Hamburg. Wirtschaftssenator Michael Westhagemann besucht die Baustelle auf der Billwerder Insel – und lobt das Projekt.
Michael Westhagemann ist ein Mann der Industrie. Gelernter Starkstromelektriker, Ausbildung zum Informatiker. Er arbeitete für die Computerfirma Nixdorf und für Siemens. Bei dem Technologiekonzern war er zuletzt Norddeutschlandchef. Als Vorsitzender des Hamburger Industrieverbands setzte er sich für die Belange von Unternehmen ein, die schon mal rauchen und stinken, die Rohstoffe verarbeiten und Produkte herstellen, die nur in Ausnahmefällen etwas mit Natur und Bio zu tun haben.
Michael Westhagemann, der jetzt Hamburgs parteiloser Wirtschaftssenator ist, kann aber auch schwärmen von Naturerlebnissen, vom Wandern in den Bergen. Dort, wo man mit ein bisschen Glück in einer Umgebung ist, in der nichts auf den Menschen hinweist. „Das ist doch herrlich“, sagt Westhagemann. An diesem Mittwochvormittag schlüpft er am Kaltehofer Hauptdeich aus den knöchelhohen Büroschuhen aus schwarzem Wildleder in derbe Wanderschuhe. Sie haben ihn beim Klettern mit seiner Frau schon bis auf die Zugspitze geführt. Heute führen sie ihn auf den Lehm einer Baustelle auf der Billwerder Insel. Dort verbreitern Bagger gerade einen schilfbestandenen Graben, befestigen dessen Grund und Ufer mit Natursteinen. Es ist Hamburgs derzeit wohl ehrgeizigstes Naturschutzprojekt.
Jahresbilanz des Hamburger Hafens
Naturschutz – das ist an sich nicht Westhagemanns Baustelle. Dafür gibt es einen Umweltsenator. Doch diese Baustelle ist seine Baustelle, weil sie Teil der Elbvertiefung ist. Am Montag, bei der Jahresbilanz des Hamburger Hafens, hat der Wirtschaftssenator über die Chancen gesprochen, die das Ausbaggern des Stroms, welches die Befürworter Fahrrinnenanpassung nennen, für die Hafenwirtschaft bietet. Nun schaut er sich an, was die Stadt auch dafür tun muss.
Es gibt Experten, die sagen, die Elbvertiefung sei nicht in der vergangenen Woche gestartet, als in Höhe von Brokdorf damit begonnen wurde, den Steindamm für eine Schlickablagerungsfläche im Strom aufzuschütten. Stattdessen habe die Elbvertiefung schon im November begonnen, als auf der Billwerder Insel die Bagger anrollten, um zwei Wasserbecken zum Lebensraum für den Schierlings-Wasserfenchel umzubauen.
Hamburg macht das nicht ganz freiwillig. Das Bundesverwaltungsgericht hatte die Stadt dazu in einem Grundsatzurteil verdonnert. Tenor des Richterspruchs: Die Elbvertiefung ist an sich zulässig, aber es muss mehr für den Naturschutz getan werden, speziell für den Schierlings-Wasserfenchel. Seitdem ist die Pflanze aus der Gattung der Doldenblütler Hamburgs wohl berühmtestes und zugleich umstrittenstes Lebewesen. Der Wasserfenchel ist der neue Wachtelkönig in der öffentlichen Debatte darüber, was wichtiger sei: Lebewesen und Natur oder Wirtschaftskraft und neue Arbeitsplätze. Es ist eine Debatte, die oft im Entweder-oder-Modus geführt wird und das Sowohl-als-auch vergisst.
Der Wasserfenchel hat es gern schattig
Man kann sagen, dass dieser bis zu zwei Meter hohe Schierlings-Wasserfenchel, der sein Leben schon nach zwei Jahren wieder aushaucht, ein Sensibelchen ist. Er hat es gern schattig, wurzelt im Schlick, der im Wechsel der Gezeiten regelmäßig von Wasser überspült wird und dann wieder trockenfällt. Zu viel Salz im Wasser bekommt ihm nicht, Strömung auch nicht. Vor allem aber: Seine Samen keimen ausschließlich an den schlammigen Ufern der Elbe.
Die Vertiefung des Stroms – so viel war klar – wird dem Wasserfenchel nicht bekommen. Salziges Nordseewasser wird weiter als bisher die Elbe hinaufströmen. Deshalb schrumpft der Lebensraum der Pflanze. Andernorts sollte dafür neuer entstehen, aber das Gericht forderte noch mehr davon als die Planer ursprünglich vorgesehen hatten. Dieser zusätzliche Lebensraum entsteht jetzt in den beiden Wasserbecken auf der Billwerder Insel.
Angelegt wurden sie vor gut 130 Jahren. Nach der letzten Cholera-Epidemie in Hamburg war der Senat zu der Erkenntnis gelangt, dass es besser sei, wenn die Bewohner der Stadt ihr Trinkwasser nicht länger direkt aus der Elbe schöpfen, die zugleich ein Fäkalienkanal war. In den Becken setzte sich jahrzehntelang der Schmutz im Wasser aus der Norderelbe ab, bevor es weiter gereinigt und in die Trinkwasserleitungen der Stadt gepumpt wurde.
Kampfmittelräumung ist auch vor Ort
Auch das ist schon lange vorbei. Heute ist die Billwerder Insel ein Naturschutzgebiet. Allerlei Amphibien fühlen sich wohl an den mit Beton und Ziegelsteinen befestigten Beckenufern. In den Ästen der noch kahlen Bäume hängen reichlich Kormorannester. Ein Idyll nur wenige Kilometer von den Wohn- und Gewerbegebieten von Rothenburgsort entfernt. Nur der Verkehrslärm von der A1 gleich nebenan nervt ein wenig. „Das ist ja ein richtiges Biotop“, sagt Westhagemann und wie er das sagt, versteht man, dass es ihn überrascht und zugleich freut. „Wenn man bedenkt, dass sie hier erst im November angefangen haben, sind sie schon weit gekommen“, sagt er. Sie, das sind die Projektleiter der Hafenbehörde HPA und die Arbeiter und Baggerfahrer eines Wasserbauunternehmens.
Von der Kampfmittelräumung ist auch jemand da. Der Schierlings-Wasserfenchel ist noch nicht da. Kein Wunder: In den Becken herrscht bislang kein Tidenhub. Das wird sich frühestens im Herbst ändern. Dann wird eine Verbindung zwischen den Becken und dem Holzhafengraben gebuddelt. Dieser Graben läuft unter der Autobahn hindurch bis in das Becken des Holzhafens. Dort hebt und senkt sich der Wasserstand mit Ebbe und Flut schon immer. Künftig wird er das auch in den alten Absetzbecken tun.
Kormorane und Amphibien dürfen nicht gestört werden
Das reicht noch nicht für den Schierlings-Wasserfenchel. Damit er gedeihen und blühen kann, werden Inseln in den Becken aufgeschüttet und mit Schatten spendenden Weiden bepflanzt. „Insgesamt entstehen 3,8 Hektar Flächen, auf denen der Wasserfenchel wachsen kann“, sagt Marc Kindermann von der HPA, der das Projekt mitgeplant hat. Möglichst wenig soll dem Zufall überlassen bleiben. Vorgezogene Schierlings-Wasserfenchel werden angepflanzt, die Samen für die Setzlinge bei der nächsten Kartierung der Pflanze gesammelt. Wenn die Elbvertiefung 2021 abgeschlossen ist, soll auch der neue Lebensraum des Wasserfenchels fertig sein.
Das dauert so lange, weil immer nur einige Monate gearbeitet werden dürfen. Ende Februar ist Pause, im September geht es weiter. Kormorane und Amphibien dürfen nicht gestört werden. An den Baustraßen stehen schon die Krötenzäune, die Kormoran-Kolonie füllt sich bereits. „Zehn Millionen Euro“, beantwortet Projektleiterin Carmen Eggers die Frage nach den Gesamtkosten. Nichts deutet darauf hin, dass der Wirtschaftssenator das zu viel findet. Er sagt: „Das müssen wir uns leisten können.“ Westhagemann ist ein Mann des Sowohl-als-auch. Heute – auf der Jahresbilanz von Hamburg Invest – wird er die Wirtschaftsförderer dafür loben, dass sie 2018 viele Firmen und Jobs nach Hamburg geholt haben.