Hamburg. 5000 Hamburger Firmen brauchen in den nächsten zehn Jahren neue Chefs. Es gibt viele Probleme – Übergabe kann aber gelingen.
Nach gut 100 Jahren wäre das Schicksal der Vollkornbäckerei Schacht beinahe besiegelt gewesen. Hans Schacht, dessen Großvater den Betrieb 1913 in Duvenstedt gegründet hatte, wollte mit 67 Jahren in den Ruhestand gehen. Er führt einen kleinen Betrieb, hat keine weiteren Filialen und spürt den stetig wachsenden Wettbewerb durch Discounter, die immer mehr Backwaren anbieten.
Diese Ausgangslage spricht auf den ersten Blick nicht gleich für eine Übernahme. „Ich habe die Kinder nie gedrängt, in den Betrieb einzusteigen“, sagt Hans Schacht. Denn das Geschäft sei zuletzt immer schwieriger geworden. Doch seine beiden Söhne sahen das anders. „Auch kleine Betriebe können erfolgreich sein, und wir haben noch einiges vor“, sagt Hans-Christian Schacht, der Konditormeister und Betriebswirt ist. Zusammen mit seinem Bruder Matthias betreibt er nun die Bäckerei in der vierten Generation.
Jeder dritte Betriebsinhaber älter als 55 Jahre
Häufig läuft es nicht so glatt. Viele Handwerksbetriebe müssen aufgeben, weil sie keinen Nachfolger finden. Zahlen für die Vergangenheit gibt es zwar nicht, aber die Handwerkskammer Hamburg hat ein großes Nachfolgerproblem ausgemacht. Schon die demografische Entwicklung spricht dafür. In den vergangenen zehn Jahren ist der Anteil der über 55-jährigen Betriebsinhaber von 25 auf 33 Prozent gestiegen. So suchen in den kommenden zehn Jahren rund 5000 Handwerksbetriebe in Hamburg einen Nachfolger.
Doch die Zahl der Übernehmer sinkt nach einer Studie der KfW-Bank seit Jahren. Danach gibt es aktuell jährlich etwa dreimal so viele zur Übergabe bereite Unternehmer wie Übernahmegründer. „Jedes Handwerksunternehmen, das wegen fehlender Nachfolge schließt, ist eines zu viel“, sagt Josef Katzer, Präsident der Handwerkskammer Hamburg. „Denn etablierte Wertschöpfung und Beschäftigung gehen so verloren.“
„Frühzeitig einen Übergabefahrplan entwickeln“
Ein Problem sei, dass die Übernahme häufig zu spät angegangen wird. Die Suche nach einem Nachfolger gehört mit knapp 27 Prozent zu den größten Problemen bei einer Übergabe, geht aus einer Umfrage des Zentralverbands des deutschen Handwerks hervor. Erst dann kommen Probleme wie der Kaufpreis oder die Wirtschaftlichkeit der Firma. „Die Betriebe müssen frühzeitig einen Übergabefahrplan entwickeln“, sagt Katzer. Denn wenn der Nachfolger nicht aus dem Unternehmen oder der Familie kommt, kann das bis zu zwei Jahren dauern, einen zu finden.
Bei Familie Schacht war alles klar. „Wir sind mit der Bäckerei aufgewachsen, haben in den Schulferien schon mitgeholfen“, sagt Hans-Christian Schacht. „Ich kann mir nicht vorstellen, woanders als im eigenen Betrieb zu arbeiten.“ So sieht es auch sein Bruder. Jede Übernahme kann auch eine Chance sein. Das haben auch die Schacht-Brüder so gesehen. Wo jetzt noch das Büro ist, soll ein Café entstehen, um noch mehr Kunden anzuziehen. Damit soll auch ein besserer Rahmen für die traditionellen Torten der Bäckerei wie Schwarzwälderkirsch- oder Nussschokoladentorte geschaffen werden. Bisher konnte der Umsatz um 20 Prozent gesteigert und die Ausgaben um fünf bis zehn Prozent gesenkt werden. „Wir haben mit einem aggressiven Marketing neue Kunden wie Kindergärten und ein Tagespflegeheim gewonnen“, sagt Matthias Schacht.
Finanzielle Herausforderung
Die Arbeit in der Backstube teilen sich die Brüder. Halb drei fängt Matthias mit Brot und Brötchen an. Sein Bruder kommt eine Stunde später und schiebt die Brötchen in den Ofen, um sich dann um Kuchen und Torten zu kümmern. Nur am Sonntag wechseln sie sich in der Backstube ab, damit für jeden wenigstens jeder zweiter Sonntag frei ist. Verarbeitet wird nur Weizen- oder Roggenvollkornmehl „Wir benutzen keine Fertigmehlmischungen“, sagt Hans-Christian Schacht. Die Stammkunden schätzen 21 Brötchen- und zehn Brotsorten. In der Weihnachtszeit sind die vielen Kekssorten begehrt.
Jede Übernahme kann auch zur finanziellen Herausforderung werden. Innerhalb der Familie lässt sich das meist noch besser regeln, etwa durch Ratenzahlungen. Anders als viele Unternehmer hat Vater Schacht keine Herzblutrendite, wie überhöhte Kaufpreise bei Übernahmen genannt werden, gefordert, sondern sich lediglich Maschinen und Rohstoffe bezahlen lassen. „Das haben wir innerhalb der Familie gut geregelt“, sagt Hans-Christian Schacht. Für Außenstehende ist die Finanzierung einer Übernahme dagegen der Dreh- und Angelpunkt.
Höherer Kapitalbedarf als Neugründer
43 Prozent berichten nach einer Studie der Hamburgischen Investitions- und Förderbank (IFB) trotz der niedrigen Zinsen von Finanzierungsschwierigkeiten. Viele Banken tun sich schwer mit der Finanzierung solcher Übernahmen. Zudem haben Übernahmegründer einen deutlich höheren Kapitalbedarf als Neugründer. Denn die Betriebe sind ja bereits voll ausgebaut. In Hamburg gibt es bei der Übernahme von Betrieben Unterstützung von der IFB.
„Wir haben im vergangenen Jahr 300 Übernahmen für insgesamt 29 Millionen Euro mit zinsgünstigen Krediten unterstützt“, so ein IFB-Sprecher. Im Vergleich zum Vorjahr ist das beim Volumen eine Steigerung um 20 Prozent. Voraussetzung für einen IFB-Kredit ist, dass die Bürgschaftsgemeinschaft das Übernahmekonzept für tragbar hält. In diesem Jahr wird sich die Kreditvergabe etwa auf Vorjahresniveau bewegen. Auch die Brüder Schacht haben sich einen Kredit der IFB für den Ausbau der Bäckerei gesichert.
Ältere Unternehmer ansprechen
Nach einer Studie der KfW-Bank erfolgen knapp 70 Prozent der Übernahmen innerhalb der Familie. „Doch die Handwerksmeister können sich nicht darauf verlassen, weil heute die Kinder oft andere Pläne haben“, sagt Katzer. Da es derzeit auch viele gut bezahlte Jobs im Angestelltenverhältnis gibt, sinkt auch die ohnehin nicht große Bereitschaft, sich selbstständig zu machen.
Zwar steigen die Beratungen zur Betriebsübernahme bei der Handwerkskammer, aber hier werden nur diejenigen erreicht, die die Übergabe selbst aktiv angehen. „Mit sogenannten Nachfolgemoderatoren wollen wir direkt ältere Unternehmer ansprechen, die nicht von sich aus die Beratung suchen“, sagt Katzer. Viele gründen nach den Erfahrungen der KfW-Bank lieber selbst ein Unternehmen als dass sie in ein Bestehendes einsteigen. Dabei bietet eine Übernahme Vorteile wie qualifiziertes Personal und einen Kundenstamm.
Vorteile genutzt
Mirko Munderloh hat diese Vorteile genutzt, als er eine Kfz-Werkstatt für BMW und Mini in Blankenese übernommen hat. „Ich wollte mit Anfang 40 noch einmal etwas anderes machen“, sagt Munderloh, der zuvor in Leitungsfunktion in einer großen BMW-Vertragswerkstatt in Niedersachsen arbeitete. „Seit der Übernahme haben wir mehr als 500 Neukunden gewonnen.
Der Monatsumsatz ist um mehr als 50 Prozent gestiegen“, sagt der neue Chef. Der Betrieb wurde modernisiert und erweitert, auch personell. Für die Übernahme hat Munderloh einen niedrigen sechsstelligen Kredit der IFB genutzt und eigene Mittel eingebracht. Er fühlt sich jetzt wohler als in der BMW-Niederlassung. Es gibt weniger Stress, und die Rolle als Inhaber fühlt sich gut an.