Hamburg. Früher war die Straße eine noble Einkaufsmeile. Nun leidet sie unter Baustellen und Fehlplanung – kein Einzelfall in Hamburg.
Vor gut 100 Jahren gehörte der Große Burstah zu den besten Einkaufsstraßen Hamburgs. Passanten bummelten an den Schaufenstern der Geschäftshäuser mit Jugendstil- und Gründerzeit-Fassaden vorbei. In den Hausnummern 12 und 14 hatte Hermann Tietz eines seiner Warenhäuser eröffnet, der Vorläufer des Alsterhauses am Jungfernstieg.
Auch das Deutsche Familienkaufhaus, das später zu Horten wurde, war lange mit einer Filiale vertreten. Mehrere Straßenbahnlinien fuhren durch die Verbindungsader zwischen Rathausmarkt und Fleetinsel. Ein Prachtboulevard, der Käufer weit über die Hansestadt hinaus anzog.
Das war einmal. Immer wieder neue Baustellen, eine veränderte Verkehrsführung und die Ruine des Allianz-Hochhauses mitten im Straßenverlauf machen vielen Geschäftsleuten zu schaffen. Große Gebäudekomplexe wie die Zentrale der Hamburger Sparkasse am Anfang der Straße in Richtung Rathausmarkt laden nicht gerade zum Bummeln ein. Von den historischen Gebäuden sind nur wenige erhalten. Allein seit 2010 sind sieben Neubauten entstanden. Dazu kommt: Es ist nicht klar, wofür der Große Burstah als Einkaufsstraße steht.
Viele Läden in drei Jahren geschlossen
Das Angebot reicht von feinster Wäsche über Outdoor-Bekleidung, Teespezialitäten und Naturkosmetik bis zu Waren des täglichen Bedarfs wie Blumen, Duschgel und Zigaretten für kleines Geld. „Es fehlt der richtige Mix“, sagt Müjdat Kizilsencer, der einen Kiosk nahe dem Rödingsmarkt betreibt. Er hat die Marke Vadda Morgana entwickelt, unter der er künftig zusätzlich Trockenfrüchte, Kaffee und Gewürze vertreiben will.
Zahlreiche Läden haben allein in den vergangenen drei Jahren geschlossen, unter anderem das Traditionsgeschäft Lenffer, die Deko-Kette Butlers, das Reformhaus Engelhardt. Ein Service-Shop von Bosch und Siemens ist an den Alten Fischmarkt gezogen – denn dort ist mehr los. Der Edeka-Markt Struve ist wegen einer Grundsanierung seit Monaten auf einer deutlich kleineren Übergangsfläche untergebracht.
Der alteingesessene Optiker Schütt hat den Besitzer gewechselt und heißt jetzt Optiko. Was mit der Habitat-Filiale geschieht, die erst 2015 als wichtiger Anker-Mieter in ein neues Geschäftshaus gezogen war, ist nach der Insolvenz der Einrichtungskette in Deutschland offen. Die vielen Baustellen direkt vor der Tür waren dem Betrieb nicht gerade zuträglich. Aktuell stehen mehrere Verkaufsflächen leer.
Stimmung bei den Ladeninhabern gemischt
Die Gründe für die Fluktuation mögen unterschiedlich sein. Aber Rabattaktionen in den Schaufenstern deuten darauf hin, dass die Geschäfte nicht überall glänzend laufen. Bei den Ladeninhabern ist die Stimmung nach einer Umfrage des Abendblatts gemischt. Einige klagen über Umsatzeinbrüche, aber es gibt auch positive Stimmen. „Eigentlich ist der Große Burstah baulich und auch als Verlängerung der Mönckebergstraße attraktiv“, sagt Brigitte Nolte. Die Geschäftsführerin des Handelsverbands Nord sieht als Gründe für die schwierige Geschäftslage vor allem die Dauer-Baustellen und die Allianz-Brache. „Das hält Kunden ab.“
Stana Krunic spürt die Probleme täglich. Früher sei der Große Burstah belebter gewesen, mit vielen kleinen Läden und vor allem mit Kunden aus den Büros in der Umgebung, die in der Straße ihren Alltagseinkauf erledigten. „Wir haben verloren“, sagt die Geschäftsfrau, die seit mehr als 20 Jahren eine Filiale einer Bäckerei-Kette am Großen Burstah betreibt. Trotzdem seien in den vergangenen Jahren die Mieten massiv gestiegen.
Sie kritisiert, dass zahlreiche Parkplätze weggefallen oder in Ladezonen umgewandelt worden seien. Falschparker bekämen schon nach kürzester Zeit ein Knöllchen. Zwar kehren im Moment wegen der vielen Baustellen Handwerker und Bauarbeiter bei ihr zur Kaffeepause ein. „Aber von Laufkundschaft allein kann ich nicht leben.“ In den vergangenen Jahren hat sie sich deshalb stärker aufs Catering konzentriert. Ihr Mietvertrag läuft noch sechs Jahre. „Ich hoffe, ich halte durch.“
Großer Burstah gehört zum BID Nikolai Quartier
Ganz anders sieht Hilde Leiss die Lage, „auch wenn die letzten Jahre hart waren“. Seit 30 Jahren betreibt sie ihre Schmuckgalerie am Großen Burstah, hat 2016 sogar die Räume der einstigen Galerie Rose dazu gemietet. „Meine Kunden kommen ganz gezielt, sind sogar über die Baustellen gestiegen“, sagt die Goldschmiedin. Auch Nachbarin Janine Werth ist optimistisch. Erst Ende Oktober hat sie an der Traditionsmeile ihr innovatives Geschäft Werte Freunde eröffnet, ein Laden mit Naturkosmetik, fair gehandelter Kleidung und abendlichem Veranstaltungsprogramm.
„Wir bieten Dinge, die es sonst nicht gibt“, sagt die Gründerin, die schon für große Einzelhändler wie die Drogeriemarkt-Kette Müller Shop-Konzepte entwickelt hat. Eine halbe Million Euro hat Werth in den Laden investiert, in dem Butlers zuvor mäßig erfolgreich Nippes und Nützliches verkauft hat. Mit den ersten Wochen am Großen Burstah ist die Geschäftsfrau „sehr zufrieden“. „Einzigartigkeit und Individualität“, davon ist Werth überzeugt, entscheiden heute über den Erfolg einer Geschäftsidee.
Und das Umfeld. Diesbezüglich ist in den vergangenen Jahren in der Straße einiges geschehen, in der früher viele Gebäude eher zweckmäßig gebaut worden waren und nicht einem städtebaulichen Gesamtkonzept folgten. Der Große Burstah gehört mittlerweile zum BID Nikolai Quartier, dem größtem Business Improvement District Europas. Hier wurden unter anderem die Gehwege komplett erneuert, um so zumindest eine optische Anbindung an die stärker besuchten City-Einkaufsmeilen wie die Mönckebergstraße zu schaffen.
Allerdings ist der Große Burstah auch ein Beispiel für die katastrophale Baustellenkoordination in der Stadt. Kaum dass diese Pflasterarbeiten vor einem Jahr – mit zeitlicher Verzögerung – abgeschlossen waren, wurde alles wieder aufgebuddelt, weil Strom und Telefonleitungen verlegt werden mussten. Und das nicht nur einmal. Um in der Vorweihnachtszeit für ein wenig Glanz in der sonst spärlich beleuchteten Straße zu sorgen, wurden Leuchtelemente auf den Bürgersteigen aufgestellt. Wegen ihrer geringeren Strahlkraft wirkten sie aber eher wie eine Notlösung.
Edeka-Händler setzt auf das Potenzial der Straße
„Der Große Burstah wurde jahrelang weniger als Einkaufsadresse wahrgenommen, sondern mehr als Baustelle“, sagt Arno Schmidt, Inhaber des Wäschehauses Möhring. Mitte 2017 war das Traditionshaus vom Neuen Wall an den Großen Burstah gezogen. Eine Zäsur, die sich auch auf die Umsätze auswirkte. Langsam kämen die Stammkunden nun zurück, sagt Schmidt. „Jetzt muss die Straße aus dem Dornröschenschlaf erweckt werden. Das dauert.“ Er fordert mehr Unterstützung vom BID und von der Stadt, vor allem aber auch eine bessere Koordination. Die Laufzeit des BID endet im August. Nun laufen Verhandlungen, wie es weitergehen soll.
Aber letztlich ist der Dreh- und Angelpunkt der Schandfleck, zu dem sich das einstige Allianz-Hauptquartier entwickelt hat, und der den Gesamteindruck der Straße beherrscht. Schon seit sechs Monaten steht der bereits begonnene Abriss still. Jetzt setzen die Geschäftsleute ihre Hoffnungen darauf, dass es bald weitergeht. Der geplante Neubau, ein 250-Millionen-Euro-Projekt mit Wohnungen, Büros und Geschäften, soll unter einem neuen Eigentümer endlich starten.
„Langfristig wird es wieder ein wunderbarer Boulevard“, sagt City-Managerin Brigitte Engler. Zudem soll im Laufe des Jahres mit den Stadthöfen ein weiteres neues Shopping-Areal in unmittelbarer Nähe zwischen Stadthausbrücke und Neuem Wall bezogen werden. Das ist eine Chance – bedeutet aber auch noch mehr Konkurrenz um Kaufkraft und Kunden.
Händler blicken auch zuversichtlich in die Zukunft
Edeka-Händler Robin Struve setzt weiter auf das Potenzial der Straße. „Wir bauen darauf, dass die Kunden zurückkommen, wenn die Straße insgesamt noch attraktiver wird“, sagt er. Sein Geschäft soll wohl Mitte des Jahres wieder am alten Platz neu eröffnen – mit moderner Einrichtung und hochwertiger Technik. Auch Familie Ünsal, die seit 16 Jahren den Blumenladen Blume Fresh betreibt, setzt – trotz massiver Einbußen in den vergangenen Jahren – auf die Zukunft des Großen Burstah.
Im Dezember ist die Familie mit den Blumen in den leer stehenden Hausgeräteladen nebenan gezogen. „Wir vervierfachen die Fläche“, sagt Selma Ünsal. Neben einem größeren Sortiment an frischen Schnittblumen soll es künftig auch ein kleines Gartencenter an dem Standort geben. Gerade wird aufwendig renoviert. In den alten Geschäftsräumen will Sohn Koraj schon bald einen Suppenladen eröffnen. Es bewegt sich also was an der einstigen Einkaufsprachtmeile.