Hamburg. Bald will die Firma SkySails mit neuartigen Höhenwindanlagen auf den Markt kommen. Sie sollen selbst bei Taifun arbeiten können.
Manchmal kommt eine gute Idee einfach zur falschen Zeit. So ging es Stephan Wrage mit seiner 2001 gegründeten Firma SkySails. Als die großen Zugdrachen, die beim Antrieb von Frachtschiffen helfen und Treibstoff sparen sollten, einige Jahre später fertig entwickelt waren, hatten die Reedereien Dringenderes zu tun, als sich mit dem Konzept zu befassen – sie steckten mitten in der Krise. Zudem war inzwischen der Ölpreis abgestürzt. So war SkySails gezwungen, Anfang 2012 die Belegschaft auf 40 Personen zu halbieren.
Doch die Hamburger Firma konnte sich über Wasser halten. „Wir haben schon 2011 begonnen, uns auf neue Geschäftsfelder auszurichten, weil wir gesehen haben, dass die Schifffahrtskrise länger dauern wird als zunächst angenommen“, sagt Wrage. Bereits seit 2005 hatte sein Team eine Software, mit der sich der Einsatz von Schiffen in Abhängigkeit von Wetter, Treibstoffpreis und vielen anderen Daten optimieren lässt, parallel zu den Segeln mitentwickelt.
Schiffe beschleunigt
„Dieses Geschäft läuft sehr erfreulich, die Software ist auf mehr als 150 Schiffen im Einsatz“, sagt der Ingenieur. Er hat zudem für seine Großdrachen neue Anwendungsfelder gefunden: „Inzwischen haben wir eine erste Yacht damit ausgerüstet.“ Es ist die 33 Meter lange „Race for Water“, die aktuell für die gleichnamige Stiftung die Erde umrundet und dafür wirbt, die Verschmutzung der Meere durch Plastik zu bekämpfen. „Die Mannschaft ist begeistert vom neuartigen Antrieb“, so Wrage. „Allein mit dem 40-Quadratmeter-Segel kann die Yacht acht Knoten (rund 14 Kilometer pro Stunde) schnell fahren.“ Derzeit sei man in Gesprächen über „einige interessante Projekte“ im Yacht-Bereich: „Eine solche Installation kostet mindestens 150.000 Euro, wobei der Preis sehr stark vom Einzelfall abhängt.“
Höhere Luftschichten nutzbar
Ein wesentlich größeres Geschäft erwartet sich Wrage, dessen Firma in Hamburg-Hamm ihren Sitz hat, aus einer noch ungewöhnlicheren Anwendung: „Wir hatten schon 2005 die Idee, dass man mit dem Segel auch Strom erzeugen kann. Heute sehen wir für dieses Konzept eine sehr starke Nachfrage.“ Denn die überdimensionalen Lenkdrachen hätten entscheidende Vorzüge gegenüber konventionellen Windenergieanlagen: „Drachen können höhere Luftschichten mit energiereicheren und stabileren Windgeschwindigkeiten zur Stromgewinnung nutzbar machen“, sagt Wrage.
Und so soll es funktionieren: Zum Start wird der zusammengefaltete Drachen am Start- und Landemast auf rund 20 Meter Höhe gehoben. Dort entfaltet er sich zu voller Größe und wird gestartet. Um Energie zu erzeugen, rollt der Drachen beim Aufsteigen das Zugseil von einer Winde ab, die mit einem Stromgenerator verbunden ist. Ist die maximale Seillänge erreicht, beginnt die Rückholphase: Der Zugdrachen wird automatisch in eine Position geflogen, in der seine Zugkraft nur noch gering ist. Der Stromgenerator arbeitet nun als Motor und rollt das Seil wieder auf, bis die nächste Steigflugphase beginnt. Beim Aufrollen wird nur ein Bruchteil der in der Leistungsphase erzeugten Energie verbraucht.
Flugmanöver ist patentiert
„Ein kompletter Zyklus dauert ungefähr zwei Minuten, wobei sich der Drachen in einem Höhenband zwischen 100 und 800 Metern bewegt“, erklärt der SkySails-Chef. „Das Flugmanöver für die Rückholphase haben wir uns patentieren lassen.“ Solche Höhenwindanlagen wirkten „optisch weniger störend“ als Windkraftanlagen mit Rotoren – zudem seien sie leiser. „Die Auswirkungen auf die Vogelwelt werden noch wissenschaftlich untersucht, aber nach ersten Einschätzungen schneidet der Drachen besser ab.“
Auch geeignet für Taifungebiete
Eine kleinere Anlage mit einer Kapazität von 200 Kilowatt und einem 60 bis 120 Quadratmeter großen Drachen werde rund 250.000 bis 350.000 Euro kosten, wobei das Kapitalkostenrisiko gering sei: „Die Bodenstation ist in einem 20-Fuß-Standardcontainer untergebracht, der an einen anderen Standort gebracht werden kann, wenn die Energieausbeute am ursprünglichen Ort nicht die Erwartungen erfüllen sollte.“ Nach Berechnungen von SkySails liegen die Stromerzeugungskosten pro Kilowattstunde im Bereich von vier bis sieben Cent, also etwa gleichauf mit herkömmlichen Windturbinen an Land. Im Hinblick auf potenzielle Standorte gebe es aber einen großen Unterschied, sagt Wrage: „Der Drachen ist auch geeignet für Taifungebiete – und 50 Prozent des weltweiten Strombedarfs fällt in Regionen an, in denen es Taifune gibt.“
All das ist nicht nur Theorie: „Im Probebetrieb sammeln wir schon seit Ende 2015 Erfahrungen mit Anlagenkapazitäten von 50 Kilowatt, seit Jahresbeginn 2018 nutzen wir als Teststandorte Klixbüll und Reinsbüttel in Schleswig-Holstein.“ Seit Ende Juni gehört SkySails zu den Teilnehmern eines vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Forschungsprojekts.
Mitarbeiter gesucht
Von 2020 an will die Firma erste teilautomatische Höhenwindanlagen mit 200 Kilowatt auf den Markt bringen. „Später wollen wir in den Megawatt-Bereich kommen“, so Wrage. Zum Vergleich: Die größten klassischen Windturbinen für den Onshore-Betrieb erreichen 7,5 Megawatt. Im Laufe des nächsten Jahrzehnts soll das Geschäft richtig Fahrt aufnehmen: „Ab 2023 planen wir mit einer dreistelligen Zahl von Höhenwind-Anlagen pro Jahr.“ Angesichts dieser Vorhaben wächst das Unternehmen auch wieder personell: „In den nächsten Monaten wollen wir die Mitarbeiterzahl auf etwa 50 Personen ausbauen.“
Bei allem Einsatz für die neuen Geschäftsfelder hat Wrage seine ursprüngliche Idee nicht abgeschrieben: „Wir sind überzeugt, dass der Einsatz von Zugsegeln für Frachtschiffe irgendwann wieder attraktiv werden wird – vielleicht mit der Einführung von neuen Emissionsstandards im Jahr 2020, vielleicht auch erst später.“