Hamburg. Flugzeugbauer befürchtet offenbar einen Produktionsstopp. Werke in Hamburg und Broughton sind eng verbunden.

Wohl kaum ein Unternehmen auf dem alten Kontinent steht mehr für den Kerngedanken eines vereinigten Europas als Airbus. Zwar gibt es immer wieder Scharmützel über die Arbeitsverteilung unter den einzelnen Ländern und aufgrund der unterschiedlichen Sprachen und daraus resultierender Missverständnisse auch mal kleinere oder größere Schwierigkeiten in der Produktion. Doch letztlich ist der Konzern seit Jahrzehnten ein Beispiel für gelungene Zusammenarbeit. Das paneuropäische Unternehmen stieg zum zweitgrößten Flugzeugbauer auf und wird sich in diesem Jahr mit dem US-Erzrivalen Boeing um den Titel der globalen Nummer eins streiten – doch in diesen Tagen kämpft die Firma vor allem mit den Folgen eines Ausstiegs der Briten aus der Europäischen Union. „Wir sehen den Brexit mit Sorge“, sagte Airbus-Vorstandschef Tom Enders vor Kurzem der „Augsburger Allgemeinen“. „Er würde uns hart treffen.“

Jeder Airbus-Flügel kommt aus Broughton

Das liegt an der besonders engen Verzahnung der einzelnen Produktionsstätten, wie sie bei der Herstellung der Flugzeuge deutlich wird. Das Hamburger Werk mit seinen 12.700 Beschäftigten ist in erster Linie für die Endmontage des Kurz- und Mittelstreckenjets A320 bekannt. Das Flugzeug ist der Verkaufsschlager im Portfolio. Bestellungen über mehr als 6500 Maschinen stehen aktuell im Auftragsbuch von Airbus, die Rate soll konzernweit Mitte dieses Jahres von gut 50 Stück pro Monat auf 60 hochgefahren werden. Mehr als jede zweite Maschine wird auf Finkenwerder endmontiert und ausgeliefert – ohne Teile aus Großbritannien können die Flieger aber nicht abheben.

Laut Homepage ist Airbus das größte zivile Luftfahrtunternehmen im Vereinigten Königreich. Insgesamt 14.000 Mitarbeiter an 25 Standorten beschäftigt der Luft- und Raumfahrtkonzern auf der Insel, in der kommerziellen Luftfahrt arbeiten rund 70 Prozent von ihnen. In Filton mit rund 3000 Beschäftigten erfolgen Design und Ingenieursleistungen für die Tragflächen, das Tanksystem und das Fahrwerk. Der größte britische Standort ist Broughton. Die mehr als 6000 Beschäftigten kümmern sich neben Finanzdienstleistungen und Logistik vor allem um die Fertigung. So stammt jede Tragfläche eines kommerziellen Airbus-Jets aus dem Werk in Wales – und das könnte zum großen Problem werden.

Nur mit „No Deal“-Szenario lässt sich seriös planen

„Das Worst-Case-Szenario, der harte Brexit ohne Vereinbarung, würde bedeuten, dass wir keine Teile über die Grenze bekommen“, sagte bereits im Sommer Guillaume Faury. Der Franzose ist Chef der Verkehrsflugzeugsparte und soll nach der Hauptversammlung im April auf den scheidenden Enders als Vorstandsvorsitzender folgen. Das „No Deal“-Szenario sei das einzige, mit dem man zurzeit seriös planen könne, heißt es vom Unternehmen. Für die Interessen des MDAX-Konzerns zu trommeln obliegt noch Enders. In der vergangenen Woche war der Deutsche in London, um Parlamentarier zu überzeugen, in der Abstimmung am Dienstagabend zumindest für einen geregelten Ausstieg der Briten aus der EU zu votieren – wenn sie die Gemeinschaft schon unbedingt verlassen wollen. Ansonsten könnten Investitionsentscheidungen in die britischen Werke verschoben oder gestrichen werden.

„Die Ungewissheit ist wirklich unerträglich“, sagte Enders über die seit Monaten dauernde Hängepartie. Nach dem Referendum 2016 gründete das Unternehmen eine Brexit-Taskforce, die mehr als 100 Beschäftigte umfasst. Mittlerweile habe Airbus bereits einen zweistelligen Millionenbetrag für die kontinuierlichen Planungen und Vorbereitungen ausgegeben, sagte Enders. Dazu gehört auch der Aufbau eines Lagers an Teilen, damit die Produktion nach einem EU-Ausstieg der Briten fortgesetzt werden kann. Ob auch Flügel auf Vorrat zu den Hauptwerken in Toulouse und Hamburg gebracht wurden, ließ ein Sprecher offen. Enders warnte, dass der zweistellige Millionenbetrag „wahrscheinlich ein Bruchteil dessen sei, was ein unvorbereiteter, ungeordneter Brexit uns kosten könnte“.

Wie schnell droht ein Stopp der Fertigung?

Besonders teuer wird es, wenn es zu einem Produktionsstillstand kommt. Für die Luftfahrt ist eine Kernfrage, ob oder wie Großbritannien Mitglied der Europäischen Flugsicherheitsagentur (EASA) bleibt. Denn es dürfen nur Teile in die Flugzeuge eingebaut werden, die von der EASA freigegeben und zertifiziert wurden. „Das könnte eine sehr beunruhigende Situation für uns sein und am Ende zu einem Stillstand unserer Produktion führen“, sagte Enders im Sommer kurz vor der Luftfahrtmesse in Farnborough der „Welt“. Wie schnell ein Stopp der Fertigung droht, wollte ein Airbus-Sprecher nicht sagen.

Aber auch unterhalb des Horrorszenarios gibt es vielfältige mögliche Auswirkungen. Waren im Wert von sechs Milliarden Pfund (6,73 Milliarden Euro) bezieht Airbus jedes Jahr von Zulieferern auf der Insel. Klar ist, dass die Lieferkette bei einem Ausscheiden der Briten Ende März aus der Gemeinschaftsunion negativ betroffen sein wird. Im besten Fall fällt nur mehr Bürokratie an, mitunter kostet der Zoll aber auch viel Zeit und Geld. Der Fokus liege darauf, die Folgen für Airbus und die vielen britischen Zulieferer in einem beherrschbaren Rahmen zu halten, sagte Enders der „Augsburger Allgemeinen“: „Das hat seinen Preis, kostet Geld und stärkt weiß Gott nicht unsere Wettbewerbsfähigkeit. Aber wir werden auch das am Ende schultern, da bin ich sicher.“ Der Weg aus Großbritannien in die EU – wie für die Flugzeugflügel – ist übrigens keine Einbahnstraße. So werden für den Kampfjet Eurofighter die Rumpfteile in Deutschland gefertigt und auf die Insel zur Endmontage gebracht. Wie das zukünftig geschehen soll, ist offen.

Und dann gibt es noch eine psychologische Komponente

Für Airbus könnte es zudem Pro­bleme auf der Personalseite geben. Wenn zum Beispiel ein Ingenieur aus Broughton für einige Wochen in Bremen gebraucht würde – dort erhalten die Flügel die Landeklappen –, konnte er bisher kurzzeitig dorthin entsandt werden. Wie so etwas in Zukunft geregelt werden kann, ist ebenfalls offen.

Und dann gibt es noch eine psychologische Komponente. Großbritannien gehört wie Deutschland, Frankreich und Spanien zu den vier Heimatländern des Konzerns – ein Zurück zu nationalen Regelungen wäre auch ein Rückschritt für das Selbstverständnis des paneuropäischen Konzerns. Enders: „Vergessen Sie nicht: Wir sind auch ein britisches Unternehmen.“