Hamburg. Digital-Stars, Teil 7: Friedrich Schwandt und Tim Kröger wissen auf fast alles eine Antwort − und wollen expandieren.

Beim Hamburger Unternehmen Statista gibt es alles, was sich in Balken oder Kurven darstellen lässt. Die Frage kann speziell sein oder von breitem Interesse. Nur um Fakten muss es gehen, die sich mit Zahlen belegen lassen. Wie groß ist der Markt für Haushaltsgeräte in Portugal? Für dieses Jahr wird ein Umsatz von 163 Millionen Euro erwartet. Wo stehen die meisten Blitzer in Europa? Es sind Belgien und Malta mit jeweils rund 67 Messanlagen auf einer Fläche von 1000 Quadratkilometern. In Deutschland überwachen auf dieser Fläche nur 13 Blitzer den Verkehr.

Das kostenpflichtige Portal ist ähnlich wie Google aufgebaut: Fragestellung eintippen, und sofort erscheint eine lange Liste mit Datensätzen. Rund eine Million Statistiken aus 170 Branchen und zu mehr als 80.000 Themen sind weltweit auf verschiedene Server verteilt. Das steigert die Zugriffsgeschwindigkeit. Pro Tag kommen 1000 neue Auswertungen hinzu. Etwa, wo Cabrio-Hochburgen liegen: Hamburg gehört dazu, aber Solingen oder Aachen schneiden überraschend noch etwas besser ab.

150 Redakteure arbeiten an den Daten

Allein 150 Redakteure arbeiten an der Aufbereitung und Erstellung dieser Daten. „50 Prozent davon kommen inzwischen aus eigenen Analysen“, sagt Friedrich Schwandt, Gründer und Geschäftsführer von Statista. „In Bereichen, die besonders gefragt sind, machen wir auch eigene Befragungen und erstellen Prognosen zu den Märkten.“ So wissen Hausgerätehersteller, dass dieser Markt in Portugal 2023 ein Volumen von 253 Millionen Euro erreichen wird. Auch die digitalen Märkte in den 50 größten Ländern der Welt hat Statista schon vermessen. Und den Alkoholkonsum in Europa: In Litauen wird am meisten gebechert, mit 2,7 alkoholischen Getränken pro Tag.

Schwandt hatte schon Erfolg, bevor er mit Tim Kröger und drei weiteren Mitstreitern Statista 2007 gründete. Beide arbeiteten bei der Unternehmensberatung Boston Consulting. Ein Sprungbrett, das eine gute Karriere auch in sicherer Angestelltenposition ermöglicht. Doch Schwandt ist lieber sein eigener Herr. Er gründet eine eigene Beratungsfirma und wird für Medienunternehmen tätig. Doch das reicht ihm noch nicht. Er möchte etwas aufbauen, was es noch nicht gibt.

Als Unternehmensberater reißt er oft für seine Arbeit Artikel mit Zahlen oder Grafiken aus Zeitungen. Daten und Statistiken haben es ihm angetan. Er erkennt die Marktlücke. Wettbewerber wie die GfK bedienen nur Nischen wie Konsum und Handel. Das Statistische Bundesamt ist auf Deutschland konzentriert und der schnelle Abruf der Daten eine Katastrophe. Seine Datenbank soll umfassend und schnell sein.

Otto, Beiersdorf und Tchibo sind Kunden

„Als Unternehmensberater habe ich häufig erlebt, wie Kunden sehr viel Zeit damit verbringen, irgendwelche Daten zu suchen. Und häufig ist das, was man gegoogelt hat, nicht brauchbar“, sagt Schwandt. Doch bis seine Datenbank steht, vergeht eine Menge Zeit. Es braucht viel Vorlauf, bis die Daten aufgearbeitet sind, und dann müssen sie ständig aktualisiert werden. „Anfangs waren wir sehr textlastig, bis wir uns auf den Kern der Zahlen konzentriert haben“, verrät Schwandt. Lediglich ein Lesebeispiel zu jeder Statistik zeigt, wie die Zahlen zu interpretieren sind. Gerade bei komplexen Sachverhalten sagen ein paar Balken oft mehr als viele Worte, auf die man anfangs noch gesetzt hatte.

„Es ist eine wunderbare Art, sich die Welt zu erschließen“, sagt Kröger. „Mit ein paar Daten wie Größe oder Bruttoinlandsprodukt kann man schnell die Unterschiede von Ländern erkennen.“ Ob Fußballvereine, Universitäten oder DAX-Konzerne, sie alle sind Kunden bei Statista. Aus Hamburg gehören Firmen wie Otto, Beiersdorf, Unilever, Tchibo oder die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) zu den Nutzern. Nun möchte Schwandt auch in den Schulen präsent werden. „Wir sind in Gesprächen mit dem Hamburger Senat“, sagt Schwandt.

Es gibt bereits mehr als 1,5 Millionen registrierte Nutzer bei Statista. „Wir haben ein Start-up entwickelt, das sehr deutsch ist“, sagt Schwandt. Aber dafür arbeitet eine internationale Mannschaft mit rund 600 Mitarbeitern und 55 Nationalitäten für Statista. Anders als viele andere Gründer haben Schwandt und Kröger keine Idee kopiert und sind bis heute auch nicht kopiert worden. Der inzwischen 52-jährige Schwandt erklärt sich das damit, dass die meisten Gründer viel jünger sind als er: „Sie haben andere Bereiche im Fokus als Statistiken. Wir können auch nicht so schnell kopiert werden, verarbeiten wir doch Daten aus 23.000 Quellen.“ Und mit allen müssen vorher Vereinbarungen über die Datennutzung geschlossen werden.

80 Prozent gehören Werbevermarkter Ströer

Seit 2016 gehört Statista zu rund 80 Prozent dem Werbevermarkter Ströer. Die verbleibenden Anteile sind im Besitz der Gründer, zu denen auch die Geschäftsführung mit Schwandt und Kröger gehören. Inzwischen wird ein Umsatz von über 50 Millionen Euro erreicht. Zu zwei Dritteln kommt die Kundschaft bereits aus dem Ausland, denn das Statistikportal ist in vier Sprachen verfügbar: Deutsch Englisch, Spanisch und Französisch. Bis 2022 soll sich der Umsatz verdoppeln. Das größte Auslandsbüro in New York zählt rund 100 Mitarbeiter. Die jüngste Vertretung hat das Statistikportal in Singapur eröffnet. Im Jahr 2020 werden noch Shanghai und Tokio hinzugekommen sein, um auch im asiatischen Markt Fuß zu fassen. „Künftig werden wir uns mit Mandarin beschäftigen müssen, denn in zehn Jahren wird China die größte Volkswirtschaft der Welt sein“, sagt Schwandt.

Bei der Expansion profitiert Statista von einem besonderen Umstand. Statistiken werden als urdeutsches Produkt wahrgenommen. Schwandt: „Das passt in die Vorstellungen vieler ausländischer Kunden über Deutschland.“ Bei der Expansion in die USA und nach Großbritannien hat das gut funktioniert. Auch in Asien will man von diesem Vorteil profitieren.