Hamburg. Berliner eröffnen erste Filiale im Alstertal-Einkaufszentrum. Das verspricht sich das Onlineunternehmen von traditionellen Läden.
Jens Peter Klatt besitzt etwa ein Dutzend Brillen. Eine für den Sport, eine für die Arbeit und noch ein paar, die zu diversen Freizeitoutfits passen. Manchmal trägt der 52-Jährige auch Kontaktlinsen – im Internet bestellt, natürlich. Ein solches Konsumverhalten würde sich der Manager des Onlinehändlers Mister Spex auch von den deutschen Brillenkunden wünschen. Doch die kaufen ihre Sehhilfen noch immer am liebsten beim Optiker an der Ecke.
Aus diesem Grund geht der nach eigenen Angaben größte europäische Onlinehändler für Brillen nun ein Stück weit auf die Konsumenten zu. Am Donnerstag hat Mister Spex das erste eigene Geschäft in Hamburg eröffnet. Auf rund 100 Quadratmetern bietet das Berliner Unternehmen im Alstertal-Einkaufszentrum rund 700 unterschiedliche Brillen an. Darüber hinaus haben die Kunden im Store aber auch Zugriff auf das komplette Online-Portfolio mit rund 10.000 Modellen von gut 150 Marken.
Brillen nach Formen geordnet
„Im Geschäft können wir die Kunden noch besser beraten. Dort bekommen wir die Freude und auch den Schmerz beim Brillenkauf ganz unmittelbar mit“, sagt Klatt, der bei Mister Spex als Vice President Multichannel speziell für den Aufbau der eigenen Filialen zuständig ist.
Das Geschäft im AEZ ist dabei ähnlich schlicht und übersichtlich gestaltet wie der Onlineshop des Unternehmens. Viel Weiß, viel helles Holz, die Brillen sind nicht nur nach Marken, sondern auch nach Formen wie „schmal“, „rechteckig“, „Pilot“ oder „Schmetterling“ geordnet. Dazu gibt es im Laden das, was es online nicht oder nur eingeschränkt gibt: eine ausführliche Beratung und einen Sehtest mit Bestimmung der aktuellen Dioptrien-Werte.
18 Prozent Umsatzplus in 2018
Mister Spex und andere Onlineanbieter haben in den vergangenen Jahren zwar recht eindrucksvoll bewiesen, dass sich ein individuelles Produkt wie die Brille durchaus über das Internet verkaufen lässt. Der Umsatz der Berliner lag im vergangenen Jahr bei rund 123 Millionen Euro – ein Plus von 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Rund 18.000 Brillenpakete verlassen täglich das Logistikzentrum des Unternehmens in Spandau.
Doch je komplexer die Brille wird, desto schwieriger ist es, sie online an den Mann oder die Frau zu bringen. „Bei Gleitsichtbrillen gibt es einen hohen Beratungsbedarf, diese Art von Brillen lassen sich über das Internet nur schwer verkaufen“, sagt Klatt. Zwar arbeitet Mister Spex schon seit Jahren mit rund 500 Partneroptikern zusammen, die Beratung und Sehtests übernehmen. Doch der Weg zu den Partnern – in Hamburg beispielsweise Neuhaus Optik oder Diepolder Optik – ist mitunter lang und aufwendig. Und wer vor dem Onlinekauf durch die halbe Stadt zu einem traditionellen Optiker fahren muss, für den hat sich der Bequemlichkeitsvorteil, den das Shopping im Netz eigentlich bieten soll, schon erledigt.
40 Geschäfte bis Ende 2020
Daher strebt nun auch Mister Spex ein möglichst großes Netz an eigenen Geschäften an. Zwölf gibt es bereits, unter anderem drei in Berlin und weitere in Frankfurt, Bremen oder Dortmund. „Bis Ende 2020 wollen wir in Deutschland insgesamt 40 Stores betreiben“, so Klatt. 65 Millionen Euro haben interne und externe Kapitalgeber in einer neuen Finanzierungsrunde für die Expansion bereitgestellt. Die Wachstumsstrategie der Berliner, zu deren größten Anteilseignern die US-Bank Goldman Sachs und der Risikokapitalgeber Scottish Equity Partners gehören, umfasst neben neuen Geschäften auch eine weitere Internationalisierung und den Ausbau der Logistik.
Dass Hamburg erst jetzt ein Mister Spex-Geschäft bekommt, hat weniger mit dem Respekt der Berliner für den Platzhirsch Fielmann zu tun, sondern mehr mit praktischen Erwägungen. „Wir haben lange nach einem Top-Standort in Hamburg gesucht“, sagt Klatt. „Mit dem Store im AEZ sind wir nun in einem der erfolgreichsten Shoppingcenter Deutschlands vertreten.“ Darüber hinaus könne er sich noch weitere Standorte in der Hansestadt vorstellen, etwa in der Innenstadt oder in einem anderen Einkaufszentrum.
Fielmann wagt sich nur zögernd ins Onlinegeschäft
Dass Onlinehändler wie Mister Spex nun auch die traditionellen Geschäfte für sich entdecken, scheint Skeptikern wie dem deutschen Brillenpionier Günther Fielmann (79) recht zu geben, der sich lange Zeit vehement gegen den Aufbau eigener Onlineshops gestemmt hatte. Sein Argument: Qualität und Beratung im Netz sind nicht möglich.
Auch Günther Fielmanns Sohn Marc (30), der den Hamburger Konzern mittlerweile führt, schoss im Oktober vergangenen Jahres noch eine kräftige Breitseite gegen die Internetkonkurrenz ab: „Versandbrillen aus dem Internet sind ein Zufallsprodukt“, so der Chef.
Virtuelle Brillenanprobe im Internet
Mittlerweile findet in der Barmbeker Zentrale allerdings ein vorsichtiger Wandel statt. Auf der Hauptversammlung im Juli kündigte Marc Fielmann an, den „Online-Brillenverkauf in Fielmann-Qualität“ vorantreiben zu wollen. So soll mit dem Tech-Start-up Fitting Box ab 2020 die virtuelle Brillenanprobe ähnlich wie in einem digitalen Spiegel möglich sein. Bis zum Online-Sehtest am heimischen Computer werde es allerdings noch dauern. „Die Lösung ist kein traditioneller Online-Shop“, so der Vorstandschef, „sondern eine intelligente Verbindung aus persönlicher Beratung und digitalen Services.“
Wirklich fürchten muss sich der Marktführer vor der Onlinekonkurrenz ohnehin nicht. Dazu ist der Abstand zu Mister Spex & Co. einfach viel zu groß. 8,15 Millionen Brillen hat Fielmann im vergangenen Jahr verkauft, der Konzernumsatz lag bei 1,43 Milliarden Euro. Dabei sind die Hamburger hochprofitabel – der Gewinn vor Steuern lag bei 250 Millionen Euro. Mister Spex hat 2018 hingegen nur mit Mühe den Sprung in die Gewinnzone geschafft – die Expansion hinterlässt in der Bilanz ihre Spuren. Die Berliner meldeten stolz ein knapp positiv bereinigtes Ebitda, also einen Gewinn ohne Berücksichtigung von Zinsen, Steuern, Abschreibungen und sonstigen Finanzierungsaufwendungen.
Maximal 20 Prozent Marktanteil
Die möglichen Zuwächse im Internet sind für die kommenden Jahre zwar nicht schlecht, doch in den Himmel werden die Zahlen auch nicht wachsen. „Wir gehen davon aus, dass der Online-Brillenhandel in Deutschland maximal einen Marktanteil von 20 Prozent erreichen kann“, so Mister Spex-Manager Klatt. 2018 lag er laut Branchenverband ZAV bei 4,8 Prozent.