Hamburg. Hamburger Start-up Gaia fertigt Frischhaltefolie aus Wachstuch an und freut sich über große Nachfrage. Mehrere Anbieter im Norden.
Beim Thema Nachhaltigkeit wird Lucas Grunhold schnell grundsätzlich. „Man kann so viel Plastikmüll vermeiden“, sagt er, „vor allem, wenn Plastik nur kurz benutzt wird.“ Klingt vernünftig – und das ist es dann meistens. Aber Grunhold wollte sich nicht mit Reden zufriedengeben, sondern etwas tun. Einsparpotenzial offenbarte schon der Blick in den Kühlschrank seiner Wohngemeinschaft. Frischhaltefolie etwa, braucht man die? Über eine Bekannte hatte er kurz zuvor Bienenwachstücher als Alternative zum Verwahren kennengelernt. „Das hat mich überzeugt, weil es natürlicher und mehrfach verwendbar ist“, sagt der Hamburger. Im Sommer startete er in der WG-Küche die erste Produktion für Eigenbedarf und Bekanntenkreis. Inzwischen hat Grunhold eine Firma gegründet und stellt mit einem kleinen Team bis zu 500 Tuchsets in der Woche her.
Der stetig wachsende Berg an Plastikmüll in Deutschland ist gerade ein großes Thema. 24,9 Kilo Kunststoffverpackungen sammeln sich laut Umweltbundesamt bei jedem Deutschen im Jahr – nur beim privaten Verbrauch. Das ist natürlich eine rechnerische Größe, aber sie macht das Problem deutlich. Ein Teil wird recycelt, gerade beim Plastikabfall ist es allerdings deutlich weniger als die Hälfte. Die Folge: Mikroplastik belastet zunehmend unsere Umwelt, vergiftet die Ozeane und rückt uns über Kosmetik und Essen immer näher. Grunhold, Student an der Lüneburger Leuphana-Universität im Fach Kulturwissenschaften mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit, weiß natürlich, dass sich die Welt nicht mit handgefertigten Wachstüchern retten lässt, aber er sagt: „Frischhaltefolie ist ein Thema, bei dem jeder schnell und einfach etwas tun kann.“
Bienenwachs schützt vor Bakterien
Der 28-Jährige steht in einem kleinen Arbeitsraum in einem Bürokomplex unweit der Deichtorhallen. Ballen mit Bio-Baumwolle aus Indien und Kirgistan lagern hier. In einem Behälter hat er Bienenwachs mit Jojoba-Öl und Baumharz geschmolzen. Auf der Arbeitsplatte daneben liegen Pinsel und Stoffbahnen bereit. „Man trägt das Gemisch auf den Stoff auf, dadurch schließen sich die Poren“, erklärt Lucas Grunhold. Seine Gaia Wraps, benannt nach dem altgriechischen Begriff für die Erde, sind – außer aus Harz – ausschließlich aus biozertifizierten Materialien. Das Wachs schützt vor Bakterien, das Öl gegen Pilze und UV-Strahlung. „Die Tücher sind atmungsaktiv und halten unterschiedliche Lebensmittel frisch“, sagt der Gründer, der sein Start-up inzwischen mit Paol Groß und Karla Janssen auf Minijob-Basis betreibt.
Schon die Generation unserer Urgroßmütter hat Wachstücher genutzt. Aber der Siegeszug der Cellophanfolie, die der Schweizer Chemiker und Textilingenieur Jacques E. Brandenberger 1908 erfunden hat, verdrängte die wiederverwendbaren Tücher aus den Küchen. Erst in den vergangenen Jahren haben – angefangen in den USA – kleine Hersteller die umweltfreundliche Idee wiederbelebt. Mit den Wachstüchern lassen sich unter anderem Schüsseln abdecken, man kann Käse und Brot darin einwickeln oder auch frische Kräuter aufbewahren. Nach dem Gebrauch einfach abwischen und für was Neues nutzen. Inzwischen hat sich die Frischhalte-Alternative zum Trend entwickelt. Alle paar Wochen tauchen neue Anbieter auf dem Markt auf.
"Der Absatz hat sich innerhalb eines Jahres verdoppelt“
Maike Palm und Dunja Kremkus von der Firma Hellogreen aus Halstenbek gehörten zu den Ersten auf dem deutschen Markt. „Wir haben vorher Smoothies hergestellt und uns deshalb mit nachhaltiger Verpackung beschäftigt“, sagt Maike Palm, die im Hauptberuf Grafikdesignerin ist. Seit vergangenem Jahr produzieren sie ihre buntgemusterten Wachstücher unter der Marke BeeGoodies. „Warum soll es nicht auch im Kühlschrank fröhlich sein“, sagt die 51-Jährige, die alle sechs Monate eine neue Kollektion entwirft. Produziert werden die BeeGoodies von einem Kreis freier, zumeist älterer Mitarbeiterinnen im Hamburger Umland. Die Tücher sind laborgeprüft und für den Lebensmittelkontakt zertifiziert.
„Der Absatz hat sich innerhalb eines Jahres verdoppelt“, sagt Palm. Genauere Zahlen will sie nicht nennen. Die Smoothie-Produktion haben die Gründerinnen inzwischen eingestellt. Ihre Tücher sind im Onlineshop und inzwischen in mehr als 300 Geschäften bundesweit erhältlich. Es gibt sie in verschiedenen Größen und Sortierungen ab 14,95 Euro. Erhältlich ist auch eine zu einer kleinen Tasche – für Nüsse oder anderes – gefaltete Variante für 5,95 Euro. Die Preise sind wie bei allen Anbietern vergleichsweise hoch. „Es sind eben keine Wegwerfartikel“, sagt Palm. Wenn die Tücher sorgsam behandelt, nur mit warmen Wasser und mit wenig Spülmittel abgewischt werden, können sie bis zu zwei Jahre halten. Allerdings sollte man besonders geruchsintensive Lebensmittel, wie Knoblauch oder auch rohes Fleisch oder Fisch, nicht darin verpacken. Auch in die Waschmaschine gehören sie nicht, weil dann das Wachs schmilzt.
Grunholds Team arbeitet an Schüsseln aus Wachstuch
Im verpackungsfreien Laden Stückgut mit Filialen in Ottensen und in der Rindermarkthalle wird die Folien-Alternative gut verkauft. „Immer mehr Kunden fragen danach“, sagt Geschäftsführerin Insa Dehne. Stückgut führt sogar verschiedene Anbieter, darunter die Hamburger Marken BeeGoodies und demnächst die Bio-Tücher von Gaia. „Es ist ein sinnvoller Ersatz für Plastik“, sagt Dehne. Auch in der Verbraucherzentrale gibt es Beifall für die Müllvermeidung. „Die Idee ist gut, weil jeder das Problem hat, frische Lebensmittel zu verwahren“, sieht Lebensmittelexpertin Silke Schwartau die Nutzung der Bienenwachstücher als Mittel zur Bewusstseinsschärfung. Parallel arbeiten Forscher an der Entwicklung von Plastikersatz, der sich in der Natur abbaut.
Lucas Grunhold ist mit seinen eher schlicht gehaltenen Gaia-Tüchern binnen weniger Monate schon in 50 Läden bundesweit vertreten. „Wir haben viele Anfragen“, sagt der Jung-Unternehmer – trotz Preisen ab 16,95 Euro, inklusive 50-Cent-Spende an das Projekt Stop Micro Waste. Unter anderem haben er und seine Mitstreiter eine Weihnachtsedition für den Online-Marktplatz Avocadostore entwickelt, der ausschließlich Öko-Produkte vertreibt. Auch bei der – wenig nachhaltigen – Fashionkette „Kauf dich glücklich“ gibt es die umweltfreundlichen Einschlagtücher. Die Gaia-Crew hat gerade vor allem das Problem, mit der Produktion hinterherzukommen. „Wir bauen jetzt an einer Maschine, um schneller zu werden und dadurch auch billiger“, sagt Grunhold. An Ideen mangelt es nicht. In der Entwicklung sind Beutel und Überziehhauben für Schüsseln aus Wachstuch – um noch mehr Plastik sparen zu helfen.