Hamburg. Haspa-Chef Harald Vogelsang im Abendblatt über die Lehren aus der Corona-Krise für sein Institut und die deutsche Wirtschaft.
Wegen der Coronavirus-Krise hat auch die Hamburger Sparkasse ihre Geschäftspolitik in den vergangenen Monaten geändert. Sie stundete Kredite und erhöhte zugleich das Kreditvolumen für Firmen in Not. Haspa-Chef Harald Vogelsang erklärt im Telefon-Interview mit dem Abendblatt die Beweggründe und gibt den europäischen Staaten einen eher ungewöhnlichen Ratschlag als Banker: Schulden machen, um die Konjunktur anzukurbeln.
Das letzte Mal als wir telefoniert haben, waren Sie in der heißen Phase der Corona-Krise im Homeoffice. Wo treffen wir Sie heute an?
Harald Vogelsang: Im Büro.
Sind Sie dort nun wieder häufiger?
Vogelsang: Seit zwei Wochen kontinuierlich. Das gilt übrigens für den gesamten Vorstand. Auch andere Mitarbeiter kommen wieder häufiger in die Verwaltung, denn letztlich ist das Arbeiten vor Ort für das kulturelle Miteinander und das soziale Zusammenleben doch besser. Mobiles Arbeiten ist toll – und wir werden es auch bei der Haspa künftig verstärkt nutzen, aber ausschließlich ist Homeoffice nicht praktikabel.
Haben die Filialen wieder wie gewohnt geöffnet oder gelten noch die zum Teil verkürzten Öffnungszeiten?
Vogelsang: Wir hatten die Verkürzungen ja bereits reduziert – und nun fahren wir wieder auf unsere ganz normalen Öffnungszeiten hoch.
Wie hat sich das Kundenverhalten verändert – gibt es Unterschiede zu der Zeit vor Corona?
Vogelsang: Die Zahl der Beratungsgespräche zieht wieder an. Dabei finden weiterhin vergleichsweise viele Beratungen über Videochat oder Telefon statt. Auch der E-Mail-Verkehr hat zugenommen. Aber die Kunden kommen in jüngster Zeit auch wieder verstärkt in die Filialen.
Wo genau liegen die Interessen der Kunden?
Vogelsang: Zu Anfang der Krise war die Nachfrage nach Bargeld und Gold sehr hoch. Das hat sich normalisiert. Aktuell verfügen die Hamburger sogar über weniger Bargeld als in normalen Zeiten. Denn die Menschen bezahlen im Geschäft eben verstärkt mit Karte. Aus meiner Sicht ist es allerdings hygienischer mit Bargeld zu bezahlen, das sauber aus dem Automaten kommt, als wenn 50 Kunden hintereinander auf die gleiche Zahlentastatur des Bezahlterminals im Supermarkt tippen. Der beste Weg ist hier das kontaktlose Bezahlen ohne Eingabe einer Geheimzahl.
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Wie hat sich bei der Haspa die Nachfrage nach Baugeld entwickelt?
Vogelsang: Sie ist etwas geringer geworden, zieht nun aber wieder deutlich an. Nicht wenige haben den Eindruck, dass sie derzeit am Immobilienmarkt ein gutes Geschäft machen können. Bei Wertpapieren ist das Verhalten unserer Kunden ähnlich. Sie haben zum Höhepunkt der Krise, als die Aktienkurse abgestürzt sind, nicht panisch verkauft. Das Gegenteil ist passiert: Sie haben sogar zu niedrigen Einstiegskursen nachgekauft. Unsere Kunden haben heute in der Summe mehr
Aktien als vor der Krise.
Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit haben angezogen. Spürt die Haspa die Entwicklung bei den Krediten, weil diese von den Kunden nicht mehr bedient werden können?
Vogelsang: Großflächig ist das nicht der Fall. Wir haben aber tatsächlich für mehrere Tausend Kunden Kreditraten und Tilgungen ausgesetzt. Das ist insbesondere im Firmenkundengeschäft so. Zurückhaltung spüren wir verständlicherweise bei Konsumentenkrediten. Menschen, die sich unsicher sind, ob sie ihren Arbeitsplatz behalten, verschulden sich eben nicht.
Wie wird Corona die Haspa verändern?
Vogelsang: Wir sind bereits deutlich digitaler geworden. Diesen Weg werden wir weiter vorantreiben.
Bedeutet diese Entwicklung, dass bei der Haspa mehr Standorte geschlossen werden als bisher geplant?
Vogelsang: Nein. Wir wissen von einigen Konkurrenten, die unter dem Vorwand von Corona nochmals zusätzliche Filialen schließen wollen. Das werden wir nicht tun. Wir reduzieren – wie geplant – auf 100 Filialen. Und das ist es dann auch.
Wird der eingeleitete Abbau von Stellen wegen Corona forciert?
Vogelsang: Nein, unser Abbaupfad ist ohnehin anspruchsvoll. Wir haben zudem ein halbes Jahr verloren, weil wir das Projekt ausgesetzt haben. Das müssen wir wieder aufholen. Mehr aber nicht.
Deutschland und Hamburg sind wegen Corona in einer Rezession. Wann werden wir aus Ihrer Sicht wieder positive Wachstumszahlen sehen?
Vogelsang: Das zweite Quartal dürfte sehr schlecht ausfallen, das dritte und vierte schon besser. In Summe wird 2020 beim Wachstum aber wegen des Shutdowns ein Minus stehen. Im kommenden Jahr erwarte ich wieder ein deutliches Plus – in Deutschland und in Hamburg. Wie stark das Plus ausfällt, hängt davon ab, wie kräftig der internationale Handel anzieht. Und für Hamburg als Touristenstadt wird entscheidend sein, wann und in welchem Umfang die weltweite Reisetätigkeit anspringt.
Der neue Senat hat sich formiert. Der Verkehrsbereich wird aus dem Wirtschaftsressort herausgelöst – sinnvoll?
Vogelsang: Ich finde es naheliegend, dass man Verkehr als bedeutenden Schwerpunkt des Senats separiert.
Was muss der Senat nun tun, damit Hamburg möglichst schnell aus der Krise findet?
Vogelsang: Der Senat sollte die Konjunktur stimulierenden Programme der Bundesregierung und der Europäischen Kommission durch für Hamburg spezifische Maßnahmen flankieren – hier ist er auf einem guten Weg. Vor allem die Gesundheitswirtschaft muss maximal unterstützt werden – denn Corona hat gezeigt, wie bedeutsam der Bereich ist. Und auch der größte deutsche Seehafen muss gefördert werden, damit wir das Tor zur Welt bleiben. Zudem sollten wir uns in Hamburg die Breite und Vielfalt unserer Branchen erhalten – das macht uns besonders stark.
Aktuell pumpen die Staaten europaweit Unmengen an Geld in den Wirtschaftskreislauf – wird hier nicht übertrieben?
Vogelsang: Ich halte das für den absolut richtigen Weg: Je mehr, desto besser. Und das gilt gerade für Deutschland. Wir sollten hierzulande einen möglichst großen Teil zur Stimulierung unserer Wirtschaft ausgeben. Sonst zahlen wir am Ende nur für die Schulden in Europa, aber fördern unsere nationale Ökonomie nicht. Wir haben die Chance, die Konjunkturlokomotive in Europa zu werden und auch unsere Nachbarstaaten werden davon profitieren. Dazu haben auch die staatlichen Förder- und Kreditprogramme beigetragen. Allein die Haspa hat eine halbe Milliarde Euro an Corona-Hilfen bereitgestellt. Die eine Hälfte sind durchgeleitete staatliche Mittel, bei der anderen Hälfte handelt es sich um eigene Kredite – das sind historische Dimensionen.
Irgendwann müssen die staatlichen Schulden auch mal wieder abgebaut werden.
Vogelsang: Aber die Programme sind beschlossen – und nun sollte das Geld möglichst hierzulande ausgegeben werden. Deutschland ist vergleichsweise gut durch die Krise gekommen. Andere Länder beneiden uns darum. Die Chancen, die sich daraus ergeben, dürfen wir jetzt nicht vermasseln. Wir sind aktuell auch extrem attraktiv für ausländische Investoren. Denn die Welt hat gesehen: Deutschland kann Krise.
Sind Sie ein Freund von Euro-Bonds?
Vogelsang: Nein. Aber derzeit bin ich gegen mein normales Naturell der Meinung, wir sollten den Mut haben, Europa zusätzlich zu verschulden, um unsere Wirtschaft maximal anzukurbeln.
Wo stehen die deutsche und Hamburger Wirtschaft in einem Jahr?
Vogelsang: Ich bin optimistisch, dass Hamburgs Wirtschaft die Krise gut überstehen wird. Im Juni 2021 werden wir bundesweit weitgehend normale Verhältnisse haben. Wir werden uns von der Rezession 2020 ein Stück weit erholt haben und wieder wachsen. Ich gehe auch davon aus, dass wir wieder relativ normale Reisebedingungen haben werden – es sei denn, es kommt zu einer zweiten Welle. Aber selbst dann kann ich mir einen kompletten Lock-down nicht erneut vorstellen. Wir dürfen aber jetzt nicht nur an den nächsten Urlaub denken, sondern müssen dafür sorgen, dass wir wirtschaftlich wieder durchstarten. Die Kernfrage muss lauten: Wie können wir unseren Wohlstand und die Arbeitsplätze absichern? Wir brauchen gesunde Firmen. Denn eines muss klar sein: Ohne Wohlstand gibt es auch keinen Urlaub.