Hamburg. Kammerpräsident stellt eine neue Studie vor. Viele Betriebe wandern in das Umland ab oder geben nach wenigen Jahren wieder auf.
Das Hamburger Handwerk steht in den nächsten Jahren vor großen Herausforderungen. Erstmals deckt eine Studie gravierende Schwächen auf. Während die Stadt wächst, kann das Handwerk nicht in gleichem Maße davon profitieren. Viele Betriebe wandern in das Umland ab oder geben nach wenigen Jahren wieder auf, ermittelte das Institut für Mittelstand und Handwerk an der Universität Göttingen (ifh). Hamburgs Handwerk hat verglichen mit anderen Städten wie München oder Düsseldorf ein unterdurchschnittliches wirtschaftliches Gewicht, was die Zahl der Betriebe und Beschäftigten betrifft, heißt es in der Studie. In den vergangenen 20 Jahren hat das Hamburger Handwerk knapp ein Drittel seiner Mitarbeiter verloren.
„Wir haben diese Situations- und Potenzialanalyse in Kooperation mit der Wirtschaftsbehörde machen lassen, denn die Probleme der Abwanderung wegen Flächenmangels können wir nicht allein lösen“, sagte Josef Katzer, Präsident der Handwerkskammer Hamburg, im Gespräch mit dem Abendblatt. Das gelte auch für das Nachfolgeproblem vieler Firmen. Über 42 Prozent der Inhaber sind bereits älter als 50 Jahre. Mehr als 5000 der rund 15.000 Betriebe stehen in den kommenden Jahren zur Übergabe an oder müssen schließen. Mit diesen Betrieben gehen dann auch viele Kompetenzen verloren. „Es reicht nicht mehr, auf die Nachfolge durch die Kinder zu setzen, weil sie vielfach andere Pläne haben“, sagt Katzer. „Deshalb werden wir mit der Stadt ein Projekt starten, um den Betriebsübergang zu erleichtern.“
Große Betriebe
Für die Stärke des Handwerks spricht nach der Studie die überdurchschnittliche Größe eines Teils der Betriebe. „Daraus ergibt sich ein höherer Umsatz je Mitarbeiter“, sagt Katzer. „Auch in bestimmten spezialisierten Gewerken wie dem Kälteanlagenbau und dem Behälter- und Apparatebau nimmt Hamburg eine Spitzenstellung ein.“ Gleichzeitig gibt es in der Hansestadt aber viele kleine Betriebe. Deren Anteil ist seit einigen Jahren merklich gestiegen.
43 Prozent sind Ein-Mann-Unternehmen ohne weitere Mitarbeiter. Katzer geht davon aus, dass es sich dabei vor allem um Betriebe handelt, die nicht mehr dem Meisterzwang unterliegen wie Fliesenleger, Maßschneider oder Goldschmiede. Häufig erzielen diese Firmen nur einen vergleichsweise geringen Gewinn. „Das macht uns Sorgen“, sagt Katzer. „Wir müssen in diesem Bereich stärker über Netzwerke und Werkstattgemeinschaften nachdenken, um diesen Betrieben mehr Wachstumspotenzial zu eröffnen.“
Hohe Kaufkraft der Hamburger
Gemessen an der im Vergleich zum Bundesdurchschnitt um zehn Prozent höheren Kaufkraft der Hamburger könnte das Handwerk mehr Kunden gewinnen. Nach der Studie entfallen 35 Prozent des Umsatzes auf private Kunden. Bundesweit sind es 40 Prozent. „Insgesamt gelingt es dem Hamburger Handwerk nicht, das private Nachfragepotenzial für sich auszuschöpfen“, sagt Katzer. „Hamburg hat einen sehr starken Einzelhandel, das bekommt das Handwerk zu spüren.“
Die Handwerker trauten sich auch nicht, Preiserhöhungen durchzusetzen, weil die Kunden dann auf handwerksähnliche Produkte ausweichen könnten. „Die vielen Supermärkte sind vor allem eine große Konkurrenz für Bäcker und Fleischer“, sagt Katzer. Andererseits habe das Hamburger Handwerk auch einen anderen Fokus. Es setze seine Produkte und Leistungen zu über 50 Prozent und damit stärker als der bundesweite Durchschnitt an andere Unternehmen ab, weil es stärker in die gesamtwirtschaftliche Arbeitsteilung eingebunden sei.
Flächenintensive Betriebe wandern ab
„Eine weitere Schwäche des Hamburger Handwerks liegt in der vergleichsweise geringen Stabilität der ortsansässigen Betriebe“, heißt es in der Studie. Rund 70 Prozent der Hamburger Handwerksbetriebe existieren nach zehn Jahren nicht mehr. Besonders schlecht schneiden jene Unternehmen ab, die keinen Meisterbrief benötigen.
Die Ursachen wurden in der Studie nicht untersucht. Katzer vermutet nicht nur wirtschaftliche und Nachfolgeprobleme, sondern macht auch Verlagerungen dafür verantwortlich. Vor allem flächenintensive Betriebe wie Tischler oder Feinwerkmechaniker wandern aus der Hansestadt in das Umland ab. Auch das Bauhauptgewerbe ist in Hamburg schwach besetzt. Die Studie macht das am Beispiel der Zimmerer fest. Während in Hamburg in diesem Gewerk nur ein Umsatz von 26 Euro pro Einwohner erzielt wird, sind es in den Nachbarkreisen bis zu 256 Euro.
Fachkräftemangel ist ein Problem
Das Hamburger Handwerk leidet zudem unter Fachkräftemangel. „Akademisierung und demografischer Wandel machen es uns schwer, Auszubildende zu finden“, sagt Katzer. Eine weitere Ursache dafür kann die hohe Lohndifferenz zwischen Handwerksbetrieben und den anderen Bereichen der Wirtschaft sein, wie die Studie offenlegt. So verdiente ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich in Hamburg im Jahr 2015 monatlich im Schnitt 4581 Euro, während im Handwerk nur ein Verdienst von 3274 Euro erzielt wurde.
Das könnte auch eine Ursache dafür sein, dass über zwei Drittel der Gesellen im Verlauf ihres Berufslebens das Handwerk verlassen. „Im Hamburger Handwerk wird gut verdient, aber andere Bereiche können einfach mehr zahlen“, sagt Katzer. Außerdem gebe es eine hohe persönliche Zufriedenheit bei den Mitarbeitern, die sich nicht mit Geld aufwiegen lasse. „Steigende Löhne würden zu Preiserhöhungen führen, die die Handwerker scheuen“, so Katzer.
Eine Herausforderung stellt für das Handwerk auch die technologische Entwicklung dar. Die Studie sieht in der Digitalisierung der Geschäftsprozesse Chancen und Risiken zugleich. Einerseits ist es für das Handwerk möglich, die Kosten aufgrund neuer Produktionsverfahren zu senken und in Konkurrenz zu industriellen Produkten zu treten. Andererseits besteht aber die Gefahr, dass das Handwerk Marktanteile an die Industrie verliert. Denn durch den 3-D-Druck kann das Handwerk seine Sonderstellung bei der Fertigung individueller Produkte oder beim Bau von Prototypen auch verlieren, heißt es in der Studie.
„Bei Bauprojekten wird die Vernetzung der Planungstools aller Beteiligten die Arbeit völlig verändern“, sagt Katzer. Ziel sei, dass alle Projektbeteiligten von Anfang an in die Planung integriert sind. „Der Architekt hat viel weitreichendere Möglichkeiten, und wir müssen dafür sorgen, dass die Haustechnik-Kompetenz im Heizungs- und Sanitärhandwerk sowie im Elektrohandwerk nicht erst eingeschaltet wird, wenn die Planung schon beendet ist. Sonst werden die Handwerksfirmen zu reinen Montagebetrieben.“