Hunderte Beschäftigte des insolventen Unternehmens werden ihre Jobs verlieren. Produktion in Deutschland vor dem Aus.
Der Überlebenskampf hat knapp fünf Monate gedauert – und für viele Mitarbeiter wird es kein Happy End geben. Am 9. April hatte Senvion die Insolvenz in Eigenverwaltung angekündigt. Seitdem führte die Firmenleitung des Hamburger Windanlagenbauers Gespräche mit potenziellen Investoren. Mit überschaubarem Erfolg. Denn seit Mittwoch ist klar: Der Verkauf als Ganzes ist gescheitert, das Unternehmen wird in Einzelteile zerschlagen. Mehrere Hundert der zuletzt noch rund 1800 Beschäftigten in Deutschland werden in den nächsten Monaten ihren Arbeitsplatz verlieren.
Die von Senvion am Nachmittag verbreitete Erklärung klingt an sich verheißungsvoll. Für verschiedene wesentliche Kerngeschäftsbereiche seien mehrere detaillierte Angebote eingegangen, hieß es. Man habe in den vergangenen Monaten in dieser schwierigen Situation daran gearbeitet, „das bestmögliche Ergebnis für das Unternehmen zu erreichen“, sagte Firmenchef Yves Rannou: „Wir stehen nun kurz vor einer Lösung für wesentliche Kernbereiche des Unternehmens.“ Namen von Kaufinteressenten – zuletzt wurden die Branchenrivalen Siemens Gamesa, Acciona, Vestas und Toshiba gehandelt – wurden nicht genannt.
Interesse sollen aber nur das Wartungs- und Servicegeschäft von Senvion sowie einzelne Landesgesellschaften geweckt haben. Potenzielle Investoren haben bis 10. September Zeit, ihre Angebot auszuformulieren. Dann soll die Gläubigerversammlung über die Offerten abstimmen.
Deutsche Produktion vor dem Aus
Schlecht sieht es allerdings für große Teile der Produktion von Senvion in Deutschland aus. „Für den Turbinenbereich sind trotz intensiver und weltweiter Suche keine Angebote für den gesamten Bereich eingegangen“, teilte Senvion mit. In Deutschland beschäftigt das Unternehmen nach Angaben aus dem April (neue gibt es nicht) rund 1900 Mitarbeiter.
Im Fertigungswerk in Bremerhaven sind es 260, am Servicestandort Büdelsdorf 340 und am Entwicklungszentrum in Osterrönfeld 500. In der Zentrale in der City Nord waren es damals rund 440, allerdings ist die Zahl dort weiter geschrumpft. Welche Auswirkungen es auf die einzelnen Standorte gebe, blieb am Mittwoch unklar.
Wie die Gewerkschaft den Fall beurteilt
Die Gewerkschaft ist allerdings alarmiert. „Der Verkauf des Unternehmens als Ganzes ist gescheitert. Dadurch drohen hunderte Entlassungen und die Schließung von Standorten“, sagte Meinhard Geiken, Bezirksleiter der IG Metall Küste. Nun gehe es darum, möglichst viele Arbeitsplätze sowie tarifliche Arbeitsbedingungen bei einem Verkauf des Service-Geschäfts zu sichern. Man erwarte konkrete Vereinbarungen mit der Insolvenzverwaltung sowie Zusagen von möglichen Erwerbern. Für Beschäftigte, die nicht übernommen werden, soll es eine Transfergesellschaft geben.
Die Gewerkschaft begrüßt, dass der Weiterbetrieb sowie die Bezahlung aller Mitarbeiter für September gesichert sei. Das Unternehmen erklärte, die Betriebsfortführung bis zum Verkauf an einen Investor sei gewährleistet, weil sich die finanzielle Situation verbessert habe. Das liege daran, dass Senvion mit Kunden sogenannte Projektfortführungsvereinbarungen getroffen habe. Bestehende Aufträge können also noch abgearbeitet werden. Bis Jahresende oder vielleicht sogar bis Anfang 2020 sei noch Beschäftigung für die Mitarbeiter da, sagte ein Sprecher.
Allerdings werde es noch im September zu ersten Kündigungen kommen, die Bereiche werden wohl – wenn nicht noch etwas passiert – abgewickelt. Ein Hoffnungsschimmer gibt es auch noch für Beschäftigte in der Produktion, die in anderen Ländern arbeiten. Sie könnten an ihrem alten Arbeitsplatz bleiben, falls die betroffene Landesgesellschaft übernommen werden sollte.
Ex-Umweltsenator gründete Unternehmen
Die Schwierigkeiten von Senvion resultieren aus dem vergangenen Jahr. Es kam zu Verzögerungen bei Projekten, in deren Folge zum einen erwartete Umsätze ausblieben und zum anderen Strafzahlungen an Kunden fällig wurden. Dadurch entstand im Frühjahr eine 100-Millionen-Euro-Lücke, weil sich Banken und Hedgefonds nicht über die weitere Finanzierung einigten. Der Massekredit über 100 Millionen Euro stand zwar eine Woche nach der Insolvenzanmeldung. Rannou machte aber stets klar, dass er einen finanzkräftigen Investor oder neuen Eigentümer für Senvion sucht.
Der frühere Hamburger Umweltsenator Fritz Vahrenholt (SPD) gründete 2001 das Unternehmen. Mehrere kleine Windkraftfirmen schlossen sich zu Repower Systems zusammen. Vahrenholt amtierte sechs Jahre lang als Vorstandsvorsitzender – bis 2007 der indische Konzern Suzlon die Firma für 1,3 Milliarden Euro übernahm.
Die Inder hielten mehr als 95 Prozent der Aktien, fanden die übrigen Aktionäre ab und nahmen das Unternehmen von der Börse. Weil die Lizenz für den Namen Repower 2014 auslief, wurde das Unternehmen in Senvion umbenannt. Suzlon gelang es aber nicht, mit dem Hamburger Unternehmen unter dem Strich Geld zu verdienen. Daher verkauften die Inder 2015 das Unternehmen an den US-Fonds Centerbridge, der bis heute mit mehr als 70 Prozent größter Aktionär ist.
Aktie nur noch ein Pennystock
Im März 2016 ging Senvion erneut an die Börse. Im Herbst des Jahres kletterte der Kurs mit 16,71 Euro auf einen Rekordwert. Danach ging es bergab. Als am 9. April die Insolvenz vermeldet wurde, sackte der Kurs unter einen Euro, in den sogenannten Pennystock-Bereich. Am Mittwoch notierten die Anteilsscheine zunächst noch bei 28 Cent, wenige Minuten nach der Unternehmensmitteilung waren es nur noch rund zehn Cent. Das Unternehmen kam damit auf eine Marktkapitalisierung von nur noch knapp neun Millionen Euro.