Hamburg. Konzern gibt sich in Werbung gerne als Vorreiter beim Thema Klimaschutz. Doch Umweltschützer zeichnen ein ganz anderes Bild.

Von der Gründung 1909 bis in die 1960er-Jahre hinein wäre Vattenfall der Traum heutiger Klimaschützer gewesen: Der schwedische Staatskonzern erzeugte Strom ausschließlich aus Wasserkraft – getreu dem Firmennamen, der übersetzt „Wasserfall“ bedeutet. Dann jedoch traten zunächst ölbefeuerte Kraftwerke und später immer mehr Kernreaktoren hinzu.

Aktuell beträgt der Anteil der erneuerbaren Energiequellen an der Stromerzeugung gut ein Drittel (33,5 Prozent). Damit ist Vattenfall trotz des Traditionsnamens nicht „grüner“ als einige andere der größeren europäischen Energiekonzerne. In Deutschland sieht die Bilanz noch schlechter aus, hier lag der Grünstrom-Anteil zuletzt bei 28,8 Prozent.

Dennoch hat Unternehmenschef Magnus Hall ein bemerkenswertes Ziel formuliert: Innerhalb einer Generation soll Vattenfall weltweit ohne fossile Brennstoffe auskommen. Auf eine exakte Jahreszahl legt sich Hall zwar nicht fest, er grenzt den Zeitraum aber immerhin etwas ein: Ob man nun 2040 oder erst 2045 CO2-neutral arbeiten werde, sei nicht entscheidend, so Hall.

Gerade in Hamburg hat er mit diesem Leitbild, das Vattenfall offensiv in der Werbung einsetzt, erhebliches Aufsehen erregt. Schließlich steht hier mit dem Kohlekraftwerk Moorburg, das erst im Jahr 2015 ans Netz ging, die immerhin elftgrößte Quelle des Klimagases CO2 in Deutschland und die größte im Norden. Die ersten acht sind alle ältere Kraftwerke, die mit der besonders klimaschädlichen Braunkohle befeuert werden, während die Anlage an der Süderelbe mit Steinkohle arbeitet.

BUND: „Fehlinvestition der Energiebranche“

Für Karsten Smid, den Energieexperten der Umweltschutzorganisation Greenpeace in Hamburg, ist das Ausstiegsversprechen von Magnus Hall „typische Vattenfall-PR“. Nur durch konkrete Maßnahmen werde das Werbe-Leitbild glaubwürdig: „Wenn der Konzern es damit ernst meinte, müsste er die Abschaltung von Moorburg bis spätestens 2030 beschließen“, so Smid. Tatsächlich heißt es auf den Internetseiten von Vattenfall: „Braunkohle und Steinkohle passen nicht mehr zu unserer Strategie.“ Bereits 2016 haben die Schweden ihre Braunkohleaktivitäten in der Lausitz, darunter mehrere der oben genannten Kraftwerke und Tagebau-Gruben, an einen tschechischen Versorger verkauft – der sie jedoch weiter betreibt.

Manfred Braasch, BUND Hamburg
Manfred Braasch, BUND Hamburg © Mark Sandten

Vor diesem Hintergrund sieht Manfred Braasch, Landesgeschäftsführer der Naturschutzorganisation BUND in Hamburg, den rund drei Milliarden Euro teuren Bau von Moorburg als „eine der größten Fehlinvestitionen der Energiebranche“. Von Vattenfall heißt es dazu, man habe die Investitionsentscheidung vor fast 15 Jahren getroffen – „mit starker Unterstützung der Stadt“, wie Firmensprecherin Kristina Hillmer anmerkt: „Die Hamburger Politik war damals davon überzeugt, dass Hamburg dieses Kraftwerk braucht, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des damals bestehenden rot-grünen Ausstiegsbeschlusses aus der Kernenergie.“ Der Senat habe damals „aktiv dazu beigetragen, dass die Anlage in der jetzigen Größe entstanden ist“. Moorburg sei zudem „eines der modernsten und effizientesten Steinkohlekraftwerke in Deutschland und Europa“, außerdem sei der Komplex „heute wie damals wichtig für Hamburg“. Die Hansestadt sei einer der wesentlichen Industriestandorte in Deutschland, dessen hoher Energiebedarf verlässlich gedeckt werden müsse.

Um die Effizienz des Kraftwerks zu verbessern, plante der schwedische Konzern ursprünglich, die Abwärme von Moorburg in großem Stil für die Fernwärmeversorgung Hamburgs zu nutzen. Doch daraus wurde nichts. Nur eine benachbarte Raffinerie erhält seit Ende 2016 Prozesswärme über eine Pipeline, was Vattenfall zum Anlass nahm, die Anlage fortan „Heizkraftwerk“ zu nennen.

Fernwärme-Pläne für Hamburg gescheitert

Mit dem Rückkauf des Fernwärmenetzes durch die Stadt sind die einstigen Wärmeversorgungspläne des Unternehmens nun endgültig beerdigt worden. Denn der Senat will – auch auf Druck der Volksinitiative „Tschüss Kohle“ – gesetzlich festschreiben, dass spätestens Ende 2030 keine Kohle mehr für die Hamburger Fernwärme verbrannt werden darf. Damit wird die Hansestadt nach den Worten von Anjes Tjarks, Fraktionschef der Grünen in der Bürgerschaft, „zum absoluten Vorreiter beim Kohleausstieg“ in Deutschland. Auf die Stromerzeugung aus Kohle im Kraftwerk Moorburg habe die Stadt jedoch keinen direkten Einfluss, da es ihr nicht gehöre, argumentierten Tjarks und SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf.

Umweltschützer Braasch beurteilte die Einigung zwischen der Volksinitiative und den Bürgerschaftsfraktionen der SPD und der Grünen als „gangbaren Kompromiss“. Er reiche allein aber längst nicht aus, um die CO2-Emissionen im dringend notwendigen Umfang reduzieren zu können, wobei sich Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zuletzt ja „klar zum Klimaschutz bekannt“ habe. Aus der Sicht von Braasch bleibt es das wichtigste Ziel, „Moorburg als größten Klimakiller Hamburgs bis spätestens 2030 stillzulegen“.

Wenn es nach der von der Bundesregierung eingesetzten Kohlekommission geht, bliebe dafür allerdings noch länger Zeit. Das Gremium, in dem Vertreter der Industrie, der Gewerkschaften, aus Umweltverbänden und der Wissenschaft sitzen, empfahl im Januar, bis spätestens Ende 2038 die Stromgewinnung aus Kohle in Deutschland zu beenden. Dass es auch wesentlich schneller gehen kann, haben die Niederländer gezeigt. Auf Anordnung der Regierung wird das Vattenfall-Kohlekraftwerk „Hemweg 8“ in Amsterdam zum 1. Januar 2020 stillgelegt. Zunächst war eine Übergangsfrist bis 2025 gewährt worden, Gespräche über Entschädigungszahlungen laufen nun.

Konzern denkt über Umstellung nach

Auch im Hinblick auf Moorburg denkt man bei Vattenfall über Alternativen nach. 2016 hieß es, ein Verkauf der Anlage sei nicht auszuschließen. Aktuell werde „ergebnisoffen“ geprüft, „welche Optionen für eine Brennstoffumstellung bestehen“, erklärte Firmensprecherin Hillmer. Vattenfall-Chef Hall nannte Biomasse als eine der Möglichkeiten. „Fragen der technischen und finanziellen Machbarkeit“ seien aber noch gar nicht geklärt, so Hillmer.

In Skandinavien will Vattenfall jedenfalls nach eigenen Angaben schon 2030 klimaneutral arbeiten. Allerdings betreibt das Unternehmen in Schweden auch mehrere Kernkraftwerke. In diesem Zusammenhang sagte Pieter Wasmuth, Generalbevollmächtigter von Vattenfall für Hamburg und Norddeutschland, kürzlich dem Abendblatt mit Bezug auf die schwedische Klimakämpferin Greta Thunberg: „Greta ist ja in Deutschland beinahe heiliggesprochen worden, bis sie gesagt hat, dass Kernenergie auch eine Option ist.“ Die Schweden seien rationaler als die Deutschen und sähen eben, „dass es ohne eine regelbare Energiequelle nicht geht“.

Nach Auffassung des Greenpeace-Energieexperten Smid gibt es aber keinen Grund für Befürchtungen von einstigen Atomkraftgegnern, im Zuge der Klima-Diskussion könnten Kernkraftwerke gewissermaßen wieder salonfähig werden. „Die Erneuerbaren Energien haben längst gezeigt, wie leistungsfähig sie sind.“ So wolle etwa Dänemark im kommenden Jahr schon 80 Prozent des Stroms mittels Windkraft, Solarzellen und Biogas erzeugen, sagte Smid – „und wenn dann noch innovative Speichertechnologien genutzt werden, kommt man auch auf 100 Prozent“.