Hamburg. Firmen in der Region überraschen mit neuen Produkten. Wir prüfen, wie gut sie sind. Heute: Herzhafte Cremes von Vitaquell.
Es gibt da diese Anekdote, die Hermann Pfestorf gerne erzählt. Von seiner Schwiegermutter, die immer ein Päckchen Butter mitbrachte, wenn sie zu Besuch kam. Weil es bei Pfestorfs nur Margarine aus eigener Herstellung gab, mit der sich die Schwiegermama so gar nicht anfreunden konnte.
Pfestorf muss heute noch schmunzeln, wenn er erzählt, wie er seine Schwiegermutter schließlich umgestimmt hat. Wie er eines Tages die Buttermaschine einer insolventen Meierei aufkaufte und in ihr Margarine mit Joghurt herstellte, diese in Butterpapier wickelte und beim nächsten Besuch auftischte. „Meine Schwiegermutter war richtig gerührt, dass wir extra für sie Butter besorgt hatten, und hat den guten Geschmack ausdrücklich gelobt.“ 25 Jahre ist das her, und inzwischen ist die Schwiegermutter-Margarine fester Bestandteil des Vitaquell-Sortiments.
Seit fast 100 Jahren produziert das Hamburger Unternehmen mit Sitz in Eidelstedt vegane und vegetarische Lebensmittel. Angefangen hat alles 1922 – in einem Werk für Margarine. Dort, wo heute Vitaquell seinen Sitz hat und jährlich knapp 1600 Tonnen Margarine produziert, wurde damals das Margarinewerk Hamburg-Eidelstedt gegründet. Weil sich Hermann Fauser, der Sohn eines Landwirtes, über viele der sinnlosen Zutaten in Margarine ärgerte, setzte er sich für die Entwicklung einer naturbelassenen Margarine ein. Er wird Gesellschafter, steigt in die Geschäftsführung auf und übernimmt schließlich das Unternehmen, das er in Fauser Vitaquell umbenennt.
Margarine hat an Popularität verloren
Der Name hat die Zeit überstanden. Den Wandel, die Veränderungen im Konsumverhalten. Galt Margarine einst als gesunde Alternative zu Butter, hat das pflanzliche Streichfett stark an Popularität verloren und inzwischen immer weniger Abnehmer. In den vergangenen 40 Jahren hat sich der Pro-Kopf-Verbrauch von fast neun auf rund vier Kilo mehr als halbiert. Das bekam auch Fauser Vitaquell zu spüren, wo in den 40er- und 50er-Jahren noch bis zu 30.000 Tonnen Margarine pro Jahr produziert wurden.
Doch das Unternehmen hat einen starken Gegenpol zum schrumpfenden Margarinegeschäft entwickelt: herzhafte Aufstriche. „Die Idee dazu hatte mein Vater“, sagt Hermann Pfestorf. „Er fand, dass Margarine nur was für zwischendrin ist – also zwischen Brot und Auflage gehört. Deswegen wollte er selbst eine Auflage kreieren, eine Alternative zu Käse und Wurst.“ So entstanden in den 1960er-Jahren die ersten Aufstriche. Das Besondere, darauf ist man bei Vitaquell besonders stolz: Viele der Aufstriche werden aus dem sogenannten Presskuchen hergestellt, der beim Auspressen von Saaten und Kernen etwa von Sonnenblumen oder Leinsamen für die Ölproduktion entsteht. „Da diese hochwertigen Reste viel zu schade zum Entsorgen sind, entstand die Idee, sie als Basis für die Aufstriche zu nutzen“, erklärt Pfestorf. Fast 20 verschiedene Aufstriche gibt es: Hummus-Variationen, Cremes auf Mandelbasis sowie Aufstriche aus Lein- und Sonnenblumenöl. Ganz neu im Sortiment: die Geschmacksrichtung Lein-Feige-Senf.
Öle produziert Vitaquell ebenfalls
Obwohl die herzhaften oder süßen Cremes oft als „Brotaufstriche“ bezeichnet werden, wehrt man sich bei Vitaquell gegen diesen Begriff. „Schließlich kann man die Aufstriche auch zu Pasta und Fleisch, Fisch und Salaten essen“, betont Pfestorf. Für ihn ist Vitaquell ein Stück seines Lebens, das seine Familie geprägt hat. „Bei uns zu Hause wurde viel über das Geschäft gesprochen, jedes Produkt getestet. Etwas anderes kam nicht auf den Tisch“, sagt Pfestorf, der als Kind für 50 Pfennig pro Stunde im Lager gearbeitet hat.
Zwei Brüder und zwei Schwestern hat er, doch er ist der Einzige, der ins Unternehmen eingestiegen ist. Pfestorf hat Vitaquell in das 21. Jahrhundert geführt und das Sortiment auf 150 Produkte ausgeweitet. Dazu gehören außer Margarinen, Ölen und Aufstrichen auch Feinkostsalate, Bio-Gerichte und Soja-Spezialitäten. Viele hat er mitentwickelt. Produziert wird in Hamburg im Ein-Schicht-Betrieb. „Wir sehen uns als Manufakturbetrieb“, sagt Pfestorf. 15 bis 20 Millionen Euro Jahresumsatz macht Vitaquell.
Nachdem die Produkte lange nur in Reformhäusern verkauft wurden, setzt Vitaquell jetzt verstärkt auf andere Vertriebswege. „Da es immer weniger Reformhäuser gibt, haben wir keine andere Wahl“, sagt Pfestorf. Er will Vitaquell stärker im Lebensmittelhandel positionieren. Auch einen eigenen Onlineshop gibt es inzwischen. „Ohne geht es nicht“, sagt der Firmenchef, der sich für 2019 viel vorgenommen hat. Den Export ausbauen zum Beispiel. Und Verpackungsalternativen zu Plastik finden und testen. Einige Produkte von Vitaquell gibt es schon im Glas, viele aber noch nicht. Eins davon liegt ihm besonders am Herzen. Die Margarine.
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