Hamburg. Deutschland-Chef Peter Vullinghs spricht über Stellenabbau in Hamburg, digitale Krankenhäuser und die DFB-Partnerschaft.

Peter Vullinghs hat an diesem Tag an einem Schreibtisch im fünften Stock des Philips-Hauses an der Röntgenstraße Platz genommen. Feste Büros gibt es selbst für den 48 Jahre alten Chef der DACH-Region (Deutschland, Österreich, Schweiz) in dem vor drei Jahren bezogenen Gebäude nicht mehr. Für das Gespräch mit dem Abendblatt hat er den kleinen Konferenzraum Kapstadt gebucht.

Herr Vullinghs, Sie sind Niederländer, arbeiten seit 2015 in Hamburg. Am Freitag spielt im Volksparkstadion die deutsche Elf gegen die Elftal. Was wünschen Sie sich für ein Ergebnis?

Peter Vullinghs: Das ist eine schwierige Frage. Mein Wunsch ist, dass beide Mannschaften bei der nächsten EM dabei sind. Die Rivalität dieser beiden Fußballnationen gehört einfach zum Turnier dazu. Ich werde im Stadion sein und hoffe, dass die Niederlande gewinnen, denn im Hinspiel haben sie gegen Deutschland verloren. Bei einem Sieg der Niederlande sind beide Mannschaften dabei. Allerdings haben die Niederlande viele junge, gute Spieler, die jedoch noch keine feste Mannschaft sind. Daher befürchte ich, dass Deutschland 2:1 gewinnt.

Das müsste Sie aus beruflicher Sicht doch eigentlich freuen.

Vullinghs: Das stimmt ...

… weil Philips Partner der DFB-Akademie ist. Was machen sie da konkret?

Vullinghs: Grundsätzlich glauben wir, dass Sport und Gesundheit attraktive Märkte sind. Viele vorhandene Angebote gehören aber nicht zu den besten. Wir werden beim DFB die medizinische Abteilung unterstützen. Beispielsweise haben wir das Ultraschallgerät Lumify entwickelt. Ein Ultraschallkopf wird an ein Handy oder Tablet angeschlossen. Der Arzt kann dann auf dem Feld über das Bild auf seinem Handy eine Schnelldiagnose abgeben, zum Beispiel, wenn sich ein Spieler das Knie verdreht hat. Übrigens gibt es auch in Hamburg ein wichtiges Sportprojekt: Zusammen mit dem Universitätsklinikum Eppendorf und dem HSV treiben wir das Athleticum am Volkspark voran. Es soll ein Rehahaus für Sportler werden, wir stellen die technische Ausrüstung. Bei der Zusammenarbeit mit dem DFB ist uns auch wichtig, dass wir der Öffentlichkeit den Wandel unseres Konzerns zeigen können.

Gutes Stichwort: Philips hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt: Halbleitersparte verkauft, TV-Produktion weg, Ausstieg aus dem Lichtgeschäft. Warum?

Vullinghs: Wir wollen weg von einem sehr breit aufgestellten Konzern, der alles ein bisschen macht. Im TV-Bereich haben wir zu viele wichtige Komponenten von Zulieferern bezogen, die Margen waren eher schlecht. Im Lichtgeschäft gab es durch LED so große Veränderungen, dass wir uns noch stärker auf diesen Bereich hätten fokussieren müssen, um ganz vorn dabei zu sein. Siemens trennte sich deswegen auch von Osram. Viele Wettbewerber fahren eine ähnliche Strategie und setzen ihre Schwerpunkte.

Welche setzen Sie?

Vullinghs: Wir fokussieren uns über alle Bereiche hinweg auf Gesundheit. Wir wollen uns auf ertragsstarke Segmente konzentrieren und dort zu den großen Spielern gehören. Der ganze Gesundheitsmarkt wächst stark und ist unheimlich interessant. Die Gründe sind klar: Wir werden alle älter, es gibt mehr chronische Erkrankungen und so weiter. Das Krankenhaus der Zukunft wird vernetzt sein. Heute werden viele Formulare noch per Hand ausgefüllt. Das kann alles digital geschehen – von der Terminvereinbarung über Arztbriefe bis zum Entlassungsmanagement. Selbst wenn die Patienten zu Hause sind, können ihr Gewicht, ihr Blutdruck und ihre Bewegungen gemessen und aus der Ferne überprüft werden. Dafür bieten wir Lösungen an. Zudem müssen wir schon vorher ansetzen und vermeiden, dass Leute krank werden. 70 bis 80 Prozent der Krankheiten kann man verhindern. Auch über das Wohlbefinden – dazu trägt unser zweiter wichtiger Bereich bei: Elektroprodukte für die Kunden. Rasiergeräte, elektrische Zahnbürsten, Küchen- und Kaffeemaschinen sowie die Babyartikelserie Avent. Zwischen beiden Bereichen gibt es viele Synergien.

Wofür steht der Standort Hamburg? Was machen Sie hier?

Vullinghs: Hamburg ist für uns ein sehr wichtiger Standort. Wir steuern von hier aus unsere Aktivitäten in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die DACH-Region ist der drittgrößte Markt weltweit für Philips. Zudem sind wir das globale Kompetenzcenter für alle bildgebenden Komponenten wie zum Beispiel Röntgenröhren, die in großen Maschinen eingesetzt werden. Alles, was mit Röntgenröhren zu tun hat, kommt aus Hamburg, oder wird von hier gesteuert. Auch die wichtigen Komponenten für Magnetresonanztomografen (MRT) werden von hier gesteuert. In den Vereinigten Staaten haben wir übrigens einen Standort geschlossen. Stellen, die dort verloren gegangen sind, haben wir in Hamburg aufgebaut. Hier wurden mehr als 100 Stellen geschaffen. Im Vergleich zum Vorjahr ist der Standort um 1,5 Prozent auf 3011 Mitarbeiter gewachsen. Zudem ist Hamburg als Forschungszentrum in den Bereichen MRT, Computertomografie und Software bedeutend. Im Bereich Röntgen arbeiten wir beispielsweise mit der Universität München zusammen, um die Lungenkrankheit COPD in einem frühen Stadium erkennen zu können. Nicht zuletzt wird die neueste Generation der Röntgenröhren hier erforscht.

In dem Bereich gab es zuletzt negative Nachrichten. 215 Arbeitsplätze im Bereich diagnostisches Röntgen gehen zum Teil in die Niederlande. Warum? Sind die Löhne dort niedriger?

Vullinghs: Die Produktion, Forschung und Steuerung der Röntgenröhre als wichtige Komponente für ein Röntgensystem oder Computertomografen ist und bleibt in Hamburg. Der Zusammenbau der diagnostischen Röntgensysteme geht nach Best in den Niederlanden, weil wir dort ein globales Kompetenzcenter aufbauen und die Montage für den europä­ischen Markt bündeln, um Synergien zu schaffen. Die Löhne sind dabei nicht der ausschlaggebende Faktor – wohl aber beim Umzug der Entwicklungsabteilung von Hamburg nach Pune und Bangalore in Indien. Diesen Bereich konzentrieren wir dort, weil es keinen Sinn macht, an mehreren Standorten in der Welt an der gleichen Sache zu entwickeln.

Der Abbau der 215 Stellen soll 2020 abgeschlossen sein. Wie weit ist das Unternehmen hier?

Vullinghs: Das ist ein schwieriger Prozess, aber wir haben inzwischen mit dem Betriebsrat in guten, professionellen Gesprächen eine Vereinbarung über den Sozialplan erzielt. In der Umsetzung liegen wir genau im Zeitplan.

Wird es Kündigungen geben?

Vullinghs: Ja. Auch wenn es gute Bedingungen gibt für viele freiwillige Ausscheidensvereinbarungen – und sogar eine Transfergesellschaft – werden einzelne Kündigungen sicher nicht ausbleiben. Wie viele, kann ich noch nicht sagen. Wir versuchen, die Zahl so niedrig wie möglich zu halten, und möchten möglichst viele Kollegen hier am Standort zum Beispiel im Komponentenbereich weiterbeschäftigen – wenn die Qualifikationen passen.

Im Kundenservice werden 82 Stellen von Hamburg nach Polen verlagert. Kann der Service besser werden, wenn die Sprachbarriere noch dazu kommt?

Vullinghs: Es geht hier weniger um Service, sondern eher um Back-Office-Tätigkeiten, die uns bei internen Abläufen unterstützen, wie zum Beispiel bei der Annahme von Bestellungen. Es hat Vorteile, wenn diese von einem zentralen Standort in Europa aus getätigt werden. Wir sind hier ebenfalls in engem Austausch mit unseren Sozialpartnern. Ein solcher Arbeitsverlust ist immer schwierig, weil er nicht mit der Performance zusammenhängt. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass ich das trotz aller Enttäuschung immer noch professionelle Verhalten unserer Mitarbeiter sehr schätze. Stellen mit direktem Kundenbezug versuchen wir aber in Hamburg zu halten und darüber hinaus ist es unser Anliegen, Kündigungen zu vermeiden. Wir schauen, ob wir Mitarbeiter aus betroffenen Bereichen anderweitig intern einsetzen können. Ebenfalls versuchen wir so sozialverträglich wie möglich zu agieren, bieten beispielsweise eine Orientierungsberatung und Coachings für Bewerbungsgespräche an. Eine Serviceverschlechterung erwarte ich nicht. Zumal wir an unserem neuen Standort in Lodz viele dort lebende deutschsprachige Mitarbeiter einstellen werden, die gut ausgebildet sind.

Fallen noch mehr Jobs in Hamburg weg?

Vullinghs: Was die Zukunft bringt ist schwer zu sagen. Schließlich befinden wir uns in einem Veränderungsprozess. Allen muss bewusst sein, dass wir uns als Unternehmen in dem sich verändernden Marktumfeld auch verändern müssen. Wir betreiben aber keine Salamitaktik, weil das die Mitarbeiter verunsichern würde. Wir haben alle Veränderungen, die ich kenne, zusammengenommen und kommuniziert. Zu den beiden genannten Bereichen kommen noch einige Stellen im Marketing hinzu. Stand heute ist kein weiterer Jobabbau in Hamburg geplant. Und dank unseres Erfolges sind auch Jobs nach Hamburg gekommen, unterm Strich wachsen wir hier.

Wie wichtig wird Hamburg in Zukunft sein?

Vullinghs: Er wird sehr wichtig bleiben. Unsere Stimme wird auch in der Zentrale gehört. Und ich hoffe, auch in einigen Jahren noch hier zu sein. Die Arbeit macht mir viel Spaß. Ich schätze Hamburg sehr, der Unternehmergeist ist stark ausgeprägt – ähnlich wie in den Niederlanden.