Hamburg. Hamburgs Handwerkskammerchef spricht über Terminengpässe für Kunden, Flüchtlinge in der Ausbildung und Brüsseler Bürokratie.

Es läuft gut im Hamburger Handwerk. Eher zu gut, mit Blick auf lange Wartezeiten der Kunden für gefragte Gewerke vom Fliesenleger bis zum Maßschneider. Hoffnung auf Änderung macht Kammerpräsident Josef Katzer nicht. Denn angesichts des Fachkräftemangels können Betriebe kaum expandieren. Langfristig setzt er auf Arbeitskräfte aus anderen Wirtschaftsbereichen, die durch Digitalisierung und Automatisierung freigesetzt werden.

Auf welche handwerkliche Dienstleistung mussten Sie zuletzt am längsten warten?

Josef Katzer: Es war der Heizungsbauer, der in meiner Gebäudereinigungsfirma die Heizung erneuert hat. Die Wartezeit lag bei vier Monaten. Das ist für Bau- und Ausbaugewerke wie Dachdecker, Installateure oder Maler in Hamburg nicht ungewöhnlich, weil an jeder Ecke gebaut wird.

Wie sieht es bei Ihrer eigenen Firma aus?

Katzer: Wenn Sie im Privathaushalt eine Reinigung wünschen, dann kann ich frühestens von Dezember an ein Angebot unterbreiten. Das Problem mit langen Wartezeiten gibt es nicht nur bei Bau- und Ausbaugewerken. Auch bei Schneidern, Gärtnern oder Tischlern ist die Wartezeit lang. Solange die Konsumkonjunktur so gut bleibt, wird sich an der Lage auch nicht viel ändern.

Können die gefragten Gewerke nicht expandieren?

Katzer: Das ist häufig eine Frage des Personals – und das ist knapp. Wenn ein Betrieb expandiert, dann nimmt er einem anderen die Fachkräfte weg. Das gilt nicht nur innerhalb des Handwerks, sondern in der gesamten Wirtschaft. Denn gut ausgebildete Handwerker sind auch in der Industrie oder im Handel gefragt.

Können nicht Flüchtlinge beim Fachkräftemangel helfen?

Katzer: Wir steigern seit Jahren die Zahl der Lehrlinge im Handwerk, auch dank der Flüchtlinge. Sie haben inzwischen einen Anteil von rund zehn Prozent an den neuen Auszubildenden des vergangenen Jahres. Verglichen mit anderen Wirtschaftsbereichen stehen wir damit ganz vorn. Dieser Anteil wird sich aber kaum noch steigern lassen. Denn einen Großteil der Flüchtlinge werden wir nicht in unsere Ausbildung integrieren können. Das liegt nicht nur an Vorkenntnissen, sondern auch an ihrer Haltung zur dualen Ausbildung, die sie natürlich nicht kennen.

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich maximal ein Drittel für die duale Ausbildung begeistern kann. Erst drei Jahre lernen, bevor man Geld verdienen kann, das ist für die Mehrheit kein akzeptabler Weg, weil sie mit ganz anderen Erwartungen hierhergekommen sind. In einem Projekt, das die Handwerkskammer zusammen mit der Stadt organisiert hat, haben von 35 Teilnehmern 22 die Ausbildung wieder abgebrochen, obwohl sie mit ihrer Arbeit in den Betrieben sehr gut angekommen waren. Die 22 Syrer haben bei anderen Firmen als Helfer angeheuert, um schnell Geld zu verdienen. Auch das müssen wir akzeptieren.

Was sind die größten Herausforderungen für das Handwerk?

Katzer: Das bleibt der Fachkräftemangel. Aber wir müssen versuchen, ihn auch mit anderen Mitteln zu kompensieren, damit mehr Zeit für die Arbeit beim Kunden bleibt. Hier müssen die Möglichkeiten der Digitalisierung besser genutzt werden, innerhalb wie außerhalb des Handwerks. Es ist ja eher zu erwarten, dass die gesamte Wirtschaft durch Digitalisierung und Automatisierung zukünftig Arbeitskräfte freisetzt, die dann auch im Handwerk dringend benötigt werden. Viel Zeit verschwenden unsere Handwerker auf Hamburgs Straßen im Stau. Mit intelligenter Verkehrsleittechnik lässt sich das ändern.

Auch kann es nicht sein, dass Baustellen eingerichtet werden, ohne dort auch zu arbeiten. Im Handwerk muss die Digitalisierung genutzt werden, um etwa Arbeitsbereiche abseits vom Kunden zu automatisieren, etwa in der Lagerwirtschaft. Es gibt auch schon Roboter, die völlig selbstständig eine Turnhalle reinigen, nur die Anschaffungskosten sind für das Handwerk noch zu hoch. Durch die hohe Steuerbelastung fehlt dem Handwerk die Möglichkeit, in moderne Technologien zu investieren. Deutschland fehlt es generell an einer Digitalisierungsstrategie. Da kann man vom kleinen Handwerksbetrieb kaum erwarten, dass er hier zum Schrittmacher wird.

Anderes Thema: Sie sprechen sich für eine Reform der Meisterberufe aus – warum?

Katzer: Für uns ist es ganz wichtig, dass die Bundesregierung in bestimmten Handwerksberufen den Meisterbrief wieder zur Voraussetzung für eine selbstständige Tätigkeit machen will. Die Abschaffung der Meisterpflicht für 53 der 94 Handwerksberufe war ein großer Fehler. Wo es keine Meisterpflicht mehr gibt, ist die Ausbildung im Schnitt um 40 Prozent zurückgegangen. Noch dramatischer ist der Verlust an Wissen in Berufen wie Fliesenleger, Uhrmacher, Gold- und Silberschmiede oder Maßschneider, um nur einige Beispiele zu nennen.

Das über Generationen aufgebaute Wissen geht verloren, wenn es immer weniger oder gar keine Azubis mehr gibt. Denn dann gibt es wiederum weniger Berufsschullehrer, weniger Fachliteratur und eben weniger Wissenstransfer. Der Qualitätsanspruch des Handwerks braucht den Meisterbrief. Das zeigt auch die Überlebensfähigkeit neu gegründeter Betriebe. Die ersten fünf Jahre überstehen 70 Prozent der Unternehmen mit Meister. Ohne Meister ist es nur ein Drittel. Grundsätzlich sind die Meisterbetriebe deutlich erfolgreicher, beschäftigen mehr Mitarbeiter und bilden mehr aus.

Bereitet Betrieben die EU-Datenschutz-Grundverordnung Probleme?

Katzer: Die meisten Betriebe sind sicher noch nicht darauf eingestellt. Es muss ein irrsinniger Aufwand betrieben werden, um auf allen Ebenen zu ermitteln, welche Daten irgendwann einmal von einem Kunden gespeichert wurden. Das Gesetz sollte Google und Facebook treffen, für die Handwerksbetriebe ist es völlig unangemessen. Die EU macht den Handwerksbetrieben das Leben schwer, nicht nur mit der neuen Datenschutzverordnung. Zum Glück konnten wir abwenden, dass fast jedes Handwerkerauto einen Fahrtenschreiber bekommen muss. Überlange Lenkzeiten sind für Handwerker kein Thema, meist fahren sie nur zu den Kunden. Was die Verwaltung sich in Brüssel ausdenkt, geht an den Interessen des Mittelstands völlig vorbei und ist ein Wachstumshindernis.

Hamburgs Handwerk schneidet oft besser ab als im Bundesdurchschnitt, gewinnt zum Beispiel mehr Lehrlinge – wieso?

Katzer: Wir haben bei der Imagekampagne des Handwerks in den vergangenen Jahren richtig Gas gegeben und zusätzlich jährlich eine Million Euro investiert. Deshalb erscheinen die Motive der vom Zentralverband des Handwerks organisierten Kampagne in der Hamburger Öffentlichkeit viel häufiger und verfehlen ihre Wirkung nicht. Das Hamburger Handwerk hat ein modernes Image, und 18 Prozent der Azubis sind Abiturienten. Das ist bundesweit ein Spitzenwert.

Jeder dritte Betrieb sucht einen Nachfolger. Wie kann die Übergabe gelingen?

Katzer: Dazu haben wir eine kompetente Betriebsberatung, die wir außerdem noch ausbauen wollen. Das kann aber auf breiter Front nur gelingen, wenn sich die Atmosphäre für Gründer und Selbstständige verbessert. Die Gesellschaft muss zeigen, dass ihr das wichtig ist. Daran fehlt es noch. Die Kinder der Gründer wollen meist andere Wege gehen, als den Familienbetrieb zu übernehmen und bei jungen Leuten außerhalb der Familie muss noch das Interesse geweckt werden. Die Chancen, eine gut geführte Firma zu übernehmen, waren noch nie so gut wie jetzt.