Hamburg. Die Verbraucherzentrale in Hamburg hat eine aktuelle Übersicht zusammengestellt – mit zum Teil überraschenden Ergebnissen.

Die Crème fraîche stand weit hinten im Kühlfach und war in Vergessenheit geraten. Jetzt ist sie abgelaufen. Jedenfalls ist das Datum, das unter den Worten „Mindestens haltbar bis“ auf den Aluminiumdeckel gedruckt ist, bereits seit gut drei Wochen verstrichen. Was tun? Gleich ungeöffnet wegwerfen den 200-Gramm-Becher, der im Supermarkt knapp 70 Cent gekostet hat?

Es ist eine Entscheidung, die in deutschen Küchen jeden Tag tausendfach getroffen werden muss. Die Lebenserfahrung zeigt zwar: Auch wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum bereits ein wenig überschritten ist, sind sehr viele Lebensmittel keineswegs verdorben und noch gut genießbar. Aber wie lange sind sie es? Mit dieser Frage wurden Verbraucher lange ziemlich allein gelassen. Doch jetzt haben die sogenannten Marktwächter der Verbraucherzentrale Hamburg, die sich besonders intensiv mit den Themen Lebensmittel und Ernährung beschäftigen, eine Übersicht zusammengestellt, die Antworten gibt (siehe Grafik).

Demnach kann zum Beispiel ungekochter Reis auch noch ein Jahr nach Ablauf des MHD bedenkenlos in den Kochtopf gegeben werden, Konserven und Gewürze halten ebenfalls mindestens zwölf Monate länger als auf der Packung angegeben, Butter und Eier drei Wochen, Schinken und Wurst fünf Tage. Immer vorausgesetzt, die Lebensmittel wurden richtig gelagert, also trocken oder gekühlt – und die Packungen sind nicht geöffnet worden. „Wir haben uns bei diesen Angaben an der Fachliteratur und an Studien orientiert und sind dem Hauptstrom der wissenschaftlichen Aussagen dazu gefolgt“, sagt die Ernährungsexpertin Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg.

Gute Orientierung

Sie hat die Übersicht gemeinsam mit den Tafeln in Deutschland erstellt, die an Bedürftige gespendete Lebensmittel weitergeben. Die haben nicht selten das MHD schon annähernd erreicht. Die Übersicht soll einerseits Tafel-Mitarbeitern Sicherheit geben, andererseits den Empfängern signalisieren, dass sie keine minderwertigen Lebensmittel erhalten. Silke Schwartau betont: „An den Empfehlungen kann sich jeder Verbraucher orientieren.“ Zugleich empfehlen die Verbraucherschützer, sich Lebensmittel mit überschrittenem MHD genauer anzuschauen, zu riechen, zu schmecken – und nur wegzuwerfen, wenn es Veränderungen gibt. Die Verbraucher sollten einfach die eigenen Sinne nutzen.

Flächendeckend eingeführt wurde das Mindesthaltbarkeitsdatum in Deutschland erst Anfang der 1980er-Jahre. Die Lebensmittelhersteller entscheiden selbst, wie lange ein Produkt nach dem Herstellungstag mindestens haltbar ist. Wobei das Datum aussagt, wie lange der Artikel sein Aussehen, seinen Geschmack, seine Konsistenz und den Nährwert nicht zum Negativen verändert. Dass ein Lebensmittel nach MHD-Ablauf nicht mehr genießbar oder gar verdorben ist, bedeutet das Datum ausdrücklich nicht. „Das MHD ist kein Wegwerfdatum“, betont auch das Bundesernährungsministerium, das seit 2017 eine Kampagne mit dem Titel „Zu gut für die Tonne“ betreibt. Das erklärte Ziel ist, die Lebensmittelverschwendung in Deutschland zu verringern.

Vermeidbarer Abfall

Immerhin elf Millionen Tonnen Brot, Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch, Getränke, Fertigprodukte, Getränke und bereits fertig zubereitete Speisen pro Jahr werden hierzulande im Müll entsorgt, etwas mehr als 60 Prozent davon in privaten Haushalten. Fast die Hälfte davon gilt als vermeidbare Abfall. In einer breit angelegten Studie für das Ernährungsministerium errechneten Wissenschaftler, dass jeder Einwohner des Landes täglich im Durchschnitt 150 Gramm Lebensmittel verschwendet. Die Gründe sind vielfältig: Verdorbenes, verbranntes, unappetitliches Essen, zu große Portionen, zu viel eingekauft oder zu große Packungen in den Einkaufskorb gelegt. 5,8 Prozent der Lebensmittel in Haushalten werden entsorgt, weil das MHD abgelaufen war, ergab die Studie.

Deshalb gibt es Kritik an der Datums-Kennzeichnung: Sie verunsichere Verbraucher, werde von ihnen falsch als Verfallsdatum verstanden, heißt es. „Das Mindesthaltbarkeitsdatum fördert die Lebensmittelverschwendung“, kritisieren die Hamburger Marktwächter und die Tafeln in ihrer gemeinsamen Aufklärungskampagne. Zielführender als die Formulierung „mindestens haltbar bis“ sei die in anderen Ländern übliche Angabe „best before“ – also: „beste Qualität bis“ – vor dem Datum. Eine Abschaffung des MHD für besonders haltbare Produkte wie Tee, Reis und Nudeln lehnen die Verbraucherschützer allerdings auch ab. Auf der Verpackung müsse mindestens das Produktionsdatum stehen.

Und was wurde aus der Crème fraîche? Sie war auch drei Wochen nach Ablauf des MHD noch gut. Aussehen, Geruch, Geschmack – als sei das Milchprodukt erst kurz zuvor gekauft worden. Im Müll landete nur der leere Becher.