Hamburg. Marc Fielmann über die Pläne für Deutschlands größte Optikerkette, das Coronavirus und Geschäfte im Internet.

Marc Fielmann hat eine arbeitsreiche Woche hinter sich. Angesichts der Ausbreitung des Coronavirus sind Notfallpläne und Vorbereitungsmaßnahmen auch bei Deutschlands größtem Optiker ein Thema. In der Zen­trale in Barmbek steht am Empfang jetzt auch ein Desinfektionsmittelspender.

Der 30-Jährige, der das Unternehmen nach dem Rückzug von Gründer Günther Fielmann allein führt, schüttelt den Besuchern zur Begrüßung beherzt die Hand und bietet Wasser und naturtrüben Apfelsaft vom Hof Lütjensee an, wo sein Vater ökologische Landwirtschaft betreibt. Dann hat er noch ein Anliegen: Es solle in dem Gespräch doch bitte nicht nur um Corona gehen. Ganz lässt sich das aber nicht vermeiden.

Die Ausbreitung des Coronavirus treibt die Menschen rund um den Globus um. Wurden bereits Fielmann-Filialen geschlossen?

Marc Fielmann Bislang noch nicht. Das Wichtigste ist, besonnen zu reagieren und Ruhe zu bewahren. Als Unternehmen orientieren wir uns an den Hinweisen der Behörden. Wir haben eine Stabsstelle eingerichtet, die die Maßnahmen koordiniert und die Vorsichtsmaßnahmen bündelt. Inzwischen wurden auch Notfallpläne erarbeitet, die sich an den verschiedenen Szenarien orientieren. Das aktualisieren wir natürlich laufend.

Wie ist es bei Ihnen persönlich? Fliegen Sie noch? Haben Sie schon Termine abgesagt?

Marc Fielmann: Wir haben seit geraumer Zeit alle Reisen von und nach Asien und inzwischen auch von und nach Italien abgesagt. Das ist eher eine Vorsichtsmaßnahme. Ich persönlich habe die nächste Flugreise in zwei Wochen. Die habe ich noch nicht storniert.

Kommen wir zum Unternehmen: Was hat sich in Ihrem Alltag geändert, seitdem Sie Fielmann allein führen?

Marc Fielmann: Ein bisschen mehr Arbeit (lacht). Und – das ist ein qualitativer Unterschied – die Mitarbeiter schauen noch genauer auf meine Entscheidungen. Es ist Anspruch und Verpflichtung, dem gerecht zu werden.

Sehen Sich eher als kooperativen oder als autoritären Chef?

Marc Fielmann: Da wandeln sich die Zeiten. Wie sich Kunden und Mitarbeiter wandeln, müssen auch wir uns anpassen. Es ist heute nicht mehr so, dass man Hof hält. Zumindest ich mache das nicht, sondern bin viel in den Niederlassungen und auch in der Zentrale unterwegs und empfange nicht residierend im Büro. Im Zeitalter der Digitalisierung ist Transparenz und Vernetzung wichtig. Dazu gehört auch, mit Fehlern offen umzugehen.

Duzen Sie oder siezen Sie?

Marc Fielmann: Ich persönlich sieze. Wenn mich jemand beim Vornamen nennen möchte, muss er Englisch mit mir sprechen. Ich leite in meinem Verhalten viel aus der Interaktion mit den Kunden ab, egal ob es um Kleidung oder die Anrede geht. Da haben wir ein Leitbild, für das ich Vorbild sein muss.

Wie sehen Sie den Trend, im Geschäftsleben mit Sneakers und Jeans aufzutreten?

Marc Fielmann: Ich selbst komme an zwei bis drei Tagen ohne Krawatte ins Büro. Ich glaube, es muss authentisch sein. In den Filialen, wo wir auch der 80 Jahre alten Dame angemessen gegenübertreten wollen, gelten andere Regeln als in unseren Digitalabteilungen. Das spiegelt für mich auch die Vielfalt wieder, die wir im Unternehmen brauchen.

Das Unternehmen Fielmann war und ist bis heute mit Ihrem Vater, Günther Fielmann, sehr eng verbunden. Wie werden Sie als – sehr junger – Nachfolger akzeptiert?

Marc Fielmann: Das ist sehr unterschiedlich. Durch meinen Namen hatte ich immer einen Vorschuss an Gefühlen und Emotionen. Das ging schon in der Schule los. Da wurde ich immer anders behandelt, entweder zu nett oder zu unfreundlich. Aber so richtig normal waren die wenigsten. Das kenne ich von klein auf. Auch ins Familienunternehmen bin ich mit einem Riesenvorschuss gekommen. Glücklicherweise hatte ich vorher die Möglichkeit, in London zu studieren, in anderen Unternehmen und in unseren Niederlassungen zu arbeiten, sodass ich mich nicht nur ins gemachte Nest gesetzt habe. Und mein Vater und ich liegen altersmäßig so weit auseinander, dass wir komplementäre Kompetenzen haben. Bei uns ist der Transformationsprozess, wenn man so will, mit der Nachfolge verbunden.

Gibt es Situationen in den vergangenen Monaten, in denen Ihnen Ihr Vater an der Seite gefehlt hat?

Marc Fielmann: Nein, wir haben acht Jahre zusammengearbeitet. Davon dreieinhalb Jahre im Vorstand und eineinhalb Jahre im Vorstandsvorsitz. Es ist ein riesiger Luxus, so lange vorbereitet zu werden. Mein Vater war ein hervorragender Lehrmeister. Er ist ja jetzt auch nicht aus der Welt, aber wir trennen Berufliches und Privates schon relativ klar.

Kommt er noch ins Büro?

Marc Fielmann: Nein, aber ich treffe ihn regelmäßig. Der Anteil, in dem wir über das Unternehmen sprechen, ist deutlich geringer geworden. Er hat ja noch viele andere Themen: seine Ökolandwirtschaft, sein gesellschaftliches Engagement und natürlich geht es auch um Privates.

Und er kann auch loslassen?

Marc Fielmann: Ja. Ich glaube, das ist die Milde des Alters.

Wie sieht Ihre persönliche Agenda für 2020 aus?

Marc Fielmann: Die Planung ergibt sich aus unserer Vision 2025. Die Überschrift ist ja, wir professionalisieren das, was wir ohnehin machen, wir digitalisieren, wir internationalisieren. Da gibt es in diesem Jahr einige größere Schritte. Wir werden in mindestens einen weiteren Markt eintreten, indem wir eigene Geschäfte eröffnen oder eine Übernahme tätigen. Bei der Digitalisierung sind wir relativ weit bei der Entwicklung der Schlüsseltechnologien fortgeschritten. Da wird es auch einige Neuerungen geben. Und für mich wird ein großes Highlight die Eröffnung unseres neuen Flagship-Stores an der Mönckebergstraße sein, der auch unsere größte Niederlassung in Deutschland wird und wo wir viele neue inhaltliche Dinge präsentieren.

Der Umbau hat sich ja deutlich verzögert. Wann wird die Eröffnung sein?

Marc Fielmann: Ich kenne mich jetzt ziemlich gut mit Bauauflagen und Statik aus (lacht). Wir haben gerade einen 15.000-Liter-Tank für die Sprinkleranlage in den Keller gebaut. Die Kunden können sich sehr sicher fühlen. Eröffnungstermin ist Mitte Juni.

Wie hoch ist die Investitionssumme?

Marc Fielmann: Vier Millionen Euro. Es werden 90 Mitarbeiter in der Niederlassung arbeiten.

Können Sie uns schon einen kleinen Einblick geben, welche Innovationen geplant sind?

Marc Fielmann: Ja, aber sehen Sie es mir nach, wenn ich noch nicht alles verraten möchte. Wir verfolgen seit geraumer Zeit eine Omnichannel-Strategie, also eine Verbindung aus stationärer, persönlicher Beratung und digitalen Services. In der Mönckebergstraße werden wir das jetzt präsentieren. Unter anderem wird es eine 3-D-Anprobe geben. Das heißt, die Kunden können digital Brillen über einen Bildschirm probieren. Dadurch erhöhen wir unsere Auswahl von 10.000 auf 80.000 Brillen. Und, das klingt jetzt vielleicht erst mal etwas langweilig, aber wir werden unser Wartezeitenmanagement voll digitalisieren. Das betrifft nicht nur die Online-Terminvergabe. Es wird auch Zeitfenster geben, in denen man bis zum Termin noch etwas anderes erledigen kann. Da arbeiten wir seit geraumer Zeit mit einem Berliner Start-up zusammen.

Gibt es das in anderen Niederlassungen?

Marc Fielmann: Wir haben das in etwa einem Dutzend Niederlassungen eingeführt, in Berlin und auch in einer Handvoll Hamburger Niederlassungen. Weitere sollen folgen, aber es wird nicht überall eingeführt. Dafür sind die Bedürfnisse an den Standorten zu unterschiedlich.

Lange Wartezeiten sind ja ein Dauerthema bei Fielmann. Und wie wird die Online-Terminvergabe genutzt?

Marc Fielmann: Im vergangenen Jahr haben wir eine halbe Million Termine so abgewickelt, in diesem Jahr soll sich die Zahl mindestens verdoppeln. Das wären mehr als zehn Prozent aller Termine.

Dann sind wir bei einer Frage, die Ihnen seit Jahren gestellt wird: Wann kann man bei Fielmann online Brillen kaufen?

Marc Fielmann: Es gibt drei Schlüsseltechnologien. Einmal ist das die 3-D-Anprobe, darüber hatten wir schon gesprochen. In der Niederlassung kann man so nicht lagernde Brillen anprobieren, aber es ist natürlich auch eine Vorstufe für den Online-Brillenverkauf. Es wird von uns in dem Zusammenhang auch eine Weltneuheit geben, die die Diskriminierung von Brillenträgern aufhebt.

Das müssen Sie uns jetzt erklären.

Marc Fielmann: Menschen mit starker Fehlsichtigkeit können sich bei der Anprobe im Spiegel nicht gut sehen, weil sie ihre Korrekturgläser nicht tragen. Das wollen wir ändern. Der zweite Schritt ist die sogenannte Anpassung. Der Optiker muss wissen, wie das Brillenglas auf der Nase sitzt, damit er es richtig einarbeiten kann. Da haben wir eine patentierte Software-Lösung für unsere Niederlassungen. Die
3-D-Vermessung werden wir in den nächsten zwölf Monaten auch online anbieten.

Aber dann hat man noch keinen Sehtest gemacht.

Marc Fielmann: Genau. Das ist das Kom­plexeste. Die einfache Messung der Sehstärke werden Sie in den nächsten zwölf bis 18 Monaten online machen können. Mehr darf ich noch nicht verraten, weil wir zwei laufende Patentanträge haben. Aber das Smartphone wird ihre Sehstärke bestimmen, und ich denke, spätestens 2021 werden Sie bei Fielmann eine gute Einstärkenbrille online bestellen können. Der Hauptgrund, weshalb wir das bislang nicht angeboten haben ist, dass man bislang die Qualität nicht garantieren konnte. Jetzt haben wir ein Verfahren entwickelte, bei dem die Kunden den Brillenkauf online mit dem Smartphone starten und im einfachen Fall auch abschließen können. In komplexeren Fällen, etwa wenn die Sehstärke sehr hoch ist, werden die Kunden in die Niederlassung geleitet – und es wird ihnen erklärt, warum.

Ist das dann der Durchbruch für das Online-Geschäft?

Marc Fielmann: Wir setzen auf ein Omnichannel-Modell. Bislang haben wir viel Häme einstecken müssen, weil wir Brillen nicht online angeboten haben. Aber wir haben das Vertrauen der Kunden nicht missbraucht. Die Branche hat ja übrigens inzwischen auch eingeschwenkt. Es gibt ja niemanden mehr, der nur online Brillen verkauft. Alle haben entweder eigene Geschäfte eröffnet oder haben sich Partner-Optiker gesucht. Die Marktentwicklung bestätigt unsere Strategie.

Was bedeutet das für das Filialnetz. Werden Sie trotzdem wie angekündigt 50 Neueröffnungen und Modernisierung realisieren?

Marc Fielmann: Ja, es sind auch Umzüge und Flächenerweiterungen darunter. Die beiden Faktoren, warum Fielmann nicht schneller wächst, ist einmal Personal und Fläche. Wenn wir Niederlassungen vergrößern können, verzeichnen wir oft zweistellige Umsatzzuwächse.

Der Börsenkurs hat sich zuletzt positiv entwickelt. Trotzdem gibt es immer wieder sehr unterschiedliche Analystenbewertungen. Wie nehmen Sie das wahr?

Marc Fielmann: Ich lese mir nicht jeden einzelnen Analystenbericht durch, aber unsere Spezialisten filtern natürlich die wesentlichen Punkte heraus. Grundsätzlich sehe ich das sehr rational, ich habe ja selbst auch Finanzen in London studiert. Die unterschiedlichen Annahmen der Analysten können schnell zu unterschiedlichen Preisen führen, die sie dann ausweisen. Ob das dann immer gerechtfertigt ist, ist was anderes.

2019 war ein besonderes Jahr für Sie persönlich: 30. Geburtstag, Hochzeit, allein auf dem Fielmann-Chefsessel. Sind Sie glücklich?

Marc Fielmann: Ja. Ich bin angekommen.

Gibt es etwas, dass Sie überrascht hat?

Marc Fielmann: Es klappt sehr gut mit den Mitarbeitern und dem Team. Dafür bin ich dankbar. Wir haben schon viel in den vergangenen Monaten geändert. Das ist schön und nicht selbstverständlich, dass alle mitziehen.

Und wie ist es für Sie privat?

Marc Fielmann: Man wird erwachsen (lacht). Ein Freund hat mir gesagt, wenn man einen Ring am Finger hat, ist das bei Verhandlungen ein Vertrauensfaktor.