Hamburg. Chinesen wollen das Hamburger Unternehmen komplett übernehmen. Der Aktie gab das einen Schub. Kann es auch die Marke retten?

Ende Januar sah man sich in der Hamburger Zentrale des Modekonzerns Tom Tailor zu einer etwas kryptischen Mitteilung genötigt: Nach Berichten, die EU-Kommission habe der chinesischen Beteiligungsgesellschaft Fosun, dem mit knapp 30 Prozent größten Anteilseigner an dem börsennotierten deutschen Fashion-Unternehmen, dessen Übernahme genehmigt, verbreitete Tom Tailor ein halbes Dementi.

Die Entscheidung aus Brüssel segne nur im Nachhinein ab, dass die Chinesen auf den schlecht besuchten Tom-Tailor-Hauptversammlungen zuletzt faktisch ohnehin die Mehrheit hatten, hieß es da. Es folgte der Satz: „Zudem teilt die Gesellschaft mit, dass sie sich in Gesprächen über die Durchführung einer Kapitalmaßnahme befindet.“

Die Kapitalerhöhung wurde am späten Montagabend verkündet. Fosun übernimmt demnach für 8,6 Millionen Euro sämtliche neuen Aktien, steigert seinen Anteil am Konzern damit auf deutlich mehr als ein Drittel – und will sich nun auch den Rest sichern. Das Anfang der 1960er-Jahre gegründete Hamburger Unternehmen soll komplett chinesisch werden.

Tom Tailor steckt tief in roten Zahlen

Noch in der Nacht zu Dienstag folgte das Übernahmeangebot der Beteiligungsgesellschaft mit Sitz in Shanghai an die anderen Aktionäre. Gehen die darauf ein, muss Fosun noch einmal etwa 60 Millionen Euro aufwenden, um sämtliche Tom-Tailor-Anteile zu kaufen. An der Börse wird der kriselnde Konzern, dessen Umsatz im vergangenen Jahr um etwa zehn Prozent auf 840 bis 860 Millionen Euro schrumpfte und der wieder tief in die roten Zahlen rutschte, mit gerade einmal 96 Millionen Euro bewertet.

Das Papier – vor einem Jahr noch fast zehn Euro wert – dümpelt seit Monaten knapp oberhalb von zwei Euro herum. Fosun will nun mindestens 2,26 Euro pro Aktie zahlen. Anleger erwarten allerdings mehr. Der Tom-Tailor-Kurs schnellte am Dienstag um deutlich mehr als zehn Prozent nach oben, die Aktie notierte am Nachmittag bei mehr als 2,40 Euro.

Es ist die jüngste Wendung in dem seit Jahren anhaltenden Niedergang großer deutscher Modefirmen. Die Gerry-Weber-Holding meldete Ende Januar Insolvenz an. Mit Esprit, Escada, Strenesse, Zero, Steilmann und der Ahlers Group schlitterten in den vergangenen Jahren zahlreiche Fashion-Firmen und Filialisten in die Krise oder gar in die Pleite. Der Hitze-Sommer 2018 verschärfte die Lage bei vielen Unternehmen noch. Zuerst hatten die Kunden wenig Lust zum Shoppen. Und als im September die Herbstklamotten in Geschäfte und Onlineshops kamen, herrschten weiter so hohe Temperaturen, dass nur wenigen Käufern der Sinn nach Übergangsmode stand.

Pikante Expertentheorie zur Übernahme

Der seit 2016 amtierende Tom-Tailor-Vorstandschef Heiko Schäfer und sein Finanzvorstand Thomas Dressendörfer begrüßten die sich abzeichnende Komplettübernahme des Konzerns mit gut 6000 Mitarbeitern am Dienstag ausdrücklich. Mit Fosun als „starkem Partner könnten wir unseren eingeschlagenen Weg zu nachhaltigem profitablem Wachstum fortsetzen“, sagte Schäfer. Bei der geplanten Expansion Richtung Osteuropa und dem Ausbau des Digitalgeschäfts „könnte Fosun durch sein Netzwerk und die Marktkenntnis helfen“, hofft der Vorstandsvorsitzende.

Dressendörfer betonte: „Wir freuen uns über das Engagement unseres Ankeraktionärs Fosun.“ Der sei ein „starker strategischer Partner, der bereit zu sein scheint, mehr Verantwortung für Tom Tailor zu übernehmen. Wir betrachten das als Vertrauensbeweis und ein klares Signal an Investoren und Kapitalmarkt.“

Der Aktienanalyst und Branchenbeobachter Volker Bosse von der Münchner Baader Bank bewertet den Kauf der neuen Aktien und die Übernahmeofferte der Chinesen, die 2014 eingestiegen waren, als der Tom-Tailor-Kurs noch bei deutlich über 13 Euro lag, dagegen ganz anders. „Fosun steigt nicht ein, weil ihnen Tom Tailor in den vergangenen Jahren so viel Spaß gemacht hat. Es ging um die Frage, ob man das Investment auf Sicht eventuell wertberichtigt oder noch einmal nachlegt“, sagte Bosse dem Abendblatt.

Retten die Chinesen Tom Tailor?

Bei dem Hamburger Konzern eingestiegen war die Beteiligungsgesellschaft offenbar auch, um deutsche Mode nach China zu bringen. Tom Tailor eröffnete 2015 unter Führung des damaligen Vorstandschefs Dieter Holzer Shops in der Volksrepublik. Als sich Holzers forcierte internationale Expansionsstrategie als gefährlicher Irrweg erwies, wurden sie wieder geschlossen.

Ob Fosun für die Hamburger nun tatsächlich eine große Hilfe sein kann, darüber will Analyst Bosse noch kein abschließendes Urteil sprechen. Die Chinesen haben in Deutschland unter anderem die Privatbank Hauck & Aufhäuser übernommen, sind aber auch in der Modebranche engagiert. So übernahm Fosun im vergangenen Jahr die Mehrheit am österreichischen Textilhersteller Wolford.

Frisches Kapital soll Krisentochter Bonita helfen

Die 8,6 Millionen Euro aus der Kapitalerhöhung will das Konzernmanagement nun „vor allem zur Unterstützung der laufenden Restrukturierungsmaßnahmen bei Bonita“ verwenden. Der Zukauf der Ladenkette mit damals mehr als 1000 Modeshops für Frauen ab 50 im Jahr 2012 ist die wohl schwerste Hypothek aus der Ära Holzer.

Während sich die Kernmarke Tom Tailor nach Sparmaßnahmen und zukunftsträchtigen Investitionen nun immerhin besser entwickelt als viele Mitbewerber, verliert die Tochter aus Hamminkeln am Niederrhein weiter dramatisch Umsatz. Trotz Schließung Hunderter unrentabler Filialen bringt Bonita dem Konzern Jahr für Jahr Verluste. 2018 waren sie besonders groß. Unlängst erklärte Vorstandschef Schäfer, das Management prüfe nun sämtliche Optionen. Am Dienstag sagte er auf Abendblatt-Anfrage: „Ein Verkauf ist immer noch eine Option.“