Hamburg. Der Unternehmer wird 80 Jahre alt. Ein Gespräch über sein bewegtes Leben – und wie er zum erfolgreichen Geschäftsmann aufstieg.

Ian Karan ist fit. Unglaublich fit, das muss man ihm lassen. Federnden Schrittes kommt er aus seinem Büro im Harvestehuder Weg – und umarmt sofort den Fotografen. Ach so. Natürlich. Die beiden kennen sich.

Hamburger Abendblatt: Herr Karan, Sie werden bald 80 und wirken wahnsinnig fit. Wie machen Sie das?

Ian Karan: Fällt das wirklich so auf? Also, sicherlich haben meine Gene auch etwas damit zu tun. Aber ich treibe tatsächlich jeden Tag Sport, mindestens eine Stunde, entweder Fitness oder Tennis. Allerdings, das wird jetzt langsam schwieriger. Ich spiele Herren 50 – die meisten meiner Gegner sind 30 Zentimeter größer und 30 Jahre jünger als ich.

Welchen Sport haben Sie als Kind getrieben?

Karan: Als Kind war ich einfach viel draußen, viel in Bewegung. Mit elf Jahren habe ich angefangen zu boxen. Dann entdeckte ich Cricket, darin war ich wirklich gut. Cricket war auch der Grund, warum ich als Teenager nach England kam.

Sie erhielten ein Sportstipendium in London. Wie kann man sich das vorstellen, Anfang der 50er-Jahre in einem Dorf auf Ceylon, das heutige Sri Lanka. Wie kommt man auf die Idee, nach London zu wollen?

Karan: Es war nicht meine Idee, sondern die meiner Großmutter, bei der ich ja aufwuchs. Sie war schon 91 Jahre alt, als ich 16 war, und sie wusste, dass ihre Zeit zu Ende geht. Sie war sehr gläubig und wollte für mich gesorgt wissen. Tatsächlich habe ich sie nach meinem Abschied auch nie wiedergesehen.

Wie war der Flug?

Karan: Ich bin natürlich nicht geflogen. Das konnten wir uns nicht leisten. Ich bin mit dem Schiff gefahren, und als ich in London ankam, weiß ich noch, dass ich dachte: kein Wunder, dass die Engländer zu uns kamen. Diese ganze Kolonialvergangenheit der Engländer machte für mich plötzlich sehr viel Sinn. Es war der 6. Januar, mitten im Winter, ich kam direkt aus dem Sommer. Ich bin ja an der Küste groß geworden. Es roch nach See und Seetang. Die Luft war immer frisch. Es gab keine Stadt, kaum Autos. Und dann London. Diese schlechte Luft dort. Und kein einziges Blatt am Baum, alles war wie tot. Ich habe mich wirklich gefragt: Wie lebt man hier? Ich wusste ja auch nicht, dass sich das ändert, dass es einen Frühling gibt.

Haben Sie gefroren?

Karan: In der ersten Zeit nicht, ich glaube, da hatte ich noch genug Wärme in mir. Irgendwann fing es dann an. Ich hatte eine kleine Gasheizung auf meinem Zimmer im Internat. Da musste man einen Schilling in so einen Zähler werfen, dann lief das Feuer für eine Stunde. Bevor ich schlafen ging, habe ich mich davor gesetzt, habe die Decke aufgewärmt und bin dann ins Bett.

Sind Sie deshalb nach Hamburg, weil es Ihnen in London nicht gefiel?

Karan: Nein, ich bin sehr gerne in London gewesen. Nachdem ich von der Uni geflogen bin, habe ich bei einer Spedition angefangen zu arbeiten, das war eine tolle Zeit. In Hamburg wollte ich eigentlich nur ein Jahr bleiben – um die Sprache zu lernen.

Wie war Ihre erste Woche?

Karan: Ein Kollege aus der Firma in England wohnte zu der Zeit in Hamburg, er half mir, ein Zimmer zu finden, das war im Mittelweg. Nach einer Woche bat mich allerdings der Vermieter, nicht jeden Tag zu duschen, sondern nur zweimal die Woche. Ich bin dann in eine WG in die Eppendorfer Landstraße gezogen – zu fünf anderen Jungs.

Oha. Wie sah die Küche aus?

Karan: Die Küche ging eigentlich. Aber das Badezimmer … Das kann sich heute keiner mehr vorstellen.

Was haben Sie damals gearbeitet?

Karan: Die erste Zeit habe ich Teller gewaschen in einem vegetarischen Restaurant. Nachmittags bin ich rumgegangen und habe versucht, einen Job zu finden in meinem Bereich, also in einer Spedition. Und fand auch einen. Dort bat man mich, für einen kanadischen Kunden einen Bericht zu verfassen über die deutschen Verkehrswege, Tarife und Kosten, was ich auch tat und offenbar so gut, dass mich der Chef kennenlernen wollte. Mein Büro war in der Ferdinandstraße, das Hauptunternehmen saß am Ballindamm, und weil ich so aufgeregt war, war ich eine Viertelstunde zu früh. Die Sekretärin war nicht am Platz, der Chef empfing mich persönlich, ein sehr eleganter Herr, der mir gleich einen Sherry anbot, und ich dachte: Meine Güte, die Deutschen wissen, wie man’s macht! Wir verstanden uns prächtig, bis irgendwann die Sekretärin aus der Pause zurückkam und zum Chef sagte: Sie wissen schon, dass das Herr Karan aus der Ferdinandstraße ist – und kein Kunde?

Herrlich. Und dann?

Karan: Trafen wir uns trotzdem fortan jeden Mittwoch. Wir tranken keinen Sherry mehr, dafür Tee. Mein Chef wollte sein Englisch verbessern. Ein toller, sehr feiner Mann, ich werde ihn nie vergessen. Ich habe eine Menge von ihm gelernt. Über Stil und Form, über echte Hanseaten. Darüber, was es bedeutet, in Hamburg ein Kaufmann zu sein.

Bis Sie selbst einer wurden?

Karan: Bis dahin vergingen noch ein paar Jahre. Es lief ja alles super. Der Chef mochte mich. Nach unserem Sherry-Gespräch verdoppelte er mein Gehalt auf 1500 D-Mark. Ein Jahr später war ich bei 2500 und bekam einen kleinen Firmenwagen. Eines Tages verunglückte ein Freund von mir tödlich, er hatte eine Container-Vermietfirma. Auf der Beerdigung saß ein Amerikaner neben mir. Er fragte mich direkt, ob ich nicht das Container-Business übernehmen wollte. Ich zögerte. Sagte erst Nein. Er fragte mich, was ich verdienen wolle. Ich sagte: 10.000 im Monat. Gemeint hatte ich D-Mark.

Und dann?

Karan: Hat der Mann natürlich geschluckt. Aber nichts gesagt. Dann kam wenige Tage später ein Telex: „We agree to employ you – at a salary of USD 10.000“, stand darauf. Umgerechnet 24.000 D-Mark! Das war mein Einstieg ins Container-Business. Wenn ich zurückschaue auf mein Leben, dann ist es voll von solchen Geschichten: plötzlichen Wendungen und Überraschungen, die mich oft weitergebracht haben. Und manchmal auch voll erwischt.

Wann, zum Beispiel?

Karan: 1993 hatte ich mich entschlossen, aus dem Container-Geschäft auszusteigen und meine Firma an einen englischen Konkurrenten zu verkaufen. Die beste Kanzlei der Stadt hatte wochenlang die Verträge vorbereitet, ein winziges Detail jedoch übersehen: Es stand zwar darin, was die Engländer zahlen sollten. Aber nicht, wann. Ich übertrug ihnen meine Assets – und wartete auf den Gewinn. Doch der kam nicht. Irgendwann rief ich dort an und sagte: Ich habe noch gar kein Geld von euch gesehen. Und die sagten: Wissen wir. Verklag uns doch. Das war die schwierigste Zeit meines Lebens. Ich hatte kein Unternehmen mehr und war zahlungsunfähig. Wir mussten unser Haus verkaufen, was vor allem für die Kinder schwierig war. Ich selbst hatte so eine Wut im Bauch.

Haben Sie in dieser Zeit schlecht geschlafen?

Karan: Ja, sehr.

Wie haben Sie geschlafen, als Sie 2010 Wirtschaftssenator wurden?

Karan: Da gab es auch einige sehr schlechte Nächte.

Was haben Sie mitgenommen aus der Zeit?

Karan: Zum einen die Erkenntnis, dass es ein hartes Geschäft ist. Ich frage mich wirklich, warum noch irgendein Mensch in ein politisches Amt will. Es wird schlecht bezahlt, man ist die meiste Zeit fremdbestimmt. Was ich darüber hinaus schnell bemerkt habe: Wie sich der Umgang mit mir als Person veränderte. Für viele war ich plötzlich nicht mehr Ian Karan. Sondern nur noch „Herr Senator“. Für mich war dieses Amt eine Bürde.

Konnten Sie verstehen, warum Andrea Nahles vor ein paar Tagen ihren Rückzug aus der Politik verkündet hat?

Karan: Ja. Diese Frau wurde gepiesackt, von allen Seiten. Und irgendwann ist es genug, das hält doch niemand auf Dauer aus. Ich selbst habe Machtspielchen in meiner Zeit als Senator allerdings kaum erlebt. Ein wenig von den Grünen gegenüber der CDU, aber das war natürlich auch ein Stück weit normal, sie waren Juniorpartner in der Koalition. Wer mir damals schon aufgefallen ist, war Katharina Fegebank. Eine großartige Politikerin. Immer ehrlich, immer geradeheraus. Ich habe hohen Respekt vor ihr.

Bereuen Sie es im Rückblick, die Partei des Rechtspopulisten Ronald Schill unterstützt zu haben?

Karan: Ich bereue nicht die Tatsache, dass ich ihn unterstützt habe. Ich wollte der CDU zum Wahlsieg verhelfen. Was ich tatsächlich nicht habe kommen sehen, war der rasante Absturz dieses Menschen. Als ich Schill zum ersten Mal traf, hatte ich den Eindruck eines belesenen, intelligenten, witzigen Menschen. Im Kern war er kein Rechtsradikaler, kein Fremdenhasser. Viele seiner engsten Freunde damals waren Ausländer.

Was sich in seiner Politik jetzt nicht so unbedingt niedergeschlagen hat.

Karan: Wissen Sie, ich habe nicht den Luxus, den Sie haben als Deutsche. Sie tangiert das nicht, wenn eine Million Flüchtlinge herkommen. Aber mich schon. Denn ich habe mich über die Jahre bemüht, mich zu integrieren, die Sprache zu lernen, Steuern zu zahlen – ein ordentlicher Bürger dieser Stadt zu sein. Wenn die Leute mich auf der Straße sehen, dann wissen sie sofort: Das ist ein Ausländer. Und ich habe keine Lust, dass mein Ansehen in dieser Stadt schwindet, weil sich andere Ausländer hier schlecht benehmen.

Ist Ihnen in Hamburg eigentlich jemals Fremdenfeindlichkeit widerfahren?

Karan: Nein. Ich denke aber auch, dass das damit zu tun hat, dass ich kaum im öffentlichen Nahverkehr unterwegs bin. Ich fahre viel mit dem Auto und bewege mich in Kreisen und Stadtteilen, in denen Ausländerfeindlichkeit kaum ein Thema ist. Da bin ich privilegiert.

Wollten Sie jemals etwas anderes werden als Unternehmer?

Karan: Nein. Ich bin ja Kaufmann geworden, weil ich im Prinzip ein fauler Mensch bin. Ich komme sehr schlecht aus dem Bett, und jetzt, mit fast 80, kann ich es ja zugeben: Ich bin nie pünktlich zur Arbeit gekommen. Solange ich Angestellter war, lief ich immer Gefahr, gekündigt zu werden. Morgens war ich immer in Eile, hab immer die eine Bahn zu spät genommen, war ständig am Laufen. Das war einer der treibenden Gründe, warum ich Kaufmann geworden bin. Aber natürlich hat es mir auch Spaß gemacht, Geschäfte zu machen, überhaupt: ein Geschäft aufzubauen. Was zu kreieren. Das Geld war dabei immer nur Nebensache.

Sollten Reiche Ihrer Meinung nach von ihrem Vermögen abgeben?

Karan: Ja. Nächstenliebe ist eine wichtige christliche Tugend. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter hat mich und mein gesellschaftliches Verständnis maßgeblich geprägt.

Worauf sind Sie stolz, Herr Karan?

Karan: Dass ich eine tolle Familie habe. Beinahe jeden Sonntag kommen wir bei uns zusammen, meine vier Kinder, zwei Enkel, die Eltern meiner Frau, mein Schwiegersohn und mein angehender Schwiegersohn – das ist immer ein Fest. Ich koche für alle ein Curry, wir essen gemeinsam. Ich bin stolz auf meine Kinder, weil sie gute Menschen sind. Ich bin stolz auf meine Frau, die meine Geschäfte übernommen hat und es besser macht als ich. Die sowieso alles managt, die ganze Familie, die Kinder, unser Vermögen. Und dazu spielt sie noch unglaublich gut Tennis. Sie spielt in der höchsten Klasse in Deutschland! Gestern war unser 31. Hochzeitstag. Wir waren essen, nur wir zwei. Das war ein wunderschöner Abend!