Hamburg. Insolvente Windanlagenfirma informiert am Dienstag Mitarbeiter, wie es weitergeht. 100 Hamburger haben Senvion bereits verlassen.

Den Dienstag werden die Beschäftigten von Senvion mit Spannung und wohl auch bangem Blick erwarten. Für 14 Uhr hat der insolvente Windturbinenbauer an den drei Standorten Hamburg, Büdelsdorf/Osterrönfeld und Bremerhaven zu gleichzeitigen Mitarbeiterversammlungen eingeladen. Das Unternehmen wird dabei über die nächsten Schritte im Restrukturierungsprozess informieren. „Die Kollegen hoffen, dass sie endlich Klarheit darüber bekommen, wie es hier weitergeht“, sagte der Hamburger Betriebsratsvorsitzende, Andreas Günther, dem Abendblatt.

Mittlerweile dauert die Hängepartie für die Beschäftigten mehr als drei Monate. Im April hatte der Windturbinenbauer Insolvenz in Eigenverwaltung beantragt. Verzögerungen bei Projekten hatten zu geringeren Umsätzen und Strafzahlungen an Kunden geführt. Dadurch war kurzfristig eine 100-Millionen-Euro-Lücke aufgetreten, weil sich Banken und Hedgefonds nicht über die weitere Finanzierung einigten. Eine Woche nach der Insolvenzanmeldung stand der Massekredit über 100 Millionen Euro zwar. Doch Firmenchef Yves Rannou machte von Anfang an klar, dass er einen finanzkräftigen Investor oder neuen Eigentümer für das einst als Repower gegründete Unternehmen sucht.

Senvion installierte im ersten Halbjahr deutlich mehr

Bei den Mitarbeitern herrsche zwar seitdem „business as usual“, wie Günther sagte. Das Geschäft liefe also wie gehabt, vorhandene Aufträge würden abgearbeitet. Im ersten Halbjahr wurden laut Unternehmen 546 Megawatt installiert, ein Plus von 89 Prozent zum Vorjahreszeitraum. Der Unterschied zu früher: Es kämen keine neuen Aufträge mehr herein. So werde zum Beispiel der Bau neuer Windparks mit einem Vorlauf von mehreren Jahren geplant.

Aber wer platziert dafür eine Order bei einem Unternehmen, das mitten in der Insolvenz steckt und dessen Zukunft daher unklar ist? Auch Investitionen in neue, aufstrebende Märkte würden zurzeit unterbleiben. Schließlich bedeuten diese am Anfang zunächst hohe Kosten. Bis sich das Investment rechnet, kann es dauern.

Senvion-Mitarbeiter wollen weitermachen – 100 sind aber bereits weg

Das Insolvenzverfahren führte in der Belegschaft mittlerweile zu gespaltenen Reaktionen. „Die Kollegen sind sehr interessiert daran, bei Senvion weiterzumachen, weil sie sich stark mit dem Unternehmen und der Windindustrie identifizieren“, sagte Günther. Einerseits – andererseits führt die unsichere Lage zu vielen Abgängen. „Seit Jahresanfang bis heute haben rund 100 Leute das Unternehmen in Hamburg verlassen“, so Günther. „Das schmerzt.“ Das entspreche rund 20 Prozent der Beschäftigten in der Hansestadt, deren Zahl Senvion Ende 2018 mit gut 500 Beschäftigten angegeben hatte.

Ausgeschieden seien vor allem viele Kaufleute, aber auch Ingenieure. Der Wettbewerb in der Branche zwischen den Firmen um hoch qualifizierte Kräfte gilt als hart. Abwerbungen sind üblich. Neueinstellungen fehlen hingegen. Wer fängt schließlich schon bei einem Unternehmen, das mitten in der Insolvenz steckt, die Probezeit an?

Wo kommt das Geld für die August-Gehälter her?

Zumal sich für den nächsten Monat erneut die Geldfrage stellt. Mit dem Insolvenzantrag waren die Gehälter bis Ende Juni gesichert. Für drei Monate sprang die Agentur für Arbeit ein. Die Juli-Gehälter wurden aus dem Massekredit gezahlt. Mit dem Geld sei so gut gewirtschaftet worden, dass bis Ende Juli ausreichend Finanzmittel zur Verfügung stünden, hieß es Mitte Juni. Nach Abendblatt-Informationen sind die Juli-Gehälter für die rund 2000 Beschäftigten in Deutschland inzwischen gezahlt worden. Allerdings steht nun der August vor der Tür – und wieder muss die Frage der Finanzierung geklärt werden.

Klar ist: Das Geld muss das Unternehmen besorgen, die Arbeitsagentur ist raus. Allerdings sei man – wie immer in Insolvenzverfahren – weiterhin in Gesprächen mit betroffenen Arbeitnehmern, Betriebsräten, Gewerkschaften, Personalplanern und Geschäftsführung, sagte Knut Böhrnsen, Sprecher der Agentur für Arbeit in Hamburg: „Wir wollen das Beste für alle Beschäftigten ermöglichen.“ An erster Stelle stehe dabei die Beschäftigungssicherung. Parallel dazu werde geschaut, ob es Alternativen auf dem Arbeitsmarkt für die Beschäftigten gebe und ob berufliche Qualifizierungsmaßnahmen notwendig seien.

Senvion-Tochter Euros wurde bereits verkauft

Ob es für Senvion als Unternehmen aber noch eine Zukunft gibt, scheint offen. Je länger die Suche nach einem Investor dauert, umso schwerer wird es als ganze Einheit bestehen zu bleiben, lautet die Einschätzung eines Insiders, der nicht genannt werden will. Damit droht dem Unternehmen, das sich am Montag nicht äußern wollte, mit weltweit 4000 Beschäftigten die Zerschlagung. Die Senvion-Tochter Euros, die Rotorblätter aus Verbundwerkstoffen für On- und Offshoreanlagen entwickelt, wurde bereits zum 1. Juli an einen strategischen Investor aus den USA verkauft. Der Berliner Standort mit rund 20 Mitarbeitern bleibt erhalten, Kündigungen gab es nicht.

Dem Konzern läuft so langsam die Zeit davon. Zunächst wollte Senvion Angebote bis Ende Juni haben. Dann wurde die Frist auf Ende Juli gesetzt und nach Reuters-Informationen später aufgehoben. Die Verhandlungen mit Konkurrenten wie Siemens Gamesa, der spanischen Acciona, dem dänischen Marktführer Vestas und Toshiba aus Japan liefen weiter, hieß es. Offenbar gestalten sich die Gespräche aber schwieriger als erwartet. Das für Dienstag geplante Treffen der Mitarbeiter hätte eigentlich schon am vergangenen Donnerstag stattfinden sollen, sei aber dann noch einmal verschoben worden. „Offenbar gab es kurzfristig noch einmal Klärungsbedarf“, hieß es aus informierten Kreisen.