Berlin. 70 Prozent der deutschen Start-Ups droht wegen der Corona-Krise das Aus. Verliert Deutschland nun einen wichtigen Innovationsmotor?

Zur Jahrtausendwende hatte Deutschland schon einmal eine blühende Start-Up-Kultur. Das Internet revolutionierte die Wirtschaft, alles, was mit der New Economy zu tun hatte, versprach satte Gewinne und Zukunft. Wagniskapitalgeber förderten junge Unternehmen mit riesigen Geldsummen, der 1997 eingerichtete Technologie-Aktienindex Nemax verzeichnete Fabelhöhen an der Börsen. Dann platzte die sogenannte Dotcom-Blase, es kam zur Finanzkrise im März 2000 – und die deutsche Start-Up-Branche wurde um Jahre zurückgeworfen.

20 Jahre und eine weitere Finanzkrise später blühten deutsche Start-Ups zuletzt wieder auf. Wie die Beratungsgesellschaft Ernst&Young ermittelte, investierten Wagniskapitalgeber im vergangenen Jahr 6,1 Milliarden Euro in deutsche Start-Ups. Im europäischen Vergleich erhielten nur britische Jungunternehmen noch mehr Geld (11,1 Milliarden Euro).

Es könnte der letzte Rekord für lange Zeit gewesen sein. Denn die Corona-Krise trifft die deutsche Start-Up-Szene unvermittelt und hart.

Corona-Krise: Sieben von zehn Start-Ups stehen vor dem Aus

Laut einer Umfrage des Bundesverbands Deutsche Startups droht über 70 Prozent der deutschen Start-Ups das Aus. Start-Up-Verbands-Präsident Christian Miele sprach von einem „massiven Start-Up-Sterben“.

Schon in normalen Jahren scheitern je nach Expertenmeinung 80 bis 90 Prozent aller neugegründeten Firmen in den ersten drei Jahren. Doch die Corona-Krise bringt eine neue Dimension ins Spiel. Denn jetzt droht auch den zehn bis 20 Prozent der Start-Ups, die sonst überleben würden, das Aus.

Dabei sind Start-Ups eng mit Innovationen verbunden. Das beste Beispiel bietet das Silicon Valley. Während die deutsche Start-Up-Szene bis auf einzelne Ausnahmen nach der geplatzten Dotcom-Blase lange keinen Fuß auf den Boden bekam, revolutionierten in Kalifornien die damals jungen Tech-Unternehmen Google, Amazon und Facebook den weltweiten Markt und sorgten für rasanten technischen Fortschritt.

Das Silicon Valley gilt als Inbegriff der technischen Innovation. Doch auch deutsche Start-Ups waren in den vergangenen Jahren erfolgreich. Der Zahlungsdienstleister Wirecard etwa, der als junges Fintech die Dotcom-Blase überlebte, ist heute mit einer Marktkapitalisierung von knapp 15 Milliarden Euro ein wichtiges Dax-Unternehmen. Der 2011 in München gegründete Fernbusanbieter Flixbus hat das Reisen verändert, Zalando den Schuh-Versandhandel umgekrempelt und die Auto1-Group sich als Europas größter Gebrauchtwagenhändler etabliert.

Deutsche Gründer waren zuletzt innovativ, insgesamt wuchs der europäische Markt an Start-Ups rasant.

Zwei Milliarden Euro an Hilfsgeldern für Start-Ups

Die Innovationskraft, die von jungen Unternehmen ausgeht, ist auch dem Bund bewusst. „Für eine gute Zukunft braucht Deutschland innovative Köpfe“, sagte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) daher Anfang April, als er zusammen mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ein Rettungspaket für Start-Ups ankündigte.

Zwei Milliarden Euro will der Bund abseits seiner weiteren Hilfsangebote wie Sofortzahlungen für Klein-Unternehmer und zinsgünstige Kredite der Förderbank KfW extra für Start-Ups bereitstellen. „Für diese jungen innovativen Unternehmen passen klassische Kreditinstrumente häufig nicht. Daher bieten wir ein maßgeschneidertes Unterstützungspaket an“, erklärte Altmaier.

Finanzierung mit Wagniskapital soll erleichtert werden

Von den bisherigen Hilfen können Start-Ups beispielsweise Kurzarbeit beantragen oder von den Soforthilfen für Kleinstunternehmen Gebrauch machen. Kredite kommen für viele aber nicht in Frage. Zum einen wissen viele Gründer nicht, wie sie das Geld zurückzahlen sollen – insbesondere wenn sie mit Eigenkapital haften.

Zum anderen bekommen viele Start-Ups keinen Kredit. Denn die sind häufig an schwarze Zahlen geknüpft. „Die allermeisten Startups machen in den ersten Jahren eben noch keine Gewinne, sie müssen durch externe Investoren finanziert werden“, sagte Start-Up-Verbandspräsident Christian Miele unserer Redaktion.

An diesem Punkt der externen Finanzierung setzt das nun das Start-Up-Hilfsprogramm an. Erleichtert werden soll mit dem Geld unter anderem die Wagniskapitalfinanzierung. Öffentliche Wagniskapitalinvestoren auf Dach- und Fondsebene wie bei der Förderbank KfW sollen mehr Mittel erhalten, die sich zusammen mit Privat-Investoren in Finanzierungsrunden für Start-Ups einsetzen können.

Auch wenn Finanzierungsrunden aufgrund der Krise platzen, soll mit dem Geld nachgeholfen werden. Sofern die EU-Kommission zustimmt, könnten zudem noch junge Start-Ups ohne Wagniskapitalgeber unterstützt werden.

Corona-Hilfen können noch nicht abgerufen werden

Die Zusage zu den Hilfen kam schneller als von vielen erwartet. Doch seitdem ist wenig passiert. Auch drei Wochen nach der Ankündigung sind die Gelder noch nicht abrufbar, das Finanzministerium und das Wirtschaftsministerium klären noch die Details.

Christian Miele dringt auf eine schnelle Einigung. „Für viele Start-Ups geht es eher um Tage als um Wochen“, sagte der Start-Up-Verbandschef unserer Redaktion. „Mir blutet das Herz, wenn ich höre, dass Start-Ups, die vor der Corona-Krise auf einem sehr guten Weg waren, nun aufgrund der negativen Auswirkungen der Pandemie und den politischen Maßnahmen zur Eindämmung bald trockenlaufen.“

Digital-Beauftragter Jarzombek: „Arbeiten mit Hochdruck an der Umsetzung“

Thomas Jarzombek (CDU), Beauftragter des Bundeswirtschaftsministeriums für die digitale Wirtschaft und Start-Ups, sagte unserer Redaktion: „Wir arbeiten derzeit mit Hochdruck an der Umsetzung des Start-up-Pakets.“ Sobald die letzten Punkte zur Zuweisung der finanziellen Mittel geklärt seien, könne es losgehen.

Thomas Jarzombek (CDU) kündigt eine schnelle Umsetzung des Hilfspakets an.
Thomas Jarzombek (CDU) kündigt eine schnelle Umsetzung des Hilfspakets an. © imago images / Christian Spicker | Christian Spickervia www.imago-images.de

Eine weitere Erhöhung des Zwei-Milliarden-Pakets sei nicht geplant. „Das ist für den deutschen Start-up-Markt schon eine gewaltige Summe“, sagte Jarzombek. Der CDU-Politiker verwies auf weitere Förder- und Finanzierungsprogramme, mit denen insgesamt acht Milliarden Euro zur Verfügung stünden, „davon sind noch rund 3,5 Milliarden Euro für Neuinvestitionen verfügbar“, sagte Jarzombek.

Parallel werde zudem an einem Zukunftsfonds für Start-Ups gearbeitet, sagte Jarzombek. „Das Corona-Start-up-Paket ist die Feuerwehr, die jetzt schnell die Liquidität in die Start-ups bringen soll. Mittelfristig soll dann der Zukunftsfonds den Weg aus der Krise unterstützen.“

Ob das reichen wird, um die Start-Up-Kultur in Deutschland zu erhalten, kann aktuell noch niemand sagen. Hubert Barth, Vorsitzender der Ernst&Young-Geschäftsführung Deutschland, sprach in der Präsentation der Analyse zur Finanzierung der Start-Ups von einer „existenziellen Herausforderung“. Trockne der Finanzierungsmarkt für Gründer aus, würde das den Technologiestandort Deutschland um Jahre zurückwerfen, warnte Barth.

Mehr Infos zur Corona-Krise: