Handelskammerchef Tobias Bergmann versprach die Abschaffung der Pflichtbeiträge bis 2020. Das kann er womöglich nicht halten.

Wer mit Tobias Bergmann in seinem neuen „Zuhause“ ein Interview führt, der merkt sofort: Hier hat sich einiges verändert. Vor dem altehrwürdigen Präses-Zimmer im historischen Kammergebäude begrüßt die Gäste keine Sekretärin mehr. Der neue Präses schließt die Türen selbst auf. Von den hohen Wänden hat er viele alte Gemälde abhängen lassen, auch mehrere in Öl gemalte Porträts seiner Vorgänger fehlen. Hier will einer mit Traditionen brechen – das steht außer Frage. Was der sogenannte Kammer-Rebell, der mit seiner siegreichen Wahlgruppe im Februar einen Kantersieg bei den Plenumswahlen errang, konkret ändern will, sagt er im ersten großen Abendblatt-Interview. Und er relativiert überraschend sein zentrales Wahlversprechen: die Abschaffung der Pflichtbeiträge bis 2020.

Sie sind nun seit gut zweieinhalb Monaten Präses der Hamburger Handelskammer – wie fühlt sich der neue Job an?

Tobias Bergmann: Ich bin gut angekommen und genieße die Arbeit. Auch deshalb, weil es eine neue Herausforderung für mich ist. Ich war ja viele Jahre als Berater tätig. Da ist man an vielen interessanten Prozessen beteiligt, aber entscheidet nie selbst. Das ist nun als Präses anders – und das ist eine spannende Aufgabe.

Wie sieht Ihr Tagesablauf als Präses aus? Schließlich leiten Sie ja noch eine Beratungsagentur.

Im Augenblick bin ich ehrenamtlicher Vollzeit-Präses. Morgens komme ich hier in die Kammer, arbeite mich in viele neue Felder ein – und abends fahre ich wieder nach Hause. Deshalb bin ich bei dem Beratungsunternehmen Nordlicht als Geschäftsführer ausgeschieden, habe aber meine Agentur Tobias Bergmann Consulting gegründet – und lebe nun vorrangig von finanziellen Rücklagen. Ab Herbst will ich dann zwei bis drei Tage in der Kammer mein Ehrenamt wahrnehmen und die anderen Tage wieder Geld in meiner Agentur verdienen. Denn nur von den Büfetts, die mir abends als Präses angeboten werden, kann ich nicht existieren. (lacht)

Die Position des Hauptgeschäftsführers ist seit dem Abgang von Hans-Jörg Schmidt-Trenz verwaist – wann wollen Sie den Posten wieder besetzt haben?

Spätestens im Oktober soll der neue Hauptgeschäftsführer berufen werden.

Es gibt das Gerücht, dass Sie das Amt womöglich selbst antreten könnten ...

… das kann ich ausschließen. Ich bin für drei Jahre als Präses gewählt, und diese Aufgabe möchte ich auch erfüllen. Zum anderen haben alle in unserem Bündnis vor der Wahl verbindlich erklärt, dass sie nicht aus einem Ehren- in ein Hauptamt bei der Kammer wechseln werden.

Gibt es bereits einen Favoriten für den Posten des Hauptgeschäftsführers?

Nein, bisher nicht.

Welche Voraussetzungen muss der neue Hauptgeschäftsführer mitbringen?

Der neue Hauptgeschäftsführer oder die neue Hauptgeschäftsführerin muss für diese wichtige Aufgabe brennen. Er oder sie muss es schaffen, die Handelskammer zu modernisieren, und an die lange Tradition anknüpfen. Das ist eine große Herausforderung. Einen langjährigen Manager, der nur noch drei Jahre Kasse machen will – den brauchen wir hier jedenfalls nicht.

Also einen billigen Herrn Schmidt-Trenz?

(der Ex-Geschäftsführer; Anm. der Red.)

(lacht) Wir brauchen jemanden, der die Kammer in eine neue, moderne Zeit führt. Es gibt in Deutschland viele kluge Köpfe, sowohl im öffentlichen Sektor als auch in der Privatwirtschaft, die einen hervorragenden Job für das Gehalt machen, das wir auch unserem neuen Hauptgeschäftsführer anbieten werden. Deshalb sehe ich in der Gehaltsfrage kein Problem.

Ihr zentrales Wahlversprechen war die Abschaffung der Pflichtbeiträge – wann werden die Unternehmen kein Geld mehr an die Kammer überweisen müssen?

Unsere Zielvorgabe war vor der Wahl das Jahr 2020 – und daran arbeiten wir.

Durch die Abschaffung der Beiträge würden der Kammer 40 Millionen Euro pro Jahr verloren gehen – wie wollen Sie diese Mindereinnahmen ausgleichen?

Auf der einen Seite wollen wir die Höhe der Gebühren, die wir für hoheitliche Aufgaben nehmen, überprüfen. Zurzeit sind sie nicht kostendeckend. Das wollen wir ändern. Dabei werden uns auch mehr Effizienz und digitale Prozesse helfen.

Wenn Sie zum Beispiel die Gebühren für Azubiprüfungen erhöhen, bestrafen Sie Unternehmen, die viel ausbilden. Ist das sinnvoll?

Die höheren Gebühren werden sicherlich nicht dazu führen, dass Unternehmen weniger ausbilden. Dafür ist der Betrag viel zu gering. Wir müssen aber in Deutschland daran arbeiten, dass die Anreize für die duale Ausbildung erhöht werden – so entsteht mehr Ausbildung. Das ist übrigens auch eines der zentralen Wahlversprechen des Bündnisses, für das auch ich gewählt worden bin.

Die Einnahmen der Kammer über Gebühren liegen derzeit bei 6,7 Millionen Euro im Jahr. Selbst wenn Sie die Gebühren verdoppeln, kommen Sie nicht annähernd auf die 40 Millionen Euro, die durch das Ende der Pflichtbeiträge wegfallen.

Zunächst einmal: Ich sage nicht, dass wir diese 40 Millionen Euro weiterhin komplett benötigen. Es geht hier vielmehr um drei Finanzierungsbereiche. Erster Bereich: die spezialgesetzlichen Aufgaben wie etwa die Ausbildungsprüfungen finanzieren wir – wie bereits gesagt – durch kostendeckende Gebühren. Zweitens geht es darum, wie wir Veranstaltungen und Serviceleistungen kostendeckend anbieten können. Zum Beispiel den Hamburg Summit – das große deutsch-chinesische Treffen, das alle zwei Jahre hier in der Kammer stattfindet. Diese Veranstaltung subventionieren wir jedes Mal mit einem deutlich sechsstelligen Euro-Betrag aus Pflichtbeiträgen. Das werden wir 2018 noch einmal machen. Dann ist damit aber Schluss. Danach müssen wir eben mehr Sponsoren für den Hamburg Summit finden. Und drittens: Unsere gesetzlichen Aufgaben in der gesamtwirtschaftlichen Interessenvertretung wollen wir künftig ohne Pflichtbeiträge erfüllen.

Ein weiteres Problem der Kammer sind die hohen Pensionsverpflichtungen. Müssen die aktuellen und künftigen Rentner der Kammer mit Ihnen als Präses um ihr Altersruhegeld bangen?

Sie sprechen ein wichtiges Thema an – die Hypotheken der Vergangenheit. Es gibt geltende Verträge, und die werden wir einhalten. Sonst würden wir ja geltendes Recht brechen. Allerdings werden wir uns die Pensionsverpflichtungen insgesamt sehr genau anschauen müssen. Derzeit haben wir dafür Rückstellungen in Höhe von 80 Millionen Euro auf der Passivseite der Bilanz gebildet, für die auf der Aktivseite 48 Millionen Euro Finanzmittel reserviert sind. Nun prüft die von uns eingesetzte Finanzkommission, welche zusätzlichen Belastungen noch auf uns zukommen. Deren Zahlen sind die Grundlage für unsere Entscheidung, wie wir weiter vorgehen. Andere Kammern und Institutionen lagern die Pensionsverpflichtungen aus und verkaufen sie, so wie etwa die IHK Regensburg das gemacht hat. Oder wir behalten die Pensionsverpflichtungen bei uns in der Bilanz.

Beides dürfte sehr teuer werden und ohne Pflichtbeiträge wohl auch kaum zu finanzieren sein …

… das werden wir wissen, wenn die Finanzkommission ihren Bericht vorlegt.

Das heißt: Möglicherweise werden die Pflichtbeiträge doch nicht 2020 abgeschafft?

Pflichtbeiträge wie bisher wird es ab 2020 nicht mehr geben. Allerdings könnte es sein, dass die Finanzlast durch Pensionsverpflichtungen und andere Hypotheken zu hoch ist und wir deshalb eine komplette Abschaffung der Pflichtbeiträge erst später realisieren können.

Aber das wäre Wahlbetrug. Denn Ihr zen­trales Wahlversprechen, mit dem Sie und Ihre Mitstreiter im Februar den Kantersieg errungen haben, war: Abschaffung der Pflichtbeiträge bis 2020.

Ich halte das nicht für Wahlbetrug. Wir meinen es ernst mit unserem Versprechen. Und wir wollen die Pflichtbeiträge ja in jedem Fall weiterhin so weit wie möglich senken. Aber das in meinen Augen leichtfertige Handeln der alten Kammerführung in vielen Finanzfragen – und zwar über viele Jahre hinweg – lässt die Absenkung der Beiträge auf null möglicherweise nicht so schnell zu, wie wir das wollen. Da müssen wir jetzt das Ergebnis der Finanzkommission abwarten. Wenn die Hypotheken zu groß sind, werden wir entscheiden müssen, wie wir sie gerecht finanzieren. Gerade auch wegen ihres leichtfertigen wirtschaftlichen Handelns wurde die alte Kammerführung ja abgewählt.

Wie hoch die Pensionsrückstellungen sind, hätten Sie sich vor der Wahl in den alten Geschäftsberichten anschauen können. Zudem ist allgemein bekannt, dass Altersruhegelder wegen der höheren Lebenserwartung immer länger bezahlt werden müssen. Da ist die Handelskammer kein Einzelfall.

Ich habe alle Informationsquellen, die mir zugänglich waren, vor der Wahl genutzt. Und dort habe ich immer gelesen, dass ausreichend Vorsorge betrieben wurde. Allerdings war ich damals schon skeptisch, das gebe ich zu.

Dann hätten Sie Ihr Wahlversprechen ja unter einen Vorbehalt stellen können.

Das kann man so sehen. Wir haben allerdings auch immer gesagt, dass wir zuerst einen Kassensturz machen müssen.

Sollten Sie die Pflichtbeiträge nicht – wie versprochen – auf null setzen, müsste es ja eigentlich Neuwahlen geben.

Warum?

Weil Sie Ihr zentrales Wahlversprechen gebrochen haben.

Das sehe ich anders. Wir stehen dazu, dass die Handelskammer ihre zukünftigen Leistungen auf jeden Fall ohne Pflichtbeiträge erfüllen wird. Nur die schweren Finanzhypotheken der Vergangenheit müssen wir womöglich noch eine Zeit lang über Pflichtbeiträge abtragen. Und noch mal: Warten wir doch zunächst ab, zu welchem Ergebnis die Finanzkommission kommt.

Der größte Ausgabeposten der Kammer sind die Personalkosten mit jährlich 17 Millionen Euro. Planen Sie Gehaltskürzungen oder einen Abbau von Stellen?

Es gibt in diese Richtung keine Pläne.

Aber mittelfristig möglich sind Personalkürzungen schon?

Kein Unternehmen kann so etwas mittelfristig ausschließen.

Die Kammer logiert in einem historischen Gebäudekomplex, der hohe Energie- und Instandhaltungskosten verursacht. Werden Sie sich dieses Zuhause am Adolphsplatz künftig noch leisten können?

Ich habe immer gesagt, dass wir jeden Stein umdrehen müssen – und dazu gehört auch dieses Gebäude am Adolphs-platz. Denn der Unterhalt ist sehr teuer, auch wenn wir keine Miete bezahlen.

Kann man die monatlichen Kosten beziffern?

Auf jeden Fall könnten wir an anderer Stelle billiger mieten. Ich gebe Ihnen nur mal ein aktuelles Beispiel: Wir müssen eine neue Schließanlage einbauen lassen, weil die alte aus den 1960er-Jahren stammt; das wird uns rund eine Viertelmillion Euro kosten. Das ist schon sehr viel Geld. Allerdings ist mir auch klar, dass wir als Handelskammer nicht in die City Nord ziehen können.

Was wird eigentlich aus der Hamburger Morgensprache?

Die hat mit der Handelskammer nichts mehr zu tun. Dafür hat sich ein privater Verein gegründet, der die Veranstaltung fortführen will – ich glaube im Altonaer Theater.

Und dann ist da noch die sehr traditionsreiche jährliche Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns.

Das ist etwas anderes. Hier hat es eine Einigung mit dem ausrichtenden Verein gegeben, der zum nächsten Jahreswechsel wieder in der Kammer Gast sein wird. Wenn es gewünscht ist, werde ich auch eine Rede halten, so wie es seit Langem Tradition ist – aber auf meine Art, lassen Sie sich überraschen.