Hamburg . Vorsitzender der Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns übt zum Jahresende scharfe Kritik – vor allem an Ex-Präses Bergmann.
Nicht wenige hatten an diesem Silvestertag einen eher leeren historischen Börsensaal in der Handelskammer erwartet. Doch Hamburgs Wirtschaft und Politik folgte auch diesmal in nahezu voller Stärke dem Ruf der Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns (VEEK) zur traditionsreichen Jahresschlussversammlung. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und seine Ehefrau Eva-Maria kamen genauso zum Adolphsplatz wie das Gros der Senatoren und viele Unternehmer. Freie Sitzplätze gab es kaum.
Beobachter hatten damit gerechnet, dass der massive Streit innerhalb der Handelskammer, der jüngst im Rücktritt fast des gesamten Präsidiums gipfelte, für viele treue Gäste diesmal ein Grund hätte sein können, der Veranstaltung fernzubleiben. Doch dazu kam es nicht.
"Das lähmt die Handelskammer"
Der VEEK-Vorsitzende Gunter Mengers trat zuerst ans Mikrofon. Bereits im vergangenen Jahr hatte er nicht gerade freundliche Worte für die neue Führung der Handelskammer gefunden, sprach damals von Entwicklungen, denen er nur noch „verständnislos“ zuschauen könne. Doch in diesem Jahr glich seine Rede einer kompromisslosen Abrechnung mit der ehrenamtlichen Kammerführung. „Die öffentlich ausgetragenen Streitigkeiten im Präsidium lähmen die Kammer und demotivieren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, so Mengers.
Die einstmals so aktive Handelskammer werde „kaputtgespart und es gehen schon lange keine Impulse mehr von ihr aus.“ Diese hätte er sich zum Beispiel mit Blick auf die Verkehrssituation in der Stadt gewünscht. „Denn diese beschert uns allen Frust, Aufwand, Umweltprobleme, kostet den Senat Sympathie und bereitet dem Hafen ernsthafte Wettbewerbsnachteile.“ Von der neuen Kammerführung habe er dazu inhaltlich aber nichts gehört. Auch sei von den Versprechen vor der Kammerwahl kaum etwas übrig geblieben. Damit spielte Mengers vor allem auf die von den einstigen Kammerrebellen zugesagte Abschaffung der Pflichtbeiträge an.
Die Wirtschaft soll sich mehr einmischen
„Wer der Wirtschaft schadet - und das schließt natürlich die Kaufmannschaft ein - schadet Hamburg”, so Mengers weiter. „Wenn in einer für Hamburg wichtigen Institution in den Aufsichtsgremien Machtkämpfe ausgefochten werden und dadurch Kernfunktionen, Umgangsformen, Mitarbeiterführung, Abläufe und Kreativität vernachlässigt werden, dann kann das nicht hingenommen werden”, lautete Mengers’ Appell an die etablierte Wirtschaft, sich wieder mehr einzumischen.
Auch für den vor wenigen Wochen überraschend zurückgetretenen Präses Tobias Bergmann fand Mengers vor den geladenen Gästen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft im historischen Börsensaal keine positiven Worte. Im Gegenteil. „Einige haben dem Rücktritt Respekt gezollt. Das kann ich allerdings nicht nachvollziehen. Wenn jemand in kurzer Zeit Dinge stark demoliert und dann abtritt, sich also der Verantwortung entzieht, kann ich darin keine zu respektierende Handlung erkennen“, so Mengers. Der Applaus im Anschluss an seine Rede war lang.
Als Vertreter der Handelskammer reagierte André Mücke, der das Amt des Präses bis zur Neuwahl des Präsidiums Ende Januar von Bergmann kommissarisch übernommen hat, auf Mengers harsche Kritik. Zunächst verglich er den Streit zwischen etablierter Wirtschaft und Rebellen in seiner Rede mit dem Silvesterfeuerwerk. In manchen Kulturen würden zum Jahreswechsel Böller gezündet, um die bösen Geister zu verbreiten. Doch er könne keine bösen Geister im Börsensaal der Kammer entdecken. „Diese Geister sind eine Erfindung von denen, die gerne Krach machen wollen“, so Mücke. Der Applaus für diese Aussage fiel spärlich aus.
Erstattete Kammerbeiträge kommen in einen Azubi-Fonds
Dann wurde der kommissarische Präses doch noch versöhnlich und appellierte an alle Wirtschaftsvertreter: „Lassen Sie uns die Scharmützel der Vergangenheit beenden! Wir sollten uns wieder gemeinsam für den Wirtschaftsstandort Hamburg einsetzen.“ Von der ehrenamtlichen Kammerführung seien in den vergangenen Monaten Fehler gemacht worden, räumte Mücke ein. Es sei aber auch nicht fair, die aktuelle Führung inhaltliche nur darauf zu reduzieren, dass es ihr nicht wie versprochen gelungen sei,
die Kammerpflichtbeiträge abzuschaffen. Schließlich habe man mittleren und kleineren Unternehmen immerhin rund 20 Millionen Euro an Beiträgen zurückerstattet. Besonders stolz mache ihn in diesem Zusammenhang, dass bereits 2700 dieser Firmen sich bereit erklärt hätten, die erstatteten Beiträge in einen von der Kammer aufgelegten Azubi-Fonds einzuzahlen.
Im Anschluss an seine Replik auf die Kritik an der Kammerführung benannte Mücke die aus seiner Sicht vier wichtigsten Zukunftsthemen für Hamburgs Wirtschaft. Er warb für eine Steigerung der Internationalität, forderte eine bestmögliche Fachkräfteversorgung und größere Fortschritte bei der Digitalisierung, sprach sich für mehr Klimaschutz aus und verlangte eine stärkere Förderung der Wissenschaft in der Hansestadt.
Als Überraschungsgast trat nach Mücke die Jungunternehmerin Mandy Gollian an das Mikrofon, die sich von einer Praktikantin zur Geschäftsführenden Gesellschafterin beim Hamburger Cateringdienst Lokalgold hochgearbeitet hat. Sie erzählte von ihrem nicht einfachen beruflichen Aufstieg und verlangte von der Gesellschaft mehr Respekt für Ausbildungsberufe: „Diese Berufe werden von vielen nicht mehr wertgeschätzt.“ Gollian forderte für die Jugendlichen eine bessere Berufsberatung und von den Jugendlichen „mehr Engagement und Durchhaltevermögen“.
Damit spielte sie auf die zum Teil hohen Abbrecherquoten in Lehrberufen an. Der Applaus der Gäste im alten Börsensaal war lang und laut – man hatte das Gefühl, dass viele froh waren, endlich die Erfolgsgeschichte einer Frau aus der beruflichen Praxis hören zu dürfen. Von den Streitereien in der Handelskammer hatten das Gros der Zuhörer an Silvester offensichtlich genug.