Hamburg. Angeblich wollte der Konzern nie ein Kraftwerk in Wedel bauen. Senat bleibt bei Rückkauf und will Vattenfall nicht verklagen – derzeit.

Der schwedische Energiekonzern Vattenfall soll beim Vertrag zum Rückkauf des Fernwärmenetzes gegenüber dem Hamburger Senat und der Bürgerschaft falsche Angaben gemacht haben. Das berichtet das Magazin „Der Spiegel“ unter Berufung auf Aussagen von Vattenfall-Mitarbeitern. Demnach soll der Konzern wohl niemals ernsthaft geplant haben, den bei Vertragsabschluss 2014 vereinbarten Bau eines GuD-Kraftwerks (Gas und Dampf) in Wedel als Ersatz für das alte Kohlekraftwerk umzusetzen. Jedenfalls hätte der geplante Fertigstellungstermin 2018 sowieso nicht eingehalten werden können, so das Magazin. Das soll auch aus internen Vattenfall-Mails hervorgehen.

Hintergrund: Nach dem erfolgreichen Volksentscheid zum Rückkauf der Energienetze (Strom, Gas, Fernwärme) vom September 2013 schloss der damals mit absoluter Mehrheit regierenden SPD-Bürgermeister Olaf Scholz im Januar 2014 einen Vertrag mit Vattenfall zur Übernahme der Fernwärme zum Jahresbeginn 2019.

Zwei Vertragsoptionen mit Vattenfall – mit und ohne Kraftwerk

Darin wurden zwei Mindestpreise festgelegt. Für den Fall, dass Vattenfall ein neues Gas-Kraftwerk in Wedel bauen würde, wurde der Preis auf 1,15 Milliarden Euro fixiert. Ohne das Kraftwerk wurde ein Mindestpreis von 950 Millionen Euro festgelegt. Scholz soll seinerzeit froh gewesen sein, auf diese Weise ein neues Kraftwerk für einen relativ günstigen Festpreis von 165 Millionen Euro von Vattenfall bekommen zu können – ohne das Risiko von Verzögerungen und Preissteigerungen beim Bau der Stadt aufbürden zu müssen. Zunächst galt die Option mit dem Kraftwerksbau als die wahrscheinlichere und die Stadt strebte diesen Neubau auch gezielt an.

Nach der Bürgerschaftswahl 2015 und der Regierungsbeteiligung der Grünen allerdings fiel bald die Entscheidung, auf den Bau eines solches Kraftwerks doch zu verzichten. Begründet wurde dies mit massiven Veränderungen der Lage auf den Energiemärkten, die einen solchen Kraftwerksbau nun nicht mehr rechtfertigen könnten. Stattdessen will die Stadt das Netz nun in den kommenden Monaten für den Gesamtpreis von 950 Millionen Euro übernehmen – also zum für diesen Fall des Verzicht auf den Kraftwerksbau vereinbarten Preis. Die Fernwärme soll künftig aus industrieller Abwärme, Müllverbrennung und einem auf der Dradenau neu zu bauenden Kraftwerk kommen.

Ob Hamburg Schaden entstanden ist, ist nicht ganz klar

Es ist also nicht ganz klar, welcher Schaden der Stadt entstanden sein sollte, falls Vattenfall tatsächlich gar nicht willens oder in der Lage gewesen wäre, das versprochene Kraftwerk zu bauen. Möglicherweise, so könnte man mutmaßen, wäre der gesamte Vertrag mit dem hohen Mindestpreis von 950 Millionen Euro (ohne Kraftwerk) so gar nicht zustande gekommen. Auch dürfte das Vertrauen in Vattenfall leiden, sollte sich herausstellen, dass der Konzern gegenüber Senat und Bürgerschaft bewusst mit falschen Karten gespielt und grob unwahre Angaben gemacht haben sollte.

Bekanntlich ist das Fernwärmenetz nach objektiven Wertgutachten derzeit deutlich weniger wert als die vereinbarten 950 Millionen, nämlich nur 645 Millionen Euro. Andere Expertisen kommen zwar zu höheren Werten, die aber immer noch unter dem Mindestkaufpreis liegen. Gleichwohl zahlt die Stadt nun notgedrungen den Mindestpreis und erwirbt das Netz, um den Volksentscheid von 2013 umzusetzen – wenn die EU das zulässt.

Dressel sieht aktuell keinen Grund, gegen Vattenfall vorzugehen

Derzeit prüft die EU noch, ob es sich bei der Zahlung eines überhöhten Preises um ein unerlaubte Beihilfe an Vattenfall handelt. Das Verfahren soll bis zum Juni abgeschlossen sein. Im Senat geht man davon aus, dass die Fernwärme bis Juni 2019 übernommen werden kann – rückwirkend zum 1. Januar 2019. Damit wäre der Volksentscheid in allen Teilen umgesetzt. Strom- und Gasnetz gehören bereits wieder der Stadt.

Man bereite derzeit die in den Details rechtlich aufwändige Übernahme, sagte Finanzsenator Andres Dressel (SPD) dem Abendblatt am Freitag. Davon werde man sich auch durch die aktuelle Berichterstattung nicht abhalten lassen. Man plane derzeit auch keine rechtlichen Schritte gegen Vattenfall. „Wir befinden uns aktuell im Verfahren des Rückerwerbs des Fernwärmenetzes und setzen dazu die gemeinsam mit Vattenfall 2014 vereinbarte Kaufoption Wärme einvernehmlich und damit konsequent den Volksentscheid zum Netzrückkauf um“, so Dressel.

„Zwar bildet das Vertragswerk von 2014 den Ausgangspunkt der aktuellen Transaktion, gleichwohl ist maßgeblich die konkrete Umsetzung heute auf Basis aktueller Bewertungen und Konzeptionen des Unternehmens in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Vor diesem Hintergrund wird aktuell keine Veranlassung gesehen, rechtliche Schritte gegen Vattenfall einzuleiten.“

Vattenfall selbst hat die Vorwürfe auch gegenüber dem Abendblatt zurückgewiesen. Die Stadt sei seit der Übernahme eines Minderheitenanteils von 25,1 Prozent im Jahr 2012 zudem im Aufsichtsrat vertreten gewesen, so eine Unternehmenssprecherin. Man habe stets sämtliche Investitionsentscheidungen gemeinsam geprüft und getroffen.