Hamburg. Was Firmen tun, um Jugendliche auf sich aufmerksam zu machen und in welchen Berufen noch besonders viele Plätze offen sind.
Viele Aufträge, wenig Zeit und dann noch für beruflichen Nachwuchs im eigenen Betrieb sorgen müssen: Es ist eine große Herausforderung, vor der vor allem kleine Betriebe in Hamburg stehen. Gerade Handwerker haben ungeachtet der Corona-Krise volle Auftragsbücher. Eigentlich wäre jetzt die Zeit, wo die Firmen mit Bewerbungen überhäuft werden müssten, denn Ende Januar gab es die Zwischenzeugnisse, die die Basis für die Lehrstellensuche sind. Doch davon spüren viele Ausbildungsbetriebe kaum etwas.
„Eine richtige Bewerbung hatte ich das letze Mal vor sechs Jahren“, sagt Toni Christian Lompa von der gleichnamigen Glaserei. Im Schnitt hat er vier Lehrlinge in der Ausbildung – wenn sich Bewerber finden. „Meist kommen Lehrer der umliegenden Schulen auf mich zu, die eine Ausbildungsmöglichkeit für einige ihrer Schüler suchen“, sagt der Glasermeister.
Hamburg: 3138 freie Ausbildungsplätze bei Handwerks- und Handelskammer
Rund viereinhalb Monate vor Ausbildungsbeginn gibt es in Hamburg noch 3138 freie Ausbildungsplätze bei Handwerks- und Handelskammer. „Vom Außenhandel bis zur Zerspanungsmechanik wird noch in fast jedem Berufsbild gesucht“, sagt Handelskammer-Vizepräses André Mücke.
Mittendrin in der Bewerberauswahl ist gerade Jörg Kallmeier, der bei der Elektrofachgroßhandlung Walter Kluxen mit zehn Niederlassungen in Norddeutschland für die Ausbildung verantwortlich ist. „Zu 98 Prozent gewinnen wir unsere Auszubildenden über die Lehrstellenbörse der Handelskammer“, sagt er. Dort können Interessenten eine Art Kurzbewerbung hinterlassen, ohne sich für einen bestimmten Ausbildungsbetrieb entscheiden zu müssen. Wenn Kallmeier sieht, dass Interesse für eine kaufmännische Ausbildung besteht, nimmt er Kontakt auf.
Friseurberuf: Bewerber fehlen
Drei Ausbildungsplätze des Kaufmanns für Groß- und Außenhandelsmanagement sind zum August allein in Hamburg noch zu besetzen. Im Bereich der Handelskammer steht dieser Beruf an erster Stelle bei den noch nicht besetzten Ausbildungsplätzen. „Erste Gespräche mit Bewerbern habe ich bereits geführt“, sagt Kallmeier. Wenn es passt, gibt es einen Schnuppertag im Unternehmen.
So einfach hat es Friseur Mohamed Daoud, der zusammen mit Stephan Wendt den Salon Box Haare im Schanzenviertel betreibt, nicht. Zwei Lehrlinge würde er gern im August einstellen, doch es fehlt an Bewerbern. Zeit, um auf Ausbildungsmessen oder in Schulen um Azubis zu werben, hat er nicht. „Ich fürchte, der Friseurberuf hat an Attraktivität verloren“, sagt Daoud.
Stärkere Nachfrage nach Handwerksberufen
Unter den Top Ten der unbesetzten Ausbildungsplätze bei der Handwerkskammer rangiert der Beruf mit 65 freien Plätzen an vierter Stelle (siehe Tabelle). Die Handwerkskammer verzeichnet eine etwas stärkere Nachfrage der künftigen Schulabgänger nach Handwerksberufen als im Vorjahr. Denn die 1138 freien Ausbildungsplätze sind 13 Prozent weniger als zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres. 2019 registrierte die Handwerkskammer 2706 Ausbildungsverträge, was einem Plus von 7,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht.
Die Bemühungen der Handwerkskammer um die Nachwuchsgewinnung zahlen sich allmählich aus. Dazu gehören die bundesweite Imagekampagne des Handwerks, die individuelle Beratung an Schulen, die Präsenz auf Ausbildungsbörsen und neue Formen wie das Azubi-Speeddating in der Kammer. Die Jugendlichen können sich dabei in sieben Minuten bei den Firmen vorstellen und so in kurzer Zeit viele Ausbildungsmöglichkeiten kennenlernen.
Handwerker kommen in die Schule
Kein verkrampftes Vorstellungsgespräch mehr. „Das kommt den Jugendlichen entgegen“, sagt Stephanie Anders, Referentin für Bildungspolitik bei der Handwerkskammer. Vor allem kleinere Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten versucht die Kammer bei der Lehrlingsgewinnung zu unterstützen. „Wir helfen bei der Formulierung von Lehrstellenangeboten, der Gestaltung von Praktika und bei der Bewerbervorauswahl“, sagt Anders.
Doch das Problem von Friseur Daoud und Glaser Lompa ist eher, dass keine Bewerber auf ihre Betriebe aufmerksam werden. Künftig soll deshalb die Verbindung von Handwerk und Schule noch enger geknüpft werden: Handwerker kommen in die Schule, und Schüler schauen im Handwerksbetrieb vorbei. „Mittlerweile wird jede zweite Schule bei der Berufsvorbereitung von uns unterstützt“, sagt Hjalmar Stemmann, Präsident der Handwerkskammer Hamburg.
Praxisklassen für den Übergang von der Schule in die Ausbildung
An potenziellen Bewerbern für einen Ausbildungsplatz fehlt es nicht. Aber nur 40 Prozent der Schulabgänger in Hamburg schaffen den direkten Übergang von der Schule in die Ausbildung. „Eine erschreckend niedrige Zahl“, wie Schulsenator Ties Rabe (SPD) sagt. Sogenannte Praxisklassen sollen jetzt auf alle Stadtteilschulen ausgeweitet werden. Schüler in den zehnten Klassen mit schwierigen Lernvoraussetzungen arbeiten dann parallel zum Schulunterricht zwei Tage in der Woche in einem Betrieb mit.
Die Betreuung reicht über den Schulabgang hinaus bis zu sechs Monate in die Berufsausbildung hinein. Denn trotz Praktikums vor Ausbildungsbeginn gibt es keine Garantie, dass Lehrlinge ihre Ausbildung auch bis zum Ende durchziehen, wie Glasermeister Lompa weiß: „Die Probleme kommen in der Ausbildung, wenn es Schwierigkeiten meist im persönlichen Bereich gibt.“
Helm AG wirbt auf Messen
Lompa setzt auch auf zusätzliche Anreize wie eine Sondervergütung, wenn die Zwischenprüfungen mit der Note „Zwei“ oder „Drei“ abgeschlossen werden. Mit seinen neuesten Azubis ist er sehr zufrieden. Es sind zwei Migranten im zweiten Ausbildungsjahr, die hoch motiviert und freundlich seien und die er übernehmen möchte. Friseur Daoud hat es auch schon mit Migranten versucht, was aber an mangelnden Deutschkenntnissen scheiterte: „Die Verständigung mit den Kunden darf keine Probleme bereiten.“
Selbst größere Unternehmen wie die Helm AG kommen nicht umhin, in Schulen und auf Ausbildungsmessen aktiv zu werden, um für sich zu werben. Dann kann Ausbildungsleiter Jens Engel aber auch auswählen. Um einen Ausbildungsplatz eines Kaufmanns für Groß- und Außenhandelsmanagement zu besetzen, braucht es nach seiner Einschätzung im Schnitt sechs bis sieben Bewerber. „Wir machen keine Kompromisse, weil wir so auch sicherstellen, dass die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen wird und der Bewerber wirklich zu unserem Unternehmen passt“, sagt Engel.
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Vor allem kleinere Betriebe werden künftig mehr unternehmen müssen, um Azubis auf ihre Firmen aufmerksam zu machen – und auch auf spezielle Berufsfelder. „Wer seine Ausbildung im kaufmännischen Bereich machen möchte, der denkt zuerst an den Kaufmann für Büromanagement“, so Kallmeier.
Zum Ausbildungsstart 2020 wird das Berufsbild des bisherigen Kaufmanns für Groß- und Außenhandel an die neuen Herausforderungen angepasst. „Wichtige neue Bausteine kommen aus den Bereichen Digitalisierung und E-Commerce“, sag Kallmeier: „Hierdurch wird das Berufsbild moderner und interessanter für Berufseinsteiger.“ Er ist zuversichtlich, die drei Ausbildungsplätze noch besetzen zu können.