Hamburg. Im ersten Interview nach dem Rücktritt zieht der frühere Chef der Handelskammer Hamburg eine selbstkritische Bilanz.

Tobias Bergmann ist guter Laune und spielt mit dem Löffel in seinem Cappuccino im Wilhelmsburger Café Trauminsel. Sein Büro ist nur wenige Hundert Meter entfernt, seit seinem Rücktritt vom Amt des Präses der Handelskammer am 8. Dezember verbringt er wieder mehr Zeit in Wilhelmsburg statt am Adolphsplatz. Im ersten Interview seit seinem Rücktritt spricht er über die Gründe für sein Ausscheiden, über das Chaos in der Kammer und was er für die Zukunft des Hauses erwartet.

Wie geht es Ihnen ohne die Handelskammer?

Tobias Bergmann: Mir geht es gut, ich kann mich wieder um mein eigenes Unternehmen kümmern. Als Präses bekommt man zwar Schnittchen spendiert, aber es bleibt ein Ehrenamt. Davon wird meine Miete nicht bezahlt – anders als meine Vorgänger war ich weder am Ende meiner beruflichen Laufbahn noch wurde ich von meinem Arbeitgeber weiter bezahlt. Ich habe von meinen Rücklagen gelebt. Jetzt arbeite ich wieder als Berater – finanziell geht es deutlich aufwärts.

Ihre Frau ist auch zufrieden?

Die zwei Jahre waren natürlich eine Belastung für uns beide. Ich war in einem Handelskammer-Tunnel. Gefangen, gefesselt von meiner Aufgabe. Für unser Privatleben war mein Rücktritt ein Gewinn. Aber auch politisch bin ich mit dieser Entscheidung mit mir im Reinen. Ich habe mir die Frage gestellt, wofür ich angetreten bin – und was ich noch erreichen kann. Das stand am Ende in einem Missverhältnis.

Ist der Entschluss zum Rücktritt lange gereift oder eher plötzlich gekommen?

Ich wollte die Amtszeit ordentlich zum Abschluss bringen. Irgendwann aber habe ich mir Zeit genommen und die Situation nüchtern analysiert. So wie ein Schachspieler die Stellung auf dem Schachbrett – und kam so zu dem Ergebnis: Ich kann nicht mehr gewinnen. Drei Tage habe ich überlegt. Am Freitag habe ich mich entschieden, am Sonnabend bin ich zurückgetreten.

Was war der Hauptgrund für diesen Schritt?

Ich wollte die Kammer reformieren, eine neue Kammer aufbauen. Aber überall wurde mir in die Speichen gegriffen, ich hatte bei wichtigen Akteuren keinen Rückhalt mehr und konnte die Leute nicht mehr zusammenhalten. Dann bringt auch das schönste Mandat nichts mehr.

Was haben Sie denn erreicht?

Wir haben das alte System abgelöst und zerstört. Ich weiß, dass viele der alten Kammer hinterhertrauern – dazu gehöre ich nicht. Die Kammer war in ihrem Selbstverständnis, mit ihrer wirtschaftspolitischen Positionierung und nicht zuletzt mit ihrem finanziellen Gebaren in einem modernen Wirtschaftsstandort wie Hamburg nicht mehr zukunftsfähig. Mir ist es aber nicht gelungen, auf den Trümmern eine neue Kammer zu errichten, die sich die meisten Unternehmer hier wünschen. Wir hätten viel mehr erreichen können, erreichen müssen. Das bedaure ich zutiefst.

Sie sind an den Widerständen der eigenen Leute gescheitert…

Ich möchte jetzt nicht mit dem Finger auf andere Leute zeigen. Ein großes Problem war sicher die lange Phase ohne Hauptgeschäftsführer. Im März 2017 haben wir Schmidt-Trenz abgelöst, und erst im Dezember die Nachfolgerin präsentiert. Für Reformen aber brauchten wir Tempo – und eine Figur an der Spitze, die es umsetzt.

Was ist noch misslungen?

Wir haben gut begonnen, die Satzung geändert und Transparenz eingeführt. Dann haben wir nicht konsequent genug weiter an der Frage gearbeitet, wie die Kammer demokratischer wird und wie wir moderne wirtschaftspolitische Positionen beziehen. Ob man das in der verbleibenden Zeit nun noch hinbekommt, wage ich zu bezweifeln.

Die Finanzen sind auch nicht vorangekommen.

Nicht wirklich. Wir wollten die Zwangsbeiträge abschaffen, damit die Mitglieder eine Möglichkeit bekommen, das Verhalten der Kammerführung zu sanktionieren. Eine Organisation, die nicht von ihren Mitgliedern oder Kunden sanktioniert werden kann, droht sich immer von diesen abzukoppeln. Da mussten wir feststellen, dass das kurzfristig nicht möglich ist.

Das hätte man aber auch vorher wissen können, statt im Wahlkampf 2016 und 2017 den Unternehmen Beitragsfreiheit zu versprechen.

Ja und nein. Ich hätte wissen müssen, dass es auf keinen Fall schnell geht. Es wäre besser gewesen, die Halbierung der Beiträge in Aussicht zu stellen. Das wäre realistisch gewesen. Leider haben wir auch dieses Ziel aus den Augen verloren, sondern Beiträge zurückgezahlt und damit die Rücklagen geplündert. Das bedeutet, dass die Kammer die Beiträge nicht mehr spürbar senken kann.

Auch die Finanzbeschlüsse stehen zur Disposition.

Wir nehmen 40 Millionen Euro Pflichtbeiträge ein, wollten diese Summe aber auf 20 Millionen Euro senken. Das ist grundsätzlich möglich. Die Kammern in Berlin und Hannover zeigen, dass man mit deutlich weniger Pflichtbeiträgen auskommen kann.

Nun ist der Einfluss dieser Kammern auch deutlich kleiner als die der früheren Hamburger Handelskammer…

Kann sein, aber entscheidend ist doch die Frage, welche Kammer die Hamburger Unternehmer wollen. Und Einfluss hängt nicht in erster Linie am Budget.

Was bleibt von Ihren Reformen?

Es gab einen tiefen kulturellen Wandel. Die alte Kammer mit ihrer Selbstgefälligkeit gibt es nicht mehr, und sie wird nicht wiederkommen.

Gute Leute haben die Kammer verlassen.

Und Gute sind nachgekommen.

Manchmal drängt sich dennoch der Eindruck auf, es reichte einigen Rebellen, nur das Alte abzuräumen.

Das kann sein. Die Motivationslage der Rebellen ist unterschiedlich. Uns hätte gelingen müssen, aus diesen unterschiedlichen Charakteren und Motivationen ein leistungsfähiges Team zu machen. Was uns passiert ist, passiert oft, wenn junge Organisationen schnell Macht bekommen: Dann beginnen sie sich zu zerlegen, schauen Sie sich nur die Piratenpartei an oder die Grünen in der Frühphase.

Sind Sie menschlich enttäuscht worden?

Ja. Wenn man so viel Herzblut hereinsteckt, gemeinsam für etwas gekämpft hat und einen solchen Erfolg errungen hat, und dann erlebt man Intrigen, dann verletzt das. Aber ich war in diesem Spiel auch Täter und habe verletzt. Die Kammerrebellion war mein Projekt – da habe ich gerade am Anfang geglaubt, alle müssen mir folgen. Aber angesichts der autoritätsskeptischen Gruppe konnte das nicht lange gut gehen.

War der Sieg zu hoch?

Zu niedrig war er sicher nicht. Ein knapper Sieg hätte unsere Reihen diszipliniert. Wir hatten kaum eine Opposition im Plenum, an den wir uns reiben konnten, zu der wir aber auch Brücken bauen hätten bauen können und müssen. Es gab auch nicht die Möglichkeit, einen Kompromisskandidaten statt meiner zum Präses zu machen. Aber der Wahlsieg zeigte eben auch, wie groß die Unzufriedenheit der Mitgliedsunternehmen mit der alten Kammer war.

Ihr Nachfolger, Übergangspräses André Mücke, verspricht Ruhe und Frieden…

Das war nicht mein Ansatz. Für Ruhe und Frieden stand ich nicht, sondern für eine andere Kammer. Ich sehe aber auch keine Anzeichen, dass nun Ruhe und Frieden in der Kammer einziehen. Große Reformen erwarte ich nicht mehr, alle warten auf die Wahl 2020.

Sie kommen nicht zurück?

Nein. Das Kapitel ist für mich abgeschlossen.