Hamburg. Hamburgs Innungsobermeister Jan-Henning Körner hat sein Geschäft wieder auf Erfolg getrimmt. Doch andere mussten aufgeben.
Es ist kurz nach halb zwei am späten Mittag, als beim Finkenwerder Bäcker bereits die Auslage gefegt wird. Die Tür geht auf, und ein Mann betritt den Laden. „Ich habe nichts mehr“, sagt Chef Jan-Henning Körner. „Gehst du rüber?“ Der Kunde nickt und läuft zur nächsten Filiale, die nur zwei Minuten Fußweg von der Backstube an der Müggenburg entfernt ist.
Mittags bleibt der Laden zu
Nachmittags lohne sich das Geschäft hier nicht mehr, sagt der 56-Jährige. Seine Öffnungszeiten der fünf Läden hat Körner der Nachfrage angepasst. Einige Standorte machen mittags für drei Stunden zu, andere haben dagegen bis 19 Uhr geöffnet. Man müsse äußerst flexibel sein und die Lohnkosten senken. „Der Markt ist irre umkämpft.“
In der Vergangenheit drückte sich das immer wieder in der Schließung von vielen Bäckereien aus. Gab es deutschlandweit 2010 noch 14.594 Betriebe, waren es fünf Jahre später nur noch 12.155. Die durchschnittliche Mitarbeiterzahl pro Unternehmen stieg unterdessen von 20 auf fast 23 Personen, der Umsatz von 886.000 Euro auf 1,15 Millionen. Die Großen schlucken die Kleinen, deren Besitzer unter anderem aus Altersgründen oder wirtschaftlichen Zwängen aufgeben. „Ich glaube nicht, dass sich bundesweit der Trend ändert“, sagt Körner, der seit 2002 Obermeister der Bäcker-Innung Hamburg ist. Meistens würden die Läden übernommen, die Produktion fällt aber weg. In der Hansestadt sank die Zahl der bei der Handwerkskammer eingetragenen Betriebe seit 2011 von 86 auf 74 im vergangenen Jahr. Als sein Vater den Finkenwerder Betrieb im Jahr 1959 gründete, waren noch mehr als 450 Unternehmen in der Innung gemeldet. Als Jan-Henning Körner dann 1993 das Familiengeschäft übernahm, waren es 127. Heute sind es nur noch 29. Die Zahl der Verkaufsstellen blieb mit 268 hingegen konstant.
Billig geht nicht
Einen harten Preiskampf lösten vor einigen Jahren die Discounter aus. Backstationen zogen nach und nach bei Aldi und Lidl ein. Der Duft von Frischgebackenem sollte die Kunden zum Kaufen anregen – mit Lockangeboten von neun Cent pro Brötchen. Zudem gibt es mittlerweile in fast jedem Supermarkt Regale mit industriell gefertigten Günstigangeboten. Da können und wollen die Bäcker nicht mithalten. „Natürlich sind wir untereinander Konkurrenten, aber wir haben ein ähnliches Preisniveau. Billig geht bei mir gar nicht und kann von uns letztlich auch keiner“, sagt Körner, der sein Rundstück den Kunden für 35 Cent anbietet. Die Kosten steigen auf breiter Front.
Energie wird wegen der Erneuerbaren-Energien-Umlage immer teurer. Auch für die Backzutaten muss immer mehr Geld bezahlt werden. „Wir haben vor Kurzem Haselnüsse für 24 Euro das Kilo gekauft“, sagt Körner. Im Sog des Preisauftriebs erhöhten die Produzenten in Kalifornien auch gleich noch die Mandelpreise. Den größten Block machen aber die Gehälter aus, die rund die Hälfte der Kosten betragen. Im Sommer stehen wieder Tarifverhandlungen an. „Wenn ich zwei Prozent mehr Lohn zahle, muss ich die Backwaren im Schnitt um ein Prozent teurer machen“, rechnet Körner vor. Ein Ende der Preissteigerungen bei Brot und Brötchen sei daher nicht möglich.
Bester Bäcker Deutschlands
Individuelle Produkte und hohe Qualität seien notwendig, damit die Verbraucher bereit sind, mehr Geld als beim Discounter auszugeben. „Was die Kunden bei uns einkaufen, bekommen sie so in keinem anderen Betrieb. Ich mache alles selbst, nach eigenen Rezepten.“ Wie das Roggenmischbrot 1959, das seine Eltern mit Bezug auf das Gründungsjahr kreierten. Bei seinem Baguette setzt er auf ein unbehandeltes Mehl aus Frankreich, das er sich alle acht Wochen extra anliefern lässt.
Und er besetzt eine Nische. Jeden ersten Dienstag im Monat backt er glutenfreie Brote. „Ich habe einen festen Kundenstamm, mache 80 bis 100 Stück.“ Das sei zwar „ein bisschen Hobby“, fordere ihn aber handwerklich heraus. Glutenfrei zu backen sei ein ganz anderes Handwerk, weil der Kleber des Weizenmehls fehle. Andere Unternehmen setzen vor allem auf eine Ausweitung des Angebots bei warmen Speisen und heißen Getränken und erzielen damit teilweise schon die Hälfte ihres Umsatzes. Beim Finkenwerder Bäcker ist der maximale Anteil von Kaffee und belegten Brötchen mit 25 bis 30 Prozent in einigen Filialen noch recht gering.
Seine Tochter übernimmt den Betrieb
Körner verhehlt nicht, dass es seinem Betrieb vor einigen Jahren sehr schlecht ging. Die Weltwirtschaftskrise mit der „Geiz-ist-geil-Mentalität“ habe ihm im ohnehin einkommensschwachen Finkenwerder häufig den Schlaf geraubt. Ob er in den roten Zahlen gewesen sei? „Aber hallo“, sagt Körner. 2013 habe sich die Stimmung gedreht. „Die Leute waren bereit, wieder Geld auszugeben.“ Geholfen hat ihm auch seine gestiegene Bekanntheit, weil er mit TV-Koch Tim Mälzer zusammenarbeitet und von dessen Kollegen Johann Lafer zu Deutschlands besten Bäckern gezählt wurde. Eine Filiale an der Buxtehuder Straße neben Lidl machte er wieder zu. Das Umfeld passte nicht. Nun sei der Traditionsbetrieb erneut in den schwarzen Zahlen. „Unsere Profitabilität ist besser geworden“, sagt Körner. „Ich bin ein absoluter Durchschnittsbetrieb, habe 23 Mitarbeiter und mache 1,2 Millionen Euro Umsatz.“
Im Norden sieht er den Trend zu größeren Betrieben im Übrigen relativ ausgereizt. Beim „Bäckersterben“ erwartet er die nächste Welle in Süddeutschland, wo es noch viele inhabergeführte Geschäfte gibt. „In Hamburg findet man nicht mehr viele kleine Bäcker“, sagt Körner: „Wir sind der letzte produzierende Bäckerbetrieb südlich der Elbe und westlich der A 7 auf Hamburger Gebiet.“ Damit dies so bleibt, steht bei ihm die nächste Generation in den Startlöchern. Tochter Marie lernte im vergangenen Sommer aus, macht derzeit ihre Ausbildereignungsprüfung und strebt den Meister an. Wenn alles klappt, soll die 21-Jährige das Geschäft übernehmen – wann immer sie bereit dafür ist. Sein 40. Dienstjubiläum wird Jan-Henning Körner am 1. August aber noch als Chef feiern.
Sein Amt als Obermeister will er im November 2018 abgeben. Seit 1993 sei er im Vorstand der Bäcker-Innung, habe nie Sitzungen verpasst und seinen Urlaub und private Treffen nach den Terminen gelegt. Das möchte er künftig nicht mehr. Auf seine Nachfolgerin hat er sich schon festgelegt. Es soll eine Frau werden, den Namen möchte er aber noch nicht verraten. Im Beirat der Innung will er bleiben: „Ich mache dann den Geburtstagsdirektor.“