Hamburg. Textilhändler haben schwieriges Jahr hinter sich. Nun setzen Tom Tailor, Esprit und die Konkurrenz auf 2019. Experten sind skeptisch.

Der Filialfinder auf der Internetseite des Modekonzerns Tom Tailor ist nicht ganz auf der Höhe der Zeit: Wer nach den Standorten der Geschäfte des Hamburger Unternehmens sucht, dem wird auch der Laden im Hanseviertel an den Großen Bleichen empfohlen. Der allerdings existiert gar nicht mehr. Das Unternehmen mit Sitz am Garstedter Weg in Niendorf hat seinen Store in der City am letzten Sonnabend vor Weihnachten geschlossen.

„Der Standort Hanseviertel hat insgesamt deutlich an Attraktivität verloren. Zudem passte die extrem große Ladenfläche nicht mehr zu unserem aktuellen Konzept, in dem wir weniger mit ineffizienten Flagship-Stores arbeiten“, erklärte eine Unternehmenssprecherin gegenüber dem Abendblatt.

Viele Tom-Tailor-Filialen wurden geschlossen

Das Ende des Modeshops in der City ist Teil des Restrukturierungsprogramms namens Reset (Neustart), das der seit Herbst 2016 amtierende Vorstandschef Heiko Schäfer dem kriselnden Konzern verordnet hat. Seit Ende 2016 hat sich die Zahl der Tom-Tailor-Stores in Hamburg von 17 auf 13 verringert. Bundesweit sank sie von 143 auf 121 Filialen. Der Konzern hat sich zudem aus mehreren Auslandsmärkten zurückgezogen, einige Kollektionen komplett eingestellt, Hunderte unrentable Filialen der Kernmarke Tom Tailor und seiner Boutiquen-Kette Bonita geschlossen sowie mehrere Hundert der weltweit gut 6000 Arbeitsplätze gestrichen. Zugleich investiert der Konzern in das lange vernachlässigte Online-Geschäft. Für die Hamburger Zentrale sucht man derzeit etwa 100 neue Mitarbeiter, vorwiegend im IT-Bereich.

Während es bei der Kernmarke nun wieder besser läuft, verschärft sich die Lage bei Bonita. Die Damenmodekette mit der Zielgruppe 40 plus zog das gesamte Unternehmen 2018 tief in die roten Zahlen. Der Konzern musste im Sommer und Herbst gleich zwei Gewinnwarnungen verbreiten. Nun lässt Vorstandschef Schäfer auch den Verkauf von Bonita prüfen. Marktbeobachter erwarten jedoch, dass die Hamburger dabei noch Geld drauflegen müssen – wenn sich überhaupt ein Käufer für Bonita findet.

Auch Hugo Boss, Gerry Weber und Esprit betroffen

Tom Tailor ist nicht allein: In den letzten Wochen 2018 häuften sich die Hiobsbotschaften aus der deutschen Fashion-Branche. Hugo Boss, Esprit, Gerry Weber, Adler Modemärkte – so gut wie alle größeren Ketten meldeten deutliche Umsatzrückgänge, teils rote Zahlen. Die Zara-Mutter Inditex und H&M kamen besser durchs Jahr.

Der seit Anfang November bei Gerry Weber im westfälischen Hagen amtierende Vorstandschef Johannes Ehling kündigte an. „etliche eigene unprofitable Läden“ schließen zu wollen. Erwartet wird, dass das Unternehmen etwa 200 Filialen dicht macht und annähernd 1000 der 6500 Arbeitsplätze abbaut. Betroffen seien absehbar auch Geschäfte der Gerry-Weber-Marke Hallhuber, heißt es. In Hamburg unterhält der Modekonzern derzeit noch mehr als ein Dutzend Filialen beider Marken – wie die meisten Konkurrenten vornehmlich in Einkaufszentren wie Europa Passage, AEZ, EEZ, Hamburger Meile, Eidelstedt- und Phoenix-Center. Ein kleiner Lichtblick: Für eine 31-Millionen-Euro-Anleihe, die Gerry Weber im November hätte zurückzahlen müssen, erhielt der Konzern von den Gläubigern einen Zahlungsaufschub bis Ende Januar.

Esprit-Chef: "Es ist kein Platz für uns alle"

Nun mehren sich die Stimmen, die das Schlimmste befürchten. Esprit-Chef Anders Kristiansen, der in dem seit Jahren schwächelnden Unternehmen aus Ratingen im Juni das Ruder übernahm und im November ebenfalls Shop-Schließungen und Personalabbau ankündigte, sagte dem Fachblatt „Textilwirtschaft“ mit Blick auf die Mitbewerber: „Es ist kein Platz für uns alle.“ Der Branchenexperte Peter Frank von der Münchner Handelsberatung BBE glaubt: „Es ist gut möglich, dass wir schon im Februar Pleiten sehen.“ Der Aktienanalyst Volker Bosse, der bei der Baader Bank die Branche und ihre großen Unternehmen beobachtet, sagt es etwas anders: „Einzelne Anbieter könnten aus dem Markt gedrängt werden.“

Der Grund: 2018 liefen die Geschäfte in der Branche wegen des ungewöhnlichen Wetters besonders schlecht. Im heißen Sommer hatten die Verbraucher wenig Lust auf Shopping. Als im September die Herbst- und Winterkollektionen in die Läden kamen, blieb ein Großteil der Ware wegen der weiter hohen Temperaturen dort hängen. Und auch im letzten Quartal kamen die Erlöse nicht recht in Schwung.

Wetter hat Einfluss auf die Verkäufe

Unisono klagten die Fashion-Manager über die für die Branche so abträgliche Wetterlage. Sie ließ nicht allein die Umsätze, sondern auch die Aktienkurse der börsennotierten Unternehmen einbrechen: Tom-Tailor-Papiere, die im Januar 2018 noch bei knapp zwölf Euro notiert hatten, sind derzeit noch etwas mehr als zwei Euro wert, bei Gerry Weber ging es in diesem Zeitraum von etwa 9,50 Euro auf ebenfalls nur mehr gut zwei Euro abwärts. Eine Hugo-Boss-Aktie wurde im Juli noch für etwa 80 Euro gehandelt, nun notiert sie zwischen 54 und 55 Euro, Adler Modemärkte fielen binnen Jahresfrist von gut 6,70 auf aktuell um die 3,20 Euro. Die Modemacher büßten prozentual deutlich stärker ein als der Aktienmarkt insgesamt. „2018 war ein verheerend schlechtes Jahr“, sagt Analyst Bosse.

Der ungewöhnlich lange Sommer allerdings verschärfte nur die strukturellen Probleme, die die Branche schon seit Jahren hat. Dafür gibt es einen ganzen Strauß von Gründen. Der wohl wichtigste: „Fashion is out of Fashion“, sagt Volker Bosse. Junge Verbraucher, denen vor einigen Jahren noch Markenkleidung wichtig gewesen sei, achteten heute viel stärker darauf, das „richtige“ Handy oder den angesagtesten Kopfhörer zu besitzen. Zudem sind die Ausgaben für Bekleidung fast konstant (siehe Grafik). 2017 gab es zwar einen Ausreißer nach oben, doch für 2018 wird ein deutlicher Rückgang erwartet. „Die Zahl der verkauften Kleidungsstücke bleibt nahezu gleich, die Preise pro Stück sinken aber“, sagt Bosse. Laut einer Umfrage gibt ein Drittel aller Frauen ungern mehr als 30 Euro für eine neue Jeans aus. Das befeuert die Geschäfte von Billiganbietern wie Primark, nicht aber die der höherpreisigen Fashionketten.

Intelligente Verzahnung von von Online- und stationärem Handel notwendig

Die haben nach Einschätzung des Branchenexperten Bosse „viel zu zögerlich auf die stark wachsende Online-Konkurrenz reagiert“. Kleidung wird mittlerweile zu mehr als 25 Prozent im E-Commerce verkauft, in keinem anderen Handelssegment ist der Anteil höher. Viele Modeketten aber hätten bis vor wenigen Jahren noch auf eine Expansion ihrer Filialnetze gesetzt und neue Stores eröffnet. Tom Tailor etwa erwarb noch 2012, als der Onlinehändler Zalando bereits eindrucksvoll wuchs, für 220 Millionen die Boutiquen-Kette Bonita. „Die Idee lautete: Mehr Stores bedeuten mehr Umsatz, bessere Ergebnisse und einen steigenden Aktienkurs. Dieses Modell trägt nicht mehr“, sagt Bosse. Zwar haben die Unternehmen mittlerweile umgesteuert, schließen reihenweise Läden. Doch lang laufende, oft teure Mietverträge zu beenden, verschlingt viel Zeit und Geld. Es ist Geld, das für die dringend notwendigen Investitionen in die intelligente Verzahnung von Online- und stationärem Handel fehlt.

E-Commerce allerdings ist nicht automatisch ein Erfolgsrezept. So räumte Otto-Group-Chef Alexander Birken kurz vor Weihnachten ein, dass das Hamburger Unternehmen die selbstgesteckten Umsatzziele für 2018 nicht erreichen wird. Begründung: Im Sommer seien weniger Bekleidung und Möbel verkauft worden als erwartet. Beim Online-Händler Zalando wuchs der Umsatz zuletzt ebenfalls deutlich geringer, der Aktienkurs halbierte sich.

Was Anleger frustriert, erfreut Verbraucher: Die Anbieter reduzieren die Preise. Laut einer Marktstudie wurden 2018 vier von zehn Bekleidungsartikeln mit Rabatt verkauft. Tom Tailor ging noch einen Schritt weiter und startete ins neue Jahr, das für einige Unternehmen der Branche zum Schicksalsjahr werden dürfte, mit einem Preisnachlass auf das gesamte Sortiment im Online-Shop der Marke. Ab einem Bestellwert von 60 Euro gab es 2019 Cent, also 20,91 Euro, Rabatt. Wer geschickt orderte, zahlte mehr als 30 Prozent weniger. Die Aktion ist seit Freitagabend beendet.