Hamburg. Deutschland größter Lebensmittelhändler macht mit neuer Kette Naturkind Alnatura & Co. Konkurrenz. 7000 Produkte im Angebot.
Mit schnellen Schritten marschiert Benjamin Hirche durch den breiten Mittelgang seines neuen Naturkind-Ladens. Wo mehr als 100 Jahre lang Güterwaggons verladen wurden, stehen jetzt lange Regalreihen. Sein Blick streift über Bio-Mehl, Bio-Marmelade und Bio-Müsli. Ist alles vorbereitet?
Wenige Stunden vor der Eröffnung des ersten Naturkind-Markts gibt es noch einiges zu tun. Irgendwo dröhnt eine Bohrmaschine. In der Frische-Theke arrangieren Mitarbeiter sorgfältig Käse, Fleisch und Wurst. Äpfel, Möhren, Kohlköpfe liegen in offenen Körben. Alles in Öko-Qualität. Daneben ein besonderer Clou: eine Milchtankstelle. „Das ist unser Marktplatz, das Herzstück des Ladens“, sagt der Kaufmann. Viel geschlafen hat er nicht. Am Donnerstag ab 7 Uhr können die Kunden im Bio-Supermarkt in der Neuen Mitte Altona einkaufen.
Edeka setzt auf Bio-Supermarkt Naturkind in Altona
Was man auf den ersten Blick nicht sieht: Hinter Naturkind steckt Deutschlands größter Lebensmittelhändler Edeka. Das Unternehmen mit Sitz in Hamburg will künftig im Bio-Segment mitmischen und Fachmarkt-Ketten wie Alnatura, Denn’s oder Bio-Company stärker Konkurrenz machen. „Wir sind überzeugt, dass es einen Bedarf gibt“, sagt Claas Meineke, Edeka-Vertriebs- und Marketingvorstand. „Der Biomarkt wächst schneller als der Lebensmitteleinzelhandel. Wir schaffen mit Naturkind ein neues Angebot.“ Dabei greift Edeka, die sich für die grüne Tochter den Namen der Tengelmann-Marke Naturkind schützen ließ, auf bewährte Strukturen zurück. Betreiber der Naturkind-Märkte sind selbstständige Kaufleute.
Sogar die Bon-Rollen bei Naturkind sind zertifiziert
„Ich bin überzeugt von dem Konzept. Das trifft den Nerv der Zeit“, sagt Benjamin Hirche, bislang Chef eines Edeka-Markts in Lurup. Am neuen Standort im denkmalgeschützten ehemaligen Güterbahnhof in Altona betreibt der 39-Jährige neben dem Naturkind-Markt auch einen herkömmlichen Edeka-Markt. „Das ist eine Super-Ergänzung für die Kundschaft“, sagt Hirche, der sofort zugesagt hatte, als die Regionalgesellschaft Edeka Nord vor knapp zwei Jahren bei ihm anklopfte. Seitdem läuft die Planung. Bei der Gestaltung im Industriehallen-Ambiente haben sich die Macher ordentlich ins Zeug gelegt. Etwa eine Million Euro hat Hirche investiert. Die Regale sind aus nachhaltiger Produktion. An den Wänden hängen Moosplatten fürs Raumklima. Es gibt eine Wärmerückgewinnungsanlage. Sogar die Bon-Rollen in den vier Kassen, davon zwei mit Selbstbedienung, sind zertifiziert.
Auf einer Fläche von 500 Quadratmetern bietet der Kaufmann in seinem Bio-Markt fast 7000 Bio-Artikel an. Die Auswahl ist riesig. Dutzende Kaffeesorten, eine ganze Wand mit Tee, ein Regalbretter mit diversen Brotaufstrichen. Es gibt alle Basisprodukte, aber auch Lupinen-Bratwürstchen, Bio-Hundefutter und veganen Pflanzendünger. Reis, Nudeln, Getreide, Körner, Müsli und Süßigkeiten können sich die Kunden aus Glasschütten in eigene Behälter abfüllen. An der großen Frische-Theke werden ebenfalls Mehrweg-Verpackungen angeboten. „Mit dem Angebot für Fleisch, Wurst und Käse grenzen wir uns vom Wettbewerb ab“, sagt Marktleitern Monika Reinke, die lange einen Biomarkt im Einkaufszentrum Mercado geführt hat und jetzt Chefin eines 15-köpfigen Teams ist.
Tankstelle für Biomilch aus Pfandflaschen
Im Sortiment vertreten sind bekannte Bio-Hersteller, nicht aber die Edeka-Bio-Eigenmarke. „Wir haben 50 Lieferanten“, sagt Kaufmann Hirche. Dabei liege der Schwerpunkt auf regionalen Produzenten aus einem Umkreis von maximal 150 Kilometern. Als strategische Partner sind unter anderem die Bio-Fleischerei Fricke und Bio-Bäcker Bahde, beide aus Hamburg. Die Milch-Tankstelle werden von De Öko-Melkburen aus Lentföhrden im Kreis Segeberg betrieben. Für einen Euro können die Kunden eine Pfandflasche ziehen und wie früher frische Milch aus dem Kühlgerät zapfen. Ein Liter kostet zwei Euro, ein halber einen Euro. „So können die Kunden aktiv Verpackungsmüll sparen“, sagt Geschäftsführer Hans Möller.
Der Markt für Bio-Lebensmittel wächst seit Jahren. Der Anteil der Verbraucher, die Wert auf einen gesundheitsorientierten und nachhaltigen Lebensstil legen, ist nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in den vergangenen fünf Jahren von 18 auf mehr als 31 Prozent gestiegen. Im vergangenen Jahr haben die Deutschen knapp elf Milliarden Euro für Lebensmittel aus ökologischer Produktion ausgegeben – 5,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die großen Handelsunternehmen kaufen verstärkt die Produkte aus dem ehemaligen Nischenmarkt – und setzen den etablierten Fachhandel damit massiv unter Druck. Selbst Discounter wie Lidl haben inzwischen das komplette Bio-Sortiment auf Bioland umstellt. Schon jetzt werden fast 60 Prozent des Umsatzes im Bio-Segment in klassischen Supermärkten gemacht. 2018 waren das gut 6,43 Milliarden Euro und ein Plus von 8,6 Prozent.
Edeka-Tochter soll wachsen, aber langsam
Edeka erhofft sich von Naturkind vor allem Neugeschäft. Die Entscheidung für eine eigene Bio-Tochter und gegen eine Verbreiterung des Sortiments in Edeka-Filialen begründete Vorstand Claas Meineke damit, dass Käufer, die Wert auf Bioqualität legen, kein so breites Sortiment wie in herkömmlichen Supermärkten wollten. Zugleich ist es Teil der Wachstumsstrategie des Konzern, der wegen seiner Marktstellung kartellrechtlich kaum Spielraum für Zukäufe hat. Eine ähnliche Strategie verfolgen die Hamburger Händler beim Zusammenschluss mit der Drogerie-Fachmarktkette Budnikowsky. Naturkind startet zunächst mit jeweils einer Filiale in Hamburg und im bayrischen Dinkelsbühl. „Wenn die Standorte erfolgreich sind, können weitere folgen“, so Meineke. „Es ist aber kein Wahnsinnstempo bei der Expansion geplant.“
Der frischgebackene Bio-Fachhändler Hirche ist optimistisch für den Naturkind-Markt in Altona. Fünf Millionen Euro Umsatz und 7000 Kunden pro Woche veranschlagt er für das erste Jahr. Auch seine Familie ist überzeugt. „Bei uns zu Hause gibt es jetzt mehr Bio-Produkte. Wir probieren viel aus.“