Hamburg. Die Zahl der Starts und Landungen am Flughafen Hamburg nach 23 Uhr ist um fast 30 Prozent gestiegen. Ein Grund: Es fehlen Lotsen.

Flugverspätungen werden immer mehr zum Ärgernis. In Hamburg sorgt vor allem die zunehmende Zahl von Starts und Landungen nach 23 Uhr für Unmut bei den Menschen, die in den vom Fluglärm betroffenen Stadtteilen wohnen. Doch auch über die Hansestadt hinaus gibt es gerade in den Sommermonaten immer häufiger Pro­bleme wegen verspäteter Flüge und langer Wartezeiten für die Passagiere am Boden. Denn der Luftraum ist überfüllt.

Wegen solcher Schwierigkeiten haben Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) für den 5. Oktober zu einem Luftfahrtgipfel nach Hamburg eingeladen. Außerdem hat der Umweltausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft vor zwei Wochen einen 21 Punkte umfassenden Fluglärmschutzplan verabschiedet. Wenn das Plenum – wie erwartet – am 26. September ebenfalls zustimmt, muss der Senat tätig werden.

Tendenz steigt

Der Plan zielt darauf ab, die Zahl der unter die sogenannte Verspätungsregelung fallenden Flugbewegungen zwischen 23 und 24 Uhr einzudämmen – auch wenn sich die Regierungskoalition aus SPD und Grünen nicht darauf einigen konnte, die Regelung konkret zu verschärfen. Man will lediglich besser darauf achten, dass die Airlines die Regelung nicht so leichtfertig wie bisher in Anspruch nehmen.

Denn die Tendenz zeigt stetig nach oben. 2014 waren es 571 Maschinen, die in der letzten Stunde des Tages starteten und landeten. Im vergangenen Jahr waren es mit 1038 fast doppelt so viele. Von Januar bis August waren es schon 876 sogenannte verspätete Flüge. Das waren knapp 28 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. „Das Ziel muss es sein, bei den Flugbewegungen zwischen 23 und 24 Uhr auf jeden Fall unter die magische Zahl 1000 zu kommen“, sagt Flughafen-Chef Michael Eggenschwiler dem Abendblatt.

Und letztlich habe „nur ein sehr kleiner Teil der Verspätungen von vier oder fünf Prozent seine Ursache hier in Hamburg“. Aber warum steigt die Zahl der Verspätungen dann? Die Fluglinien müssen jede Flugbewegung zwischen 23 und 0 Uhr begründen. Auf Anfrage des Abendblattes schlüsselte Hamburg Airport die Verspätungsursachen für die ersten acht Monate auf – das Ranking und die Hintergründe.

Flugsicherung: 316-mal wurde die Flugsicherung als Verspätungsgrund angegeben (siehe Grafik). In Hamburg startete und landete also mehr als jedes dritte Flugzeug wegen einer Überlastung des europäischen Luftraumes zu spät. Global wächst der Flugverkehr seit Jahren kräftig. Seit 2014 lag das Wachstum in Europa bei mindestens 4,6 Prozent pro Jahr, im vergangenen Jahr sogar bei 8,2 Prozent. Da Deutschland im Herzen Europas liegt, führt ein Drittel der Flüge über die Bundesrepublik. Im vergangenen Jahr kontrollierte die Deutsche Flugsicherung (DFS) 3,2 Millionen Flüge – so viele wie nie zuvor. Tendenz in diesem Jahr: weiter steigend.

Mit einem so starken Wachstum des Luftverkehrs war nicht gerechnet worden. Um ausreichend Fluglotsen zu haben, werden über Jahre Ausbildungspläne entwickelt. Der Bedarf wurde in der Vergangenheit zu niedrig angesetzt, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Cord Schellenberg: „Es gibt europaweit Personalengpässe bei den Flugsicherungen.“ Diese lassen sich nicht ad hoc beheben. Zumal es schwierig sei, Nachwuchs zu finden. Früher hätten bei Fluglinien abgelehnte Pilotenbewerber auf Fluglotse umgesattelt, heute sei Pilot wieder ein gesuchter Beruf.

Hinzu kommen politische Herausforderungen. Die Türkei, Ägypten und Tunesien haben als touristische Ziele an Bedeutung verloren, Spanien gewonnen. Nun ballen sich die Flugbewegungen in die Südwestecke Europas, die kontrolliert werden müssen. Ein Großteil dieser Flüge führt über Frankreich – und die Fluglotsen der Grande Nation sind streiklustig. Mehrere europäische Airlines beschwerten sich deswegen Ende Juli bei der Europäischen Kommission. In diesem Jahr hätte die Zahl der Streiks dort verglichen mit 2017 um 300 Prozent zugenommen, hieß es.

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Die British-Airways-Mutter IAG, Ryanair, Easyjet und Wizz Air sind der Meinung, dass Frankreich gegen EU-Recht verstößt, weil das Land bei Streiks – im Gegensatz zu Griechenland und Italien – keine Überflüge ermöglicht. Streiken französische Fluglotsen, laufen alle Flüge gen Iberische Halbinsel über Deutschland und die Schweiz. „Streichungen und stundenlange Verspätungen sind dann zwangsläufig“, sagt Schellenberg.

Zudem haben sich durch die Insolvenzen von Air Berlin, Monarch und Alitalia Routen verschoben, andere Airlines übernahmen Flugzeuge und Strecken, setzten aber auch andere Schwerpunkte und steuerten andere Ziele an. Insgesamt agieren die Fluggesellschaften spontaner und machen eine Planung schwieriger.

„Es muss einen einheitlichen Luftraum in Europa geben. Das muss eine Kernforderung Deutschlands werden, damit man sie in Brüssel hört“, gibt Schellenberg eine Handlungsempfehlung für den Hamburger Gipfel ab. Läge die Flugsicherung in einer Hand, gäbe es nur ein technisches System und die Planung sei einfacher. Zwar würden Jets weiterhin beim Verlassen beziehungsweise Eintreten in neue Sektoren an die dafür zuständigen Fluglotsen übergeben werden, aber die Abstimmung sei viel einfacher als in der zersplitterten Struktur der 28 EU-Mitgliedsstaaten.


Umlaufverspätung: 17 Prozent der Airlines begründeten ihre Verspätung mit der Tagesrotation. Flugzeuge legen am Tag mehrere Strecken zurück. Beispielsweise fliegt eine Maschine morgens von Köln nach Kos, von dort nach München. Der dritte Flug geht nach Antalya und der vierte aus dem türkischen Badeort nach Hamburg. Kommt es morgens zu einer Verspätung, etwa weil ein Fluggast nicht erscheint und sein bereits verladener Koffer aus Sicherheitsgründen wieder entladen werden muss, kann dies zu Verzögerungen führen.

Die Maschine verliert ihren Startslot und muss warten. Am Zielort sind die Gepäckentlader wegen der Verspätung schon an der nächsten Maschine. Schaut sich anschließend noch der Zoll das Gepäck genau an, summieren sich die Minuten schnell. „Eine größere Verspätung am Vormittag kann im Tagesverlauf nicht ausgeglichen werden“, sagt Schellenberg. Zumal Standzeiten am Boden kurz gehalten werden, denn ein Flugzeug verdient nur in der Luft Geld. Reservejets und -crew halten Airlines aus Kostengründen auch nur begrenzt vor.

Wetter: Jedes siebte Flugzeug gab das Wetter als Verspätungsgrund an. Im Winter müssen Flugzeuge enteist, bei Schneefall Pisten immer wieder geräumt werden. Im Sommer sorgen vor allem Gewitter für Verzögerungen. Am Hamburger Flughafen wird die Be- und Entladung der Maschinen bei Blitz und Donner aus Sicherheitsgründen eingestellt. Aber auch extreme Wetterlagen in anderen Städten haben Auswirkungen auf die Flugplanung in Fuhlsbüttel. Anfang August stellte der Frankfurter Flughafen wegen eines Gewitters vor­übergehend den Betrieb ein. Je vier Ankünfte vom und Abflüge zum größten deutschen Flughafen fielen aus, andere verspäteten sich. In der Luft kann starker Gegenwind das Tempo drosseln. Oder es sorgen Umwege für einen längeren Flug, beispielsweise weil Gewitterzellen umflogen werden müssen.


Technik: Gut jeder zehnte Flug verspätete sich wegen technischer Probleme. „Grundsätzlich hat die Sicherheit in der Luftfahrt Priorität“, sagt der Fachmann Heinrich Großbongardt. Gibt es ein Problem mit Bordcomputer oder Triebwerk, muss dieses vor dem Start behoben werden. Für die Reparatur gehen schnell 15 bis 20 Minuten ins Land.


Crew: In 7,8 Prozent der Fälle war das Bordpersonal schuld. Darunter fallen der erkrankte Co-Pilot. Und die Stewardess, die auf der Passagiertreppe umknickt und ausfällt. Oder die Crew wird von einem anderen Airport eingeflogen – und der Zubringerflug landet zu spät.


Abfertigung: Sechs Prozent der Flüge kamen zu spät, weil es Probleme mit dem Gepäck gab. Kommen Maschinen zu früh oder zu spät, wirkt sich das auf die Be- und Entladung aus. Das dafür eingeteilte Personal steht entweder noch nicht oder nicht mehr für das Abfertigen zur Verfügung. Es muss umgeplant werden, das kostet Zeit. Natürlich können auch Krankheiten bei dem kräftezehrenden Job im Flugzeugbauch zu Personalengpässen führen.


Sicherheit: 2,2 Prozent der Verspätungen beruhten auf sicherheitsrelevanten Aspekten. Dazu gehört ein Personalmangel in dem Bereich oder der Koffer, der wieder ausgeladen werden muss, weil der Passagier nicht an Bord geht. Oder Sicherheitspannen wie in diesem Sommer an mehreren Flughäfen. In München gelangte eine Person in den Sicherheitsbereich ohne Kontrolle. Das Terminal wurde gesperrt, es gab massive Streichungen und Verspätungen.


Streiks: Mit sieben Maschinen spielten Arbeitsniederlegungen – wer hätte das gedacht – kaum eine Rolle.