Hamburg. Im Deutschen Zusatzstoffmuseum werden die Machenschaften der Lebensmittelindustrie erklärt – und wie diese unsere Nahrung „optimiert“.
Bei Zahnpasta, Gummi, Beton, Farben und Lacken wird das Pulver als Weißmacher eingesetzt. Aufgesprüht (in Nano-Form) lässt es Lebensmittel wie Mozzarella, Süßigkeiten und Gebäck glänzend und knackig aussehen. In einem Regal voller kleiner Behältnisse zeigt Christian Niemeyer auf ein kleines Fläschchen mit roten Deckel. „E171, Titandioxid“ steht drauf. „In Frankreich soll der Zusatzstoff verboten werden, weil er womöglich krebserregend ist“, sagt der Biologe. Croissants und Petit Fours könnten dort also bald weniger glänzen, dabei ist E171 eigentlich europaweit zugelassen.
„Schon seit vielen Hundert Jahren wird über die Zusätze von Lebensmitteln diskutiert“, so Niemeyer, der das Deutsche Museum für Zusatzstoffe seit 2009 leitet. Es liegt auf dem Hamburger Großmarkt, zwischen großen Obst- und Gemüsehallen – und ist damit fast ebenso versteckt wie die Substanzen in unseren Lebensmitteln, die sie haltbarer, wohlschmeckender, farbiger, knackiger oder fluffiger machen sollen. Nur etwa 150 Quadratmeter ist das verwinkelte Museum groß. Und doch bekommt man hier einen umfangreichen Einblick in das zweifelhafte Vorgehen der Lebensmittelindustrie, die ihren Produkten Tausende von Zusätzen beimischt, um sie zu „optimieren“: Konservierungsstoffe, Emulgatoren, Antioxidantien, Farbstoffe, Verdickungsmittel, Säuerungsmittel, Füllstoffe, Trägerstoffe und Trennmittel – alle, die seit 1996 einheitlich für Europa zugelassen sind, tragen eine E-Nummer.
Zahl der Besucher steigt
Im Zusatzstoffmuseum bekommt man Informationen zu mehr als 325 E-Stoffen und Lebensmittelzusätzen wie Enzymen, technischen Hilfsstoffen und Aromastoffen. Ins Leben gerufen wurde es vom Hamburger Tiefkühlproduzenten Frosta, der in seinem Produkten seit 2003 komplett auf Zusatzstoffe verzichtet und auch die Verbraucher über deren Risiken und Verwendung aufklären will. Das kam gut an. Und die Zahl der Besucher des wohl einzigartigen Museums steigt. Waren es anfangs meist Schulklassen und Allergiker, kommen mittlerweile immer mehr Touristen aus dem Ausland und seit einigen Jahren auch sogenannte Foodies, die Wert auf gute und authentische Lebensmittel legen. Deshalb existiert das Zusatzstoffmuseum noch immer – obwohl es anfangs mehr als Projekt geplant war.
Wer dem Museum einen Besuch abstatten will, sollte Zeit mitbringen. Die Ausstellung ist umfangreich. Niemeyer vergleicht sie mit einem „aufgehängten Buch“. Was der 47-Jährige aus seinem eindrucksvollen Wissensschatz zusätzlich preisgibt, kommt einem zweiten Band gleich. Zu fast jeder Information hat er noch eine Anekdote oder eine Ergänzung parat.
Barbarossa stellte Bierpanschen unter Strafe
An einer Art Zeitleiste wird dargestellt, dass das Verfälschen von Nahrungsmitteln schon seit Jahrtausenden praktiziert wird. Schon 1700 v. Chr. wurde das durch den Codex Hampurapi verboten. Dennoch wurde im alten Rom Bleiacetat zum Süßen von Wein verwendet, obwohl sich viele Menschen vergiftet hatten. Immerhin stellte Kaiser Barbarossa im 12. Jahrhundert das Bierpanschen unter Strafe und Ludwig XV. bestimmte 1742, dass Lebensmittel nur noch mit ungiftigen Pflanzenteilen gefärbt werden dürften. In den USA wurde 1950 die chemische Mehlbleichung verboten, nachdem Haustiere an Backwaren verendet waren. Und 2008 starben in China sechs Säuglinge, weil Milchpulver mit Melamin versetzt worden war, fast 300.000 Kinder erkrankten.
In Europa von heute gilt im Lebensmittelrecht allgemein das Missbrauchsprinzip („Alles ist erlaubt, soweit es nicht verboten ist“), im Bereich der E-Zusatzstoffe wird jedoch abweichend das präventive Verbotsprinzip mit Erlaubnisvorbehalt („Alles was nicht erlaubt ist, ist verboten“) angewendet. Zur Beurteilung der „Schädlichkeit“ eines Stoffes ist jedoch immer eine Risiko-Abwägung erforderlich. Offensichtlich schädliche Substanzen werden natürlich sofort verboten – doch scheut sich die Industrie nicht, ihre Kunden bei Stoffen, gegen die Bedenken herrschen, zu täuschen. Immer häufiger werden Lebensmittel „ohne Konservierungsstoffe“ oder „frei von Farbstoffen und Aromen“ angepriesen.
Verbraucher schützen
„Viele Fertigprodukte sind aber nicht wirklich frei von Zusätzen, sondern enthalten Substanzen, die nicht als Zusatzstoffe deklariert werden müssen oder ,gesund‘ klingen“, so Niemeyer. Milcheiweiß- oder Molkereierzeugnisse könnten ein Synonym für E-Nummern sein, lösten aber bei den Verbrauchern keine Skepsis aus. Tatsächlich könne sich unter diesen Oberbegriffen aber vieles verstecken. „Soll etwa ein Geschmacksverstärker simuliert werden, kann im Molkeneiweißerzeugnis oder der Trockenmilchsubstanz Glutamat, Guanylat und Inosinat enthalten sein, also in diesem Fall drei Zusatzstoffe“, so Wissenschaftler Niemeyer.
Um Verbraucher vor Risiken im Zusammenhang mit Lebensmitteln zu schützen, gibt es die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Die EU-Agentur wurde 2002 nach einer Reihe von Lebensmittelskandalen in den späten 1990er-Jahren gegründet und befasst sich neben der Ernährung auch mit Tier- und Pflanzenschutz. Ihre wissenschaftlichen Bewertungen unterstützen die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und die EU-Mitgliedstaaten beim Treffen von Entscheidungen im Umgang mit Risiken.
Farbstoffe in Süßwaren
Allerdings hatte es in der Vergangenheit Vorwürfe gegeben, die EFSA prüfe nicht umfassend und handele nicht unabhängig genug von der Industrie. Kritisiert wurde etwa, dass führende EFSA-Mitarbeiter eng mit Konzernen wie Nestlé, Kraft oder Unilever zusammengearbeitet hätten, die sie eigentlich kontrollieren sollten.
Deren Produkte dominieren die Supermärkte – und zwei große Wände im Zusatzstoffmuseum. Auf Fototapeten sind lange Regalreihen abgebildet, gut gefüllt mit Aufschnittprodukten, Getränken, Konserven, Fertiggerichten, Knabberzeug, Brotwaren und Süßigkeiten. „Hier geht es in jedem Regal um andere Zusatzstoffe“, so Niemeyer. „Bei den Süßwaren um Farbstoffe, bei den Soßen um Verdickungsmittel, bei Feinkost um Konservierungstechniken, bei Margarineprodukten um Emulgatoren und bei Getränken um Süßstoffe.“
In Veggie-Wurst sind sieben E-Zusätze
Eine Auswahl dieser Produkte kann man im „Supermarkt“ des Museums „einkaufen“ und ihren Strichcode an einer Selbstbedienungskasse einscannen. Auf dem Bon sind statt eines Preises alle im Produkt enthaltenen Zusatzstoffe aufgelistet. Die Veggie-Wurst beispielsweise enthält mit Säuerungsmittel und Säureregulatoren, Farbstoffe und Verdickungsmittel gleich sieben E-Stoffe: E410 (Johannisbrotkernmehl), E415 (Xanthan), E407 (Carrageen), E326 (Kaliumlactat), E262 (Natriumacetate), E160 (natürliches Carotin und Beta-Carotin) sowie E 163 (Anthocyane). Und in Pralinen verstecken sich Geschmacksverstärker, Emulgatoren, Enzyme, Verdickungsmittel und sogenannte Funktionale Additive, die in Verruf geratene Zusatzstoffe verschleiern können.
„Alle Zusatzstoffe wurden kontrolliert, sind damit aber nicht unverdächtig“, so Niemeyer. Sein Tipp zum Abschluss des Besuchs: „Überlegen Sie vor dem Kauf eines Lebensmittels, ob es genauso aussähe, wenn sie es zubereitet hätten. Wären Farbe, Geschmack, Konsistenz und Haltbarkeit gleich?“ Im Salatdressing würden die Kräuter eben nicht monatelang schweben, sondern schnell zu Boden sinken. Und Nudelsalat halte nun mal keine zwei Wochen.
Deutsches Zusatzstoffmuseum, Großmarkt, 20097 Hamburg, Öffnungszeiten: mittwochs, freitags, sonnabends und sonntags 11–17 Uhr, donnerstags 14–20 Uhr, Eintritt: Erwachsene 3,50, Kinder 2 Euro.