung der Ticketpreise und bieten den Passagieren zunächst einmal Gutscheine anstelle der Rückzahlung an, beobachtet Wekel von Ersatz-Pilot.
Nach Angaben des europäischen Verbands der Flugentschädigungsagenturen (APRA) stellen sogar manche Airlines derzeit Flüge im Internet zur Buchung bereit, nur um sie wenige Stunden später wieder zu stornieren und den Ticketkäufern lediglich Gutscheine anzubieten – laut APRA ein „verwerflicher Trick“, um auf billige Weise an Liquidität zu kommen.
Hamburger Paar könnte mit Lufthansa fliegen – doch werden die Flüge abheben?
Trotz aller Schwierigkeiten haben Janek S. und Lana ihre Nizza-Pläne noch nicht aufgegeben. Aus purer Not heraus hat das Paar sich nun bereits alternative Hin- und Rückflüge mit Lufthansa von Hamburg nach Nizza gesucht, die allerdings deutlich teurer als die ursprünglichen Angebote von Eurowings und Easyjet sind sowie zeitaufwendige Zwischenlandungen in Frankfurt bedeuten.
Das Paar überlegt nun, ob es die Lufthansa-Flüge buchen soll, obwohl Easyjet ihren eigentlichen Rückflug noch gar nicht offiziell storniert hat. Aber auch dann bliebe neben den höheren Kosten ein ungutes Gefühl zurück: Wird Lufthansa die Hamburg–Nizza-Verbindung womöglich auch noch kurzfristig streichen? Wohl erst Mitte August werden sie diese Frage mit Sicherheit beantworten können.