Hamburg. Firmen in der Region überraschen mit neuen Produkten. Wir erzählen die Geschichte. Heute: Weihnachtskonfekt von Gleem.

Jetzt, in den Wochen vor Weihnachten, könnte der Tag von Anna Gliemer auch doppelt so viele Stunden haben. Reichen würde es immer noch nicht. Die Adventskalenderproduktion ist nahezu abgeschlossen, aber in der Jahreszeit mit deutlich erhöhter Lust auf Süßigkeiten muss natürlich auch die Herstellung von Pralinen, Konfekt und Schokolade gut geplant sein, Zutaten besorgt und Bestellungen abgearbeitet werden. „Ich komme kaum dazu, selbst in der Manufaktur zu arbeiten“, sagt die Gründerin der Biopatisserie Gleem. Für sie ist das wie Erholung. Tagelang tüftelt sie manchmal an Rezepten für ihre ungewöhnlichen Köstlichkeiten. So wie an einer neuen Variante ihres Dominosteins, dem sie den zarten Geschmack von Pflaumen mitgeben will.

„Ich mache klassische Patisserie, aber verwende nur naturbelassene Zutaten“, sagt Gliemer. Zucker, Ei, Mehl, Milch, künstliche Zusatzstoffe – alles was normalerweise zu süßen Sachen gehört, kommt bei ihr nicht in die Schüssel. Motto: Weniger ist mehr – und natürlich bio. Ihre Süßigkeiten sind vegan, laktose- und glutenfrei und zudem ohne Alkohol. Jetzt hat sich die 29-Jährige in ihrer Produktionsküche in einem großen Backsteinkomplex auf der Peute eine Schürze umgebunden und auf den Edelstahltisch einen Sack mit rohem Kakao gestellt, dazu Kakaobutter, Mandeln, Dattelpaste – und ein Fläschen Pflaumenkernöl. Alles, was sie verarbeitet, ist so roh wie möglich.

Süßes ohne schlechtes Gewissen genießen

„Mein Ansporn ist, dass man Süßes ohne schlechtes Gewissen oder Gedanken an Unverträglichkeiten genießen kann“, sagt die Gründerin und schüttet große Kakaobrocken in eine Schüssel. Daraus macht sie den Schoko-Überzug für die neuen Dominosteine. Sechs Stunden dauert es, bis die Masse in mehreren Schritten richtig temperiert ist. In der Zeit produziert die schlanke Frau mit dem stylischen Kurzhaarschnitt das dreischichtige Innenleben des Klassikers unter den Weihnachtskonfekten. Wenn sie zwischendurch von ihrem Arbeitsplatz aufschaut, sieht sie durchs Fenster turmhohe Containerstapel und manchmal auch die Nor­derelbe dahinter.

Gleem gibt es seit 2015. Eigentlich ist Anna Gliemer Betriebswirtin, nach Hamburg kam sie wegen eines Jobs. Schon immer waren süße Sachen eine Passion der Tochter einer Ernährungsberaterin, die in einem zuckerfreien Haushalt aufgewachsen ist. Doch damit war vor einigen Jahren unvermittelt Schluss. „Bei mir wurden mehrere Unverträglichkeiten festgestellt, unter anderem gegen Gluten, Milch- und Hühnereiweiß“, erinnert sie sich. Sie fing an, nach Alternativen zu suchen, und kreierte selbst Süßigkeiten aus Zutaten, die sie vertrug.

Sie machte ihr Hobby zum Beruf

Vor gut drei Jahren beschloss sie, ihr Hobby zum Beruf zu machen. Mit ihren Ersparnissen, 7500 Euro aus einer Crowdfunding-Kampagne und mit Unterstützung ihres damaligen Lebenspartners startete sie in die Selbstständigkeit. Monsieur Chocolat nannte sie ihre erste Praline. Zu den frühen Kreationen gehört auch der Franz, eine Art Franzbrötchen-Praline. „Das musste sein, weil ich das Original ja nicht essen kann.“ Inzwischen hat sie 16 Produkte im Sortiment. Es gibt Pralinen mit Hanf oder mit Haselnuss in der Mitte. Und Schokoladen mit Honig statt Zucker.

Inzwischen hat Fachfrau fürs gesunde Süße die untere Lebkuchenschicht, die sie aus Dattelmasse, Kokosraspeln und Gewürzen herstellt, auf einem Blech vorbereitet. „Dann kommt mein vegetarisches Marzipan, das ich mit einem Pflaumenkernöl verfeinere, und darauf eine Fruchtcreme.“ Um die Produktionsmengen zu schaffen, beschäftigt sie in den drei Monaten vor Weihnachten drei Mitarbeiterinnen. Und sie hat eine Maschine für den Schoko-Überzug angeschafft. „Statt 400 Pralinen und Konfektstücke am Tag schaffen wir damit 1500“, sagt sie. Viele andere Maschinen hat ihr Ex-Freund entwickelt und gebaut.

Japanische Salzpralinen

Obwohl die Biopatisseurin inzwischen einen exzellenten Ruf bei Kunden und in der Branche hat und mit Köchen zusammenarbeitet, darunter Sternekoch Jens Rittmeyer aus Buxtehude, ist das Geschäft harte Arbeit – auch bei Preisen von 20 Euro für eine Schachtel mit neun Pralinen. „Die Entwicklung ist positiv“, sagt sie. 2015 ist sie mit einem Umsatz von 5000 Euro gestartet. Im vergangenen Jahr hat sie allein in den letzten drei Monaten 17.000 Euro umgesetzt. „Und in diesem Jahr hatte ich im Juli schon so viel erlöst wie im ganzen Vorjahr“, sagt Gliemer. Trotzdem arbeitet sie nebenbei noch in einem Teilzeitjob. „Ich bin sehr sicherheitsbewusst“, sagt sie.

Und kreativ. Das Blech mit dem Domino-Schichtwerk muss ruhen, bevor es in die typischen Würfel geschnitten wird. Wenn spätabends noch Licht brennt in der Veddeler Produktionsküche, probiert Anna Gliemer mal wieder neue Rezepturen aus. Gerade hat sie eine japanische Salzpraline entwickelt mit einem Kern aus der Salzpaste Miso, Soja und Reis. Und auf Wunsch vieler Kunden testet sie eine Mohn-Praline mit weißer Schokolade. Ihre Kreationen, sagt sie, erzeugen eine andere Zufriedenheit. „Eine reicht.“ Meistens.

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