Hamburg. Siemens Gamesa will nur Teile des insolventen Unternehmens übernehmen. In Hamburg könnten nur 70 von 400 Jobs erhalten bleiben.
Die Mail der Personalleitung an die Senvion-Beschäftigten kam am Freitag, dem 13., um 17.17 Uhr und beginnt mit den Worten: „Die Geschäftsleitung arbeitet derzeit immer noch mit Hochdruck daran …“,– den Verkauf von Teilen des insolventen Hamburger Windkraftanlagen-Herstellers zum Abschluss zu bringen. Seit Montagmorgen wissen zumindest einige Hundert der derzeit noch etwa 1400 Mitarbeiter des Konzerns in Deutschland, wer ihr neuer Arbeitgeber werden könnte. Das Senvion-Management teilte mit, es verhandele jetzt exklusiv mit Siemens Gamesa über den Erwerb „ausgewählter europäischer Service- und Onshore-Geschäfte“ durch den Konkurrenten. Die Verträge sollen demnach bis Ende dieses Monats unterschrieben sein.
Siemens Gamesa interessiert sich ausschließlich für das Geschäft mit der Wartung und Instandhaltung von Windkraftanlagen an Land sowie für die Produktion von Rotorblättern in Portugal. Es sind die attraktivsten Teile des Unternehmens. Damit könnte gut die Hälfte der weltweit rund 3500 verbliebenen Arbeitsplätze gerettet werden, sagte ein Insider der Verhandlungen der Nachrichtenagentur Reuters.
Senvion-Vorstandschef Yves Rannou erklärte am Montag: „Die heutige Ankündigung bedeutet, dass wir kurz davor stehen, einen sicheren Hafen für einen wesentlichen Teil des Unternehmens und seiner Mitarbeiter zu finden.“
900 Beschäftige verlieren wohl ihre Jobs
Die Gewerkschaft IG Metall geht allerdings davon aus, dass in Deutschland nur etwa 500 der zuletzt noch 1400 Senvion-Mitarbeiter vom deutsch-spanischen Unternehmen Siemens Gamesa übernommen werden. „Wir sind froh über jeden Beschäftigten, der übernommen wird. Wir haben aber bis zuletzt gehofft, dass auch bei einer Zerschlagung mehr Beschäftigte eine langfristige Perspektive bekommen“, sagte Meinhard Geiken, der Bezirksleiter der IG Metall in den Küstenländern.
Das Ergebnis des Verkaufsprozesses sei „ernüchternd“, so der Gewerkschafter. Nach den derzeitigen Planungen würden etwa 900 Senvion-Beschäftigte in den nächsten Monaten ihren Arbeitsplatz verlieren.
Das Hamburger Unternehmen war im April wegen Schwierigkeiten bei der Abwicklung von Großprojekten in die Insolvenz gerutscht. Schnell hatte sich abgezeichnet, dass sich Interessenten an Senvion nur die Rosinen herauspicken würden. Als potenzielle Investoren wurde immer wieder unter anderem der Marktführer Vestas (Dänemark) und der japanischen Toshiba-Konzern genannt.
Aufträge sollen noch erfüllt werden
Doch die Verhandlungen verzögerten sich, schließlich musste Vorstandschef Rannou Ende August einräumen, dass sich für das Produktionswerk in Bremerhaven kein Käufer gefunden habe. Auch die Senvion-Entwicklungsabteilung mit Sitz in Osterrönfeld (Schleswig-Holstein) ist für Konkurrenten offenbar wenig attraktiv. Die vorliegenden Aufträge für Windkraftanlagen sollen aber noch abgearbeitet werden, das sichere Arbeit teilweise bis in den Sommer nächsten Jahres, erklärte Senvion.
In der Unternehmenszentrale in Hamburg können sich nach Abendblatt-Informationen etwa 70 der derzeit um die 400 Mitarbeiter Hoffnungen auf einen langfristigen Arbeitsplatz bei Siemens Gamesa machen. Das Servicegeschäft wird in Teilen vom Überseering in der City Nord aus gesteuert. Laut Insolvenzplan, der Mitte vergangener Woche von der Gläubigerversammlung genehmigt wurde, sollen etwa 150 Hamburger Beschäftigte zunächst noch einige Monate im Unternehmen bleiben und den Übergang an den neuen Eigentümer mit abwickeln.
Weitere 100 Mitarbeiter in der Hansestadt sollen Senvion demnach jedoch Ende September verlassen und in eine Transfergesellschaft wechseln. Bereits am Montag gab es erste Informationsveranstaltungen für die Betroffenen in der Zentrale. Finanziert werden kann die Transfergesellschaft allerdings nur, wenn es zum Verkauf an Siemens Gamesa kommt.
Hamburger Betriebsrat hofft auf weitere Teilverkäufe
Andreas Günther, der Vorsitzende des Senvion-Betriebsrats am Standort Hamburg, sagte dem Abendblatt: „Wir sind tief betroffen darüber, dass nach jetzigem Stand Hunderte Arbeitsplätze im Unternehmen und in der Windkraftbranche verloren gehen werden. Zugleich sind wir aber auch glücklich, dass es gelungen ist, wenigstens einige wenige Jobs bei Senvion zu erhalten.“ Er habe immer noch die Hoffnung, dass weitere Unternehmensteile wie etwa der Service für Windparks auf See, an Investoren verkauft und somit weitere Arbeitsplätze erhalten werden könnten, so Günther.
Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP) sagte am Montag, der Verlust von fast 500 Industrie-Arbeitsplätzen sei besonders bitter für das Land, weil es nicht über viel Industrie verfüge. Buchholz nannte den Donnerstag der kommenden Woche (26. September) als geplanten Termin für die Unterzeichnung der Verträge mit Siemens Gamesa. „Noch ist nichts unterschrieben, die Unsicherheit bleibt bestehen“, betonte der Minister aber. Unter den gegebenen Umständen habe der Insolvenzverwalter keine andere Möglichkeit gehabt, als einen Teilverkauf auszuhandeln.
Verhandlungen mit weiteren Investoren
In der Senvion-Mitteilung heißt es zwar, für die übrigen Geschäftsfelder prüfe das Unternehmen weiterhin Optionen und setze die Verhandlungen mit Investoren fort. Buchholz machte jedoch deutlich, dass er – entgegen der Hoffnung des Hamburger Betriebsratschefs Günther – keine weiteren Verkäufe von Unternehmensteilen mehr erwarte.
Wenn die Übernahme durch Siemens Gamesa umgesetzt würde, könnten in Schleswig-Holstein nach seinen Angaben gut 300 Mitarbeiter ihren Job behalten und zum neuen Eigentümer übergehen. 280 Arbeitsplätze fielen jedoch sofort und weitere 200 etwas später weg. Wesentliche Teile der Service-Sparte sitzen in Büdelsdorf und Osterrönfeld (Kreis Rendsburg-Eckernförde). Von dort aus werden unter anderem Windkraftanlagen überwacht, deren Eigentümer mit Senvion einen Servicevertrag geschlossen haben.