Hamburg. Die 27-Jährige ist Nachfolgerin der Haferflocken-Dynastie. Kurz vor seinem Tod pochte ihr Vater eine rätselhafte Botschaft für sie.

Lang. Lang. Lang. Kurz. Kurz. Fünf Silben mit der Hand geklopft. Ein winziger Moment, Sekunden nur. Doch für Friederike Driftmann (27) war es einer der wichtigsten Momente in ihrem Leben.

Es war der Moment, in dem ihr Vater, langjähriger Gesellschafter und Geschäftsführer von Peter Kölln, ihr etwas mitteilen wollte. Er war damals schwer krank, lag im Sterben. Hans Heinrich Driftmann konnte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr sprechen, doch er hatte noch etwas zu sagen. Deswegen nahm er seine Hand und klopfte die Botschaft auf das Bett. Dreimal lang, zweimal kurz. Friederike Driftmann antwortete ihm, sagte: „Ich habe dich auch lieb“, doch ihr Vater schüttelte den Kopf. Dann pochte er wieder auf das Bett. Wieder erklang der gleiche Rhythmus. Immer wieder: Lang. Lang. Lang. Kurz. Kurz.

Vater Driftmann pochte rätselhafte Botschaft auf das Bett

Doch Friederike Driftmann konnte ihn nicht verstehen, war verzweifelt. Wochenlang hat sie über mögliche Bedeutungen nachgedacht, ist alle erdenklichen Kombinationen durchgegangen. Bis sie irgendwann wusste, was ihr Vater ihr sagen wollte: „Du musst das schaffen!“ Oder „Das muss was werden.“ Als sie die Botschaft endlich entschlüsselt hatte, war Hans Heinrich Driftmann, langjähriger Gesellschafter und Geschäftsführer der Haferflocken-Dynastie Kölln, bereits tot.

Drei Jahre ist das jetzt her, doch dieses Erlebnis prägt Friederike Driftmann bis heute. Sie sitzt im Büro ihres Vaters. Es sieht so aus, als hätte er eben erst den Raum verlassen und würde jeden Moment zurückkommen. Auf dem Schreibtisch liegt ein Stapel Papiere, in den Regalen stehen seine Bücher und an den Wänden hängen Bilder seiner Frau und seiner Kinder.

Vier Mädchen. Friederike ist die Zweitjüngste, 27 Jahre alt. Irgendwann, in ein paar Jahren, soll sie das Haferflockenunternehmen leiten. Der derzeitige Geschäftsführer, Christian von Boetticher, ehemaliger Landwirtschaftsminister Schleswig-Holsteins, hatte die Leitung 2015 von Friederikes Vater Hans Heinrich Driftmann übertragen bekommen. Sein Vertrag läuft insgesamt zehn Jahre.

Friederike Driftmann ist Hauptgesellschafterin von Peter Kölln

Friederike Driftmann ist die Erbin des Haferflocken Imperiums Kölln.
Friederike Driftmann ist die Erbin des Haferflocken Imperiums Kölln. © Michael Rauhe | Michael Rauhe

„Mir war immer klar, dass ich eines Tages ins Unternehmen einsteige. Aber nicht, dass es so früh sein wird“, sagt Friederike Driftmann und erzählt, wie sie sich schon als Jugendliche für die Arbeit ihres Vaters interessiert, dafür begeistert hat. Als Einzige der Geschwister. Ihre Schwestern hätten immer andere Interessen gehabt, andere Wege eingeschlagen.

„Bei uns gab es nie Rivalität um die Nachfolge. Es hat sich einfach so ergeben“, sagt Friederike Driftmann. Schon heute ist sie Hauptgesellschafterin der Peter Kölln GmbH & Co. KGaA. Zuvor war sie stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats. Ihre Mutter Gesche Driftmann, langjährige Aufsichtsrätin, ist ebenfalls bereits verstorben. Vor gerade einmal sieben Monaten, nur zwei Jahre nach ihrem Mann.

Driftmann engagiert sich im Verband Junger Unternehmer

Friederike Driftmann spricht offen darüber. Über die schlimme Zeit, als bei ihrem Vater ein Hirntumor diagnostiziert wurde – während sie mitten im Jura-Examen steckte. Als sie eigentlich lernen musste – aber bei ihrem Vater sein wollte. Über die Veränderungen infolge der Krankheit, seinen Tod und die Zeit danach. Als sich die Familie neu orientieren, neu organisieren musste. Als es plötzlich nur noch ihre Mutti gab. Und auch diese dann starb. An Leukämie.

Friederike Driftmann sitzt sehr gerade, spricht ruhig und gefasst. Sie kennt das, vor anderen zu sprechen, sie kann das sehr gut. Sie engagiert sich im Verband Junger Unternehmer sowie im Verein der Familienunternehmer. Außerdem promoviert sie über europäisches Lebensmittelrecht und arbeitet 20 Stunden pro Woche in einer Wirtschaftsrechtskanzlei. „Ich möchte in möglichst vielen anderen Bereichen Erfahrungen sammeln und andere Unternehmen kennenlernen, bevor ich die Geschäftsführung übernehme“, sagt die 27-Jährige.

Einer ihrer Mentoren hat ihr mal den Rat gegeben, im Leben möglichst viele Fehler zu machen – aber nicht im eigenen Unternehmen. Schon jetzt schaut sie einmal in der Woche im Unternehmen Peter Kölln vorbei und tauscht sich mit von Boet­ticher aus. Aber, das ist ihr ganz wichtig: „Es gibt keinen Thronfolger-Konflikt. Wir arbeiten sehr gut zusammen.“ Das operative Geschäft obliegt dem Geschäftsführer, sie äußert sich dazu nicht. Nicht einmal zu den Umsatzzahlen.

124,7 Millionen Euro hat das für seine Haferflocken bekannte Unternehmen 2017 umgesetzt. Im Vorjahr waren es rund 129 Millionen Euro. Grund war eine Sortimentsbereinigung. Außer Hafer- und Müsliprodukten gehören auch Öle und Fette der Marken Mazola, Biskin, Livio, Palmin und Becht’s, sowie Milchzucker (Edelweiß) und der Kindergrieß Pomps zum Unternehmen.

Erstmals externer Geschäftsführer

Seit 2015 wird das 1820 gegründete Familienunternehmen nach sechs Generationen mit von Boetticher erstmals von einem externen Geschäftsführer geleitet. Später soll diesen Posten Friederike Driftmann als Hauptgesellschafterin der 7. Generation übernehmen. Wann das sein wird, lässt die Erbin jedoch offen. Sie will zunächst ihre Promotion fertigstellen und dann ihr Referendariat antreten. „Das sind wichtige Stationen für mich, die mich weiter reifen lassen“, sagt Friederike Driftmann.

Wenn sie über ihre Zukunft spricht, redet sie manchmal von „Dem Ruf der Familie“. Dem Ruf der Familie, dem ihr Großvater folgen musste, als er 1945 aus Kriegsgefangenschaft nach Hause kam und sofort die Geschäftsführung übernehmen musste, weil sein Bruder im Krieg gefallen war. Dem Ruf der Familie, dem sie folgen wird. Das wurde ihr klar, als ihr Vater gestorben ist. Als er ihr die Botschaft hinterlassen hat: Du musst das schaffen. Das muss klappen.

„Plötzlich wurde mir bewusst, dass es nicht nur um mich und meine persönlichen Pläne geht. Sondern um das, was unsere Familie in all den Jahren aufgebaut hat. Und dass es um all die Menschen geht, die hier arbeiten“, sagt Friederike Driftmann. 356 Mitarbeiter hat Kölln derzeit. Sie kennt die Zahl ganz genau. Kennt die Mitarbeiter. Und die Mitarbeiter kennen sie. Viele schon, seit sie ein kleines Mädchen war. Sie hat in einer Sandkiste auf dem Firmengelände gespielt und hier Fahrrad fahren gelernt. Bei Kindergeburtstagen haben sie Verstecken auf dem Hof gespielt und Schatzsuchen veranstaltet. Sie hat im Büro ihres Vaters Hausaufgaben gemacht und die erste Runde mit ihrem Auto auf dem Werksgelände gedreht.

Als Kind hat sie auf dem Firmengelände Fahrrad fahren gelernt

Es war eine eigene Welt, in der sie groß geworden ist, geschützt von der Außenwelt, abgeschottet durch das Firmentor. Für sie war das lange normal. Erst später hat sie realisiert, wie hoch die Sicherheitsvorkehrungen waren. Dass sich jede Klassenkameradin, jede Freundin von ihr am Tor anmelden musste, bevor sie auf das Gelände durfte.

Sie ist auf dem Firmenareal aufgewachsen, mit dem Unternehmen verwachsen. Ihre Eltern hatten ein Haus auf dem Firmengelände, die Familie hat dort gemeinsam mit den Großeltern gewohnt. Ihre Eltern sind irgendwann ausgezogen, ihre Mutter wollte nach 25 Jahren einen größeren Garten haben. Friederike Driftmann ist dort wohnen geblieben – und lebt heute noch dort. In einem Mehrgenerationenhaus mit ihrer Schwester und deren Mann sowie den Kindern – und mit ihren Großeltern.

Ihr Opa, Ernsthermann Kölln, der Vater von Gesche Driftmann, hatte das Unternehmen selbst in fünfter Generation von 1945 bis 1998 geführt – und kommt noch heute jeden Tag ins Büro. Pünktlich um 7.30 Uhr. Er ist inzwischen 96 Jahre alt. Er will noch erleben, dass Kölln 200 Jahre wird. Nächstes Jahr. Friederike Driftmann sagt, dass sie sich viel von ihm abgeguckt, viel übernommen hat. Vor allem die alten Werte: Pünktlichkeit und Sparsamkeit. Hanseatisches Unterstatement. Sich selbst nicht so wichtig nehmen, zurücknehmen. Sich selbst nicht in den Vordergrund drängen.

Driftmann tritt bescheiden auf

Friederike Driftmann lebt danach. Sie spricht lieber über das Unternehmen als über sich selbst, tritt bescheiden auf. Ihre Eltern haben sie so erzogen. Darauf geachtet, dass sie bodenständig bleibt, normal. Sie war auf einem Gymnasium in Elmshorn, ist mit dem Fahrrad zur Schule gefahren, hat Querflöte im Schulorchester gespielt. Weihnachten ist die Familie um 17 Uhr zusammen in die Kirche gegangen, die Kinder haben Lieder auf der Flöte vorgespielt. Danach wurden Kartoffelpuffer mit Lachs gegessen, die Weihnachtsgeschichte vorgelesen, bis spät in die Nacht beisammengesessen. „Bei uns war die Heilige Nacht wirklich eine Nacht und nicht nur ein Heiliger Abend“, sagt sie.

Ihr Vater, sagt Friederike Driftmann, sei auf gewisse Weise ihr Vorbild gewesen. Der Mensch, der sie am meisten geprägt hat. Der seine gesellschaftliche Verantwortung sehr ernst genommen habe. Und der sie an ihre Aufgabe herangeführt hat. Mit 16 oder 17 Jahren hat sie ihren Vater das erste Mal auf eine Veranstaltung der Industrie- und Handelskammer begleitet. Ihre Mutter hatte gesagt: „Geht du mal mit, Mädchen.“ Danach ging sie regelmäßig mit ihm zu Treffen von Unternehmerverbänden.

Tengelmann-Gesellschafter Karl-Erivan Wander Haub war ihr Vertrauter

Irgendwann auf einer dieser Veranstaltungen hat sie Karl-Erivan Wander Haub kennengelernt, Gesellschafter der Unternehmensgruppe Tengelmann. „Nachdem mein Vater gestorben und ich Aufsichtsrätin geworden war, hat er mir einen Brief geschrieben und ganz viel Mut gemacht“, sagt Friederike Driftmann. Den Brief hat sie heute noch. Sie hat ihn zu Hause über ihren Schreibtisch gehängt. Damit sie ihn jeden Tag sieht, sich an die Worte erinnert. Haupt ist inzwischen selbst verstorben. Er verschwand während eines Skibergsteigerrennens im Matterhorn-Gebiet und gilt inzwischen als tot.

Wenn Friederike Driftmann gefragt wird, wann sie die Geschäftsführung von Peter Kölln übernimmt, bleibt sie vage. Sie hat erst einmal anderes vor. Und sie will nicht zu viele Pläne machen. Man kann einfach nicht alles planen, sagt sie. Das hat sie gelernt.