Hamburg. Konzern eröffnet heute seine neue Zentrale in Fuhlsbüttel. Abendblatt konnte die radikal veränderten Büroräume vorab besichtigen.
Ein Strandkorb und die weißen Holzstühle, die jeder Hamburger aus den Parks der Stadt kennt, sorgen für Urlaubsfeeling. Knorrige Birkenstämme rund um den Besprechungstisch erinnern an den letzten Spaziergang durch den Wald. Am schönsten aber ist die Aussicht aus bodentiefen Fenstern direkt auf die Landebahn des Flughafens. „Hier sitzt der Innendienst, diese Mitarbeiter arbeiten am häufigsten im Büro und sind selten unterwegs, ihr Ausblick gehört zu den schönsten im Gebäude“, sagt Peter Vullinghs, Geschäftsführer von Philips Deutschland, stellt sich ans Panoramafenster und schaut einem startenden Jet hinterher. Vullinghs’ eigene Chefabteilung blickt auf Industriehöfe.
Beim Rundgang durch das neue Verwaltungsgebäude, das Philips heute neben seiner Röntgenfabrik in Fuhlsbüttel eröffnet, kommt der Besucher aus dem Staunen kaum heraus. Der Konzern hat in seine Deutschland-Zentrale in der Hansestadt 40 Millionen Euro investiert – und ihr den Anstrich einer bunten, erlebnisorientierten Traumwelt verpasst. Zugleich setzt die Firma hier ein derart radikales Raumkonzept um, dass sich so manchem Mitarbeiter beim Gedanken an den Umzug schon Monate zuvor die Nackenhaare aufgestellt haben: Selbst Vullinghs, Chef der 3200 Mitarbeiter in Hamburg, verzichtet komplett auf sein eigenes Büro.
Kein Türschild, kein Vorzimmer, keine Zeichen der Macht künden hier von Einfluss und Autorität. „Ich habe noch nicht einmal einen eigenen Schreibtisch“, sagt der Niederländer fröhlich. „Es ist Zeit, umzudenken, Statussymbole für den Chef waren gestern“, sagt Vullinghs. Die neue Devise: Jeder setzt sich dorthin, wo er gebraucht wird. Plant ein Mitarbeiter ein Werbe-Projekt für den neuen Rasierer, stöpselt er sein Notebook in der Marketing-Abteilung ein. Will er hören, wie die elektrische Zahnbürste ankommt, platziert er sich im Kundenservice und spricht mit den Beratern, die das Ohr am Verbraucher haben.
So sehen die neuen Büros bei Philips aus
„Ich suche mir meine Arbeitsumgebung je nach Aufgabe“, sagt Vullinghs zum Hintergrund des Plans, sich vom eigenen Platz zum Arbeiten komplett zu verabschieden. Wo früher ein Bild der Familie und ein Stapel Akten für ein „Zuhausegefühl“ sorgten, finden die Mitarbeiter heute nur noch eine leere Tischplatte. Mit einer Steckdose. Für den Laptop, den der Beschäftigte als fast einziges Utensil noch sein Eigen nennen darf. Selbst der Telefonanschluss fehlt. Jeder benutzt sein Handy, auch das ein Zugeständnis an die Mobilität in der Philips-Verwaltung. „Zellen-Büros wie in den florentinischen Uffizien verhindern Kommunikation“, sagt Martin Klaffke, Autor des Buches „Arbeitsplatz der Zukunft“.
Ideen entstünden durch Zusammenarbeit, nicht durch Abschottung. Eine typische Reaktion der Mitarbeiter auf derartige Veränderungen seien Verlustängste. Der Mensch sei nicht nur ein Gewohnheitstier. Er habe auch gerne sein eigenes Gehege. „Die nötige Privatheit muss der Arbeitgeber durch Rückzugsräume schaffen“, empfiehlt Klaffke. Zudem erfordere neue Architektur eine veränderte Führung. Der mobile Arbeitsplatz und Home-Office-Zeiten markierten die Abkehr von der Präsenz- hin zur Ergebnisorientierung.
Die Umgebung für die Philipsianer, wie sich die Mitarbeiter des holländischen Elektrokonzerns selber nennen, hat sich mit dem Umzug vom Lübeckertordamm nach Fuhlsbüttel drastisch geändert. Die Großraumatmosphäre mit dem Chef inmitten seiner „Untergebenen“, wie sie auch in Startups üblich ist, und die wechselnden „Nachbarschaften“, wie sie bereits IBM oder HypoVereinsbank kennen, sind aber nicht die einzigen Neuigkeiten für die 1000 Mitarbeiter der Zentrale.
Philips will bis Februar seine Lichtsparte abspalten
Auch die Perspektive für ihre eigene Zukunft ist im Wandel. Der Konzern mit weltweit rund 108.000 Mitarbeitern, einem 2014 auf 21 Milliarden Euro gesunkenen Umsatz und schwächelndem Gewinn hatte vor einigen Monaten bekannt gegeben, die Lichtsparte in eine eigene Gesellschaft auszugliedern. Zuvor hatte Philips schon die TV-Produktion abgestoßen und das Halbleitergeschäft verkauft. Mit Glühlampen ist der Konzern groß geworden, sogar dieses einstige Kerngeschäft ist nun nicht mehr gewünscht bei den Niederländern. „Wir wollen den Bereich bis zum Februar abgespalten haben“, sagte Lichtchef Roger Karner dem Abendblatt. Auch einen Verkauf oder einen Börsengang will der gebürtige Österreicher nicht ausschließen. Auch Siemens hatte seine Beleuchtungstochter Osram vor Jahren an die Börse gebracht.
Der Hintergrund: Der Markt für konventionelle Beleuchtung, mit Glühbirnen, Halogen- und Energiesparlampen geht weltweit um 20 Prozent zurück. Dafür wächst der Bedarf an energieeffizienten LED-Lösungen. Diese Revolution im Lichtmarkt vergleicht Karner mit dem Sterben der Schallplatte und dem Aufkommen von Musikdiensten wie Spotify. Die Digitalisierung hält auch Einzug in die Beleuchtung. Farbstimmungen können mit dem Smartphone gesteuert werden, Supermärkte bieten den Kunden Navigation mit codiertem Licht, in Büros spielt der Biorhythmus bei der Beleuchtung eine Rolle.
Auch im neuen Glaskubus am Flughafen wirkt sich der Umbau des Konzerns aus. Hunderte Mitarbeiter der Lichtsparte werden künftig als Untermieter in der Zentrale arbeiten. Sie belegen zwei eigene Etagen in dem Neubau. Ihre Arbeitsverträge ändern sich allerdings nicht, „und die Strategie bleibt die gleiche“, sagte Karner. Am Standort Aachen hat Philips durch die Umstrukturierung bereits gut 1000 Beschäftigte verloren.
Die Mitarbeiter der Medizintechnik werden hingegen von weiteren Investitionen in ihren Bereich profitieren. In Hamburg arbeiten 1300 Beschäftigte in der Produktion beispielsweise von Computertomografen und Ultraschallgeräten. Um die Digitalisierung auch in Kliniken voranzubringen, investiert der Anbieter am Standort Hamburg 2016 acht Millionen Euro in Projekte, die Krankenhäusern helfen sollen, Kosten einzudämmen. Dabei fungiert Philips nicht mehr nur als Lieferant von medizinischen Produkten, sondern zusätzlich als Berater bis hin zum möglichen Finanzier.