Hamburg. Bei Gartenbauern, Dachdeckern und Malern sind die Auftragsbücher voll – dank guter Konjunktur, Niedrigzinsen und Wohnraumprogramm.
Die Terrasse ist etwas unansehnlich geworden, einige kleine Schäden gibt es auch schon. „Sollten wir mal neu machen lassen“, dachte sich das Ehepaar aus den Walddörfern und bat fünf Garten- und Landschaftsbaufirmen um ein Angebot. Das war Anfang April. Zwei der Firmen haben bis heute nicht reagiert, drei schickten innerhalb weniger Tage einen Mitarbeiter vorbei und zwei davon wenig später auch ein Angebot. Entschieden hat sich das Ehepaar noch nicht. Aber schon jetzt ist klar: Die Hausbesitzer werden auf eine neue Terrasse lange warten müssen.
Denn einer der Garten- und Landschaftsbauer kann seine Mitarbeiter frühestens nach knapp acht Wochen schicken, das andere Unternehmen bat um noch mehr Geduld: „Frühestens im Juli“, so der Chef, könne ein Auftrag ausgeführt werden. Dann allerdings beginne ja die Urlaubszeit in seinem Betrieb. „Deshalb kann es auch August werden!“ Wegen des langen Winters gebe es gerade einen Rückstau bei der Abarbeitung des Auftragspolsters.
Monatelange Wartezeit
Wie den Terrassenbesitzern aus den Walddörfern geht es derzeit vielen Hamburgern: Wer einem Bauhandwerker einen größeren Auftrag erteilen will, sollte sich auf eine wochen-, wenn nicht monatelange Wartezeit einstellen: Die Auftragsbücher der meisten Maler und Dachdecker, von Maurern und Elektrikern sind prall gefüllt. „Ich mache den Job schon sehr lange, aber eine solche Hochphase habe ich noch nicht erlebt“, sagt Michael Seitz, Sprecher der Hamburger Bau- und Ausbauwirtschaft, eines Zusammenschlusses von sieben Fachverbänden. „Grundsätzlich ist die Auftragslage außerordentlich gut. Es gibt eigentlich keinen Bereich, in dem die Unternehmen derzeit nicht ordentlich zu tun hätten“, weiß Seitz.
Die Gründe für den Auftragsboom liegen auf der Hand: Wegen der guten Lage der Gesamtwirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt sind viele Verbraucher bereit zu investieren. Erspartes, für das es bei der Bank derzeit ohnehin kaum Zinsen gibt, stecken sie in die Renovierung von Haus oder Wohnung, gönnen sich eine neue Küche, den Wänden einen Anstrich, dem Haus ein neues Dach – oder sich selbst eine neue Terrasse. Die hohe Nachfrage treibt die Baupreise nach oben. Der Neubau von Wohnungen kostete im Februar vier Prozent mehr als im Vorjahresmonat – der höchste Anstieg seit November 2007.
10.000 neue Wohnungen jedes Jahr
In Hamburg kommt noch das Wohnraumprogramm der Stadt hinzu. Jedes Jahr sollen 10.000 neue Wohnungen entstehen. Insbesondere das Bau- und das Ausbaugewerbe kann sich vor Aufträgen kaum retten. Hamburgs Bausenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) bat am Donnerstag vergangener Woche Vertreter von Bau- und Wohnungswirtschaft zum Gespräch über die Lage.
Private Auftraggeber müssen wegen der Auftragsflut zunehmend länger warten, bis der Handwerker anrückt. „Wer zum Beispiel jetzt einen Maler mit Renovierungsarbeiten beauftragt, muss eventuell bis zu zehn Wochen warten“, sagte unlängst Hans Peter Wollseifer, der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks. In Berlin sind Dachdecker, Maurer oder Gerüstbauer im Schnitt für mehr als 14 Wochen ausgebucht, Handwerker im Ausbau haben elf Wochen zu tun, ergab eine Umfrage der örtlichen Handwerkskammer. Für Hamburg gibt es solche Zahlen nicht. Die Kammer ermittelt sie nicht. Und da und dort wird nicht gern über lange Wartezeiten gesprochen – aus Furcht, potenzielle Kunden zu verschrecken.
Notfälle werden sofort bearbeitet
Marco Zahn, der Obermeister der Hamburger Dachdecker-Innung, ist einer, der ganz offen über das Thema redet. „Wenn ein Kunde anfragt, ob wir sein Dach neu eindecken können, sage ich ihm, dass wir nicht vor August anfangen können. Vielleicht auch erst im September“, sagt er über die Auftragslage in seinem Unternehmen. In den meisten der 95 Mitgliedsbetrieben der Innung sehe das nicht anders aus. Bis zu 14 Wochen Vorlaufzeit zwischen Vertragsabschluss und Baubeginn seien eher die Regel als die Ausnahme.
Das allerdings, betont der Innungsobermeister, gelte für größere Aufträge. Notfälle würden – wenn irgend möglich – weiter sofort abgearbeitet, und bei kleineren Aufträgen müssten die Kunden ebenfalls nicht sehr lang warten. „Der Einbau eines Veluxfensters lässt sich meist kurzfristig dazwischenschieben.“ Für einen Kleinauftrag mit wenigen Hundert Euro Umsatz in einen weit entfernten Stadtteil zu fahren, lohne sich aber nicht mehr. „Wir geben solche Anfragen ab an andere Unternehmen, die näher dran sind.“
„Die Auftragslage ist sehr gut“
Ganz ähnlich sieht es bei Malern und Lackierern aus. Innungs-Obermeister Thomas Rath hält zwar die von Handwerkspräsident Wollseifer genannten zehn Wochen Auftragsvorlaufzeit für zu hoch gegriffen, sagt aber auch: „Die Auftragslage ist sehr gut, es gibt kaum noch freie Kapazitäten.“ Das habe inzwischen zu einer engeren Vernetzung von großen und kleinen Unternehmen geführt. Betriebe, die zwischendurch womöglich mal ein kleines Auftragsloch haben, würden dann bei den Unternehmen einspringen, die die Vielzahl ihrer Aufträge kaum noch bewältigen können.
Auch Maler-Obermeister Rath ist sicher: Kleinere Aufträge werden schneller abgearbeitet. „Kunden, die ein Zimmer oder eine Türzarge gestrichen haben wollen, finden schon noch einen Betrieb.“ Rath hat für solche Fälle in seinem mit 80 festangestellten Mitarbeitern recht großen Unternehmen eine eigene Abteilung mit mittlerweile vier sogenannten Servicemalern eingerichtet. „Auch die haben einen gut gefüllten Terminkalender, aber der Vorlauf ist sehr viel geringer.“
Es fehlen derzeit 300 bis 400 Malergesellen
Es ist aber nicht allein eine große Zahl von Aufträgen, die die Wartezeiten in die Höhe treibt. Die Unternehmen finden auch nicht genügend qualifiziertes Personal, um ihre Belegschaften aufzustocken. „In Hamburg fehlen derzeit 300 bis 400 Malergesellen“, schätzt Obermeister Rath. Michael Seitz von der Bau-Innung sagt: „Wenn ich 1000 Gesellen in Bauberufen hätte, hätte jeder von denen innerhalb von vier Wochen einen Arbeitsplatz.“
Die Bauwirtschaft hat zwar Kapazitäten aufgebaut, die Zahl der bundesweit Beschäftigten ist wieder angewachsen und auch die Zahl der Auszubildenden hat sich zuletzt wieder leicht erhöht, doch das reicht bei Weitem nicht. Zumal nur ein geringer Teil der Auszubildenden in Baugewerbe und -handwerk 20 Jahre später immer noch im erlernten Beruf tätig ist. Und es absehbar ist, dass schon bald eine Vielzahl alter, erfahrener Gesellen aus den geburtenstarken Jahrgängen in den Ruhestand geht. Dachdecker-Obermeister Marco Zahn ist überzeugt: „Selbst wenn die starke Nachfrage zurückgeht, wird die Situation auf Jahre hinaus ähnlich bleiben.“
Bausenatorin Stapelfeldt ist trotz der angespannten Lage aber weiter optimistisch für das Wohnraumprogramm der Stadt. Sie erklärte nach dem Treffen mit den Branchenvertretern: „Zur Umsetzung sind insbesondere auch ausreichende Kapazitäten in der Bauwirtschaft erforderlich. Nach dem Expertengespräch gehe ich davon aus, dass die Bau- und die Wohnungswirtschaft die Herausforderungen zum Bau von 10.000 Wohnungen im Jahr gemeinsam meistern werden.“